Kultur

Porträt Ran Chai Bar-zvi: Ein World Trade Center aus Pappe | ABC-Z

Schon zweimal hatten Inszenierungen von Ran Chai Bar-zvi etwas fast Prophetisches. 2023 brachte er am Münchner Volkstheater Ágota Kristófs Roman „Das große Heft“ auf die Bühne. Einen Stoff, der von der Abhärtung von Kinderseelen im Krieg und dem Komplettverlust von Empathie erzählt. Nur sechs Tage später überfiel die Hamas Israel.

Erst kürzlich schlug die Hellsicht wieder zu, und wieder am Volkstheater: In Albert Camus’ „Caligula“ verspricht ein Willkürherrscher die Volkswirtschaft seines Landes binnen weniger Tage umzukrempeln und füllt die amorphen Begriffe „Freiheit“ und „Wahrheit“ mit kruden Inhalten. Der Abend kam drei Tage nach der zweiten Amtseinführung von Donald Trump heraus und wurde von den Ereignissen rund um dessen DOGE-Vollstrecker Elon Musk an Absurdität noch überholt.

Ran Chai Bar-zvis „Caligula“ ist zum Münchner Festival Radikal jung eingeladen, das am 27. April beginnt. „Das große Heft“ war letztes Jahr dabei. Beide Arbeiten sind Herzensprojekte des 1989 in Jerusalem geborenen Regisseurs, der seit 13 Jahren in Deutschland lebt.

Magie der Veranstaltung

In Israel hat er ein künstlerisches Gymnasium besucht, gemalt, getanzt und Shakespeares „Sommernachtstraum“ inszeniert. Zu Besuch in Berlin zog es ihn in der Hoffnung, das würde auch ohne Sprachkenntnisse gehen, zu Jürgen Goschs Inszenierung des Stücks am Deutschen Theater – und er verstand erst mal nichts: „Die Schauspieler haben 15 Minuten lang Vögel gespielt. Ich saß im letzten Rang und habe gestaunt, wie bereit das Publikum für diesen weirden Theatermoment war. Dieses schöne Gefühl von Respekt und Tradition, die sich ganz selbstverständlich in den Alltag integriert, war mir neu. Erst hat mich die Magie der Veranstaltung, dann hat mich die Poesie auf der Bühne getroffen.“

Das Festival

Das Festival Radikal jung findet im Münchner Volkstheater vom 27. 4. bis zum 4. 5. 2025 statt.

Bar-zvi zog nach Berlin, bewarb sich erfolglos für den Regiestudiengang an der Ernst Busch und studierte schließlich Kostüm- und Bühnenbild an der Kunsthochschule Berlin Weißensee.

Er entwarf Bühnenbilder für Rimini Protokoll und diverse Stadttheater, und 2019, kurz nach seinem Diplom, kam bereits seine erste Regiearbeit am Schauspiel Hannover heraus. 2024 gewann seine am gleichen Haus entstandene Uraufführung von Kim de l’Horizons mit dem Deutschen Buchpreis 2022 ausgezeichneten Roman „Blutbuch“ den Kurt-Hübner-Regiepreis.

„Ich glaube also, es ist gut gