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Präsidentenwahlen: Bosnien-Hercegovina ohne Dodik? | FAZ | ABC-Z

An diesem Sonntag findet in der bosnischen Serbenrepublik, in der Landessprache „Republika Srpska“ oder kurz RS, eine vorzeitige Präsidentenwahl statt. Der seit Jahrzehnten mit Abstand mächtigste Politiker der bosnischen Serben darf allerdings nicht daran teilnehmen: Milorad Dodik. Seit seiner „Entdeckung“ durch die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright in den späten neunziger Jahren war er ein Protagonist der politischen Szene des Landes. Nun aber wurde er von der bosnischen Justiz mit einem politischen Betätigungsverbot von sechs Jahren belegt, weil er mehrfach und systematisch gegen die Verfassung des Landes verstoßen hatte.

Dodik hatte sich in seiner zweiten und nunmehr bis auf absehbare Zeit letzten Amtszeit als RS-Präsident immer stärker separatistisch positioniert. Das von seiner Partei dominierte Parlament hatte in den vergangenen Jahren etliche Gesetze ausgearbeitet und verabschiedet, die eine Unterminierung des bosnischen Staates zum Ziel hatten. So sollten weder das Verfassungsgericht noch die gesamtstaatliche Polizei oder die zentrale Wahlkommission länger in der RS geduldet werden.

Als Ziel gab der Separatistenführer eine Unabhängigkeitserklärung seiner Teilrepublik aus. Lange wirkte er dabei siegesgewiss. Als treuer Gefolgsmann Putins glaubte er offenbar, dass ihm Moskaus Unterstützung gewiss sei, jene Washingtons nach Donald Trumps Wahlsieg ebenfalls. Die Europäische Union und den eher auf dem Papier denn in Wirklichkeit mächtigen Hohen Repräsentanten der Staatengemeinschaft in Bosnien, den Deutschen CSU-Politiker Christian Schmidt, schien er nicht zu fürchten.

Scharfe Intervention aus Washington

Doch wider Erwarten sah Trumps Amerika der versuchten Demontage eines europäischen Staates nicht tatenlos zu. Am 8. März dieses Jahres meldete sich Marco Rubio machtvoll zu Wort: „Die Handlungen von RS-Präsident Milorad Dodik untergraben die Institutionen von Bosnien-Hercegovina und bedrohen seine Sicherheit und Stabilität“, schrieb der US-Außenminister auf X. „Wir fordern unsere Partner in der Region auf, sich uns anzuschließen, um dieses gefährliche und destabilisierende Verhalten zurückzudrängen.“

Dem Vernehmen nach hatten mehrere Staaten großen Aufwand betrieben, um Rubio auf die heikle Entwicklung in Bosnien aufmerksam zu machen. Saudi-Arabien und Italien sollen ebenso involviert gewesen sein wie die Türkei. Tatsächlich hatte der türkische Staatspräsident Tayyip Erdogan, der gute Beziehungen zu Teilen der politischen Elite in Sarajevo unterhält, zu Jahresbeginn mindestens drei Treffen mit den Mitgliedern der bosnischen Staatspräsidentschaft abgehalten.

Doch nicht nur die scharfe Intervention aus Washington kam für Dodik überraschend. Hinzu kam, dass er sich auch auf seine alten Gönner im Kreml nicht wie gewohnt verlassen konnte. Der bosnische Serbe hatte, wie schon oft in seiner Karriere, ein Referendum über eine Unabhängigkeitserklärung der RS angekündigt. Eine Reise nach Moskau im September, bei der er sich die Unterstützung Russlands dafür holen wollte, hatte aber nicht den von ihm erhofften Erfolg. Putin empfing ihn zwar, ebenso wie der russische Außenminister Sergej Lawrow. Doch bei der anschließenden Pressekonferenz war keinerlei russische Bereitschaft zu erkennen, die separatistischen Pläne Dodiks zu unterstützen.

Steuergelder wie Privateigentum behandelt

All das verschlechterte Dodiks Position zwischenzeitlich erheblich. Es sah sehr danach aus, als gehe seine Karriere zu Ende. Das galt besonders, da die USA auch unter Trump zunächst keine Bereitschaft zeigten, ein noch zu Zeiten von dessen Vorgänger Joe Biden gegen Dodik verhängtes Sanktionspaket aufzuheben. Die Sanktionen betrafen nicht nur Dodik persönlich, sondern zugleich mehrere dutzend Personen und Unternehmen aus seinem Umfeld, einschließlich seiner Familie.

Dodik hatte über Jahre hinweg erhebliche Summen in Lobbyarbeit in den USA investiert, um eine Aufhebung der Strafmaßnahmen zu erreichen. So hatte er sich die Dienste des früheren New Yorker Bürgermeisters Rudy Giuliani gesichert.  Auch Rod Blagojevich, dessen Karriere als Gouverneur von Illinois wegen Korruption im Gefängnis geendet hatte, bevor er von Trump begnadigt wurde, arbeitete für Dodik. Finanziert wurde die Lobbyarbeit größtenteils aus Steuergeldern der RS, die Dodik wie sein Privateigentum behandelt.

Nachdem es lange so ausgesehen hatte, als könnten die Lobbyisten in Washington nichts erreichen, traf Ende Oktober überraschend die Nachricht ein, dass die Sanktionen aufgehoben seien. Was genau zwischen Washington und Dodik vereinbart wurde, ist öffentlich nicht bekannt, doch lassen sich aus den Geschehnissen der vergangenen Wochen Rückschlüsse ziehen: Mitte Oktober zog das RS-Parlament zunächst die ohnehin längst für verfassungswidrig erklärten Gesetze zurück.

Chef der Regierungspartei ist er weiterhin

Zugleich erkannte Dodik seine Absetzung als Präsident an und sperrte sich auch nicht länger gegen Neuwahlen zur Bestimmung seiner Nachfolge. Wenige Tage später hoben die USA die Sanktionen auf. Dodik bedankte sich auf X bei Trump dafür, dass dadurch „eine große Ungerechtigkeit“ korrigiert worden sei.

Allerdings ist noch lange nicht ausgemacht, ob Dodiks Teilrückzug nun bedeutet, dass er wirklich von der Bildfläche verschwindet. Zwar musste er seine Amtsenthebung als Präsident akzeptieren, doch er ist weiterhin Chef der Regierungspartei, die sich „Bund der unabhängigen Sozialdemokraten“ nennt. Laut der gesamtstaatlichen Justiz müsste er dieses Amt eigentlich auch aufgeben, weil das Betätigungsverbot für alle politischen Ämter gilt, also auch einen Parteivorsitz.

Die Zentrale Wahlkommission hat eine entsprechende Instruktion der Justiz in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo bereits im Oktober an das zuständige Gericht in Banja Luka weitergeleitet. Dort, in der Hauptstadt der RS, ist Dodiks Partei registriert. Ob man es in Banja Luka wagen wird, Dodik zum Rücktritt als Parteichef aufzufordern, ist jedoch ungewiss.

Macht durch ein Geflecht von Unternehmen

Letztlich könnte die Aufhebung der Sanktionen Dodik gestärkt haben. Dass die Strafmaßnahmen gegen Dutzende seiner Mitstreiter nicht mehr in Kraft sind, dürfte deren Loyalität ihrem Chef gegenüber jedenfalls gestärkt haben – und das Präsidentenamt braucht der erfahrene Politiker nicht unbedingt, um weiterhin alle Strippen zu ziehen.

Adi Ćerimagić, Bosnien-Spezialist des Thinktanks „Europäische Stabilitätsinitiative“, sagt: „Dodik war im Laufe der Jahrzehnte mehrfach Präsident sowie Regierungschef der RS. Ebenso war er Mitglied des bosnischen  Staatspräsidiums – aber alle diese Ämter waren nie die eigentliche Quelle seiner Macht.“

Ende Oktober in Minsk: Dodik mit dem russischen Außenminister LawrowEPA

Seine Macht habe Dodik vielmehr stets aus der Kontrolle über seine Partei mit ihrem umfangreichen Apparat sowie durch ein Geflecht von Unternehmen bezogen, das er über Gewährsleute steuert. Nicht nur ist er weiterhin Parteichef, das Firmenkonglomerat ist nun außerdem von den Lasten der Sanktionen befreit.

Als Kandidat für seine Nachfolge als RS-Präsident wählte Dodik seinen früheren Innenminister und treuen Gefolgsmann Siniša Karan aus. Der stand ebenfalls unter amerikanischen Sanktionen, ist nun aber ebenfalls davon befreit – hat also Grund, seinem Chef besonders dankbar zu sein. Sollte Karan die Wahl gewinnen, wäre das fast so, als sei Dodik noch selbst Präsident. Verlässliche Umfragen liegen nicht vor, aber einiges deutet darauf hin, dass Dodiks Mann die Wahl tatsächlich gewinnen könnte.

Noch 1991 folgte eine Mehrheit der Serben dem separatistischen Kurs

Für Abgesänge auf Dodik sei es in jedem Fall zu früh, sagt Ćerimagić. Erst im  Oktober nächsten Jahres, wenn in der RS ein neues Parlament und wiederum ein neuer Präsident gewählt wird, werde sich zeigen, ob es mit Dodiks Macht wirklich zu Ende gehe. Einen Teilerfolg sieht Ćerimagić dennoch in den jüngsten Ereignissen: „Die größte Bedeutung dieser Wahlen liegt darin, dass Dodik zurückgetreten ist. Er hat damit das Urteil einer Justiz akzeptiert, die er zuvor für illegal erklärt hatte.“

Dass Dodik mit seinen separatistischen Bestrebungen scheiterte, lag auch an Teilen der bosnisch-serbischen Opposition, die seinen radikalen Weg nicht mitgehen wollte. Anders als bei ähnlichen Konflikten in früheren Jahren gelang es dem Veteranen nicht, eigene Schwierigkeiten als Angriff auf alle bosnischen Serben und die gesamte RS zu verkaufen. Selbst in seinem eigenen Umfeld gab es Zweifel an dem separatistischen Kurs. Angst vor blutigen Konflikten bei einem Zerfall von Bosnien-Hercegovina lag in der Luft.

Darin, so Ćerimagić, lag der große Unterschied zum Jahr 1991, als der damalige Serbenführer und später rechtsgültig verurteilte Kriegsverbrecher Radovan Karadžić, Dodiks berühmtester Vorgänger als RS-Präsident, schon einmal einen Versuch gemacht hatte, Bosnien zu zerstören: „1991 verließen die bosnischen Serben unter Karadžićs Führung die bosnischen Institutionen. Damals folgte eine große Mehrheit der Serben dem separatistischen Kurs. Diesmal war es anders.“

Was sich nicht geändert hat, ist Dodiks Rhetorik. Auf einer Wahlveranstaltung im serbisch kontrollierten Ost-Sarajevo teilte er dieser Tage in bewährt hetzerischer Manier gegen die bosniakische Bevölkerungsmehrheit aus, die er in beleidigender Absicht als „Türken“ bezeichnete: „Niemand lügt übler und mehr als der Türke“, sagte Dodik unter dem Beifall seines Publikums und verglich die bosnischen Muslime mit „Amöben“, die sich überall verbreiteten, sobald die Erste sich angesiedelt habe.

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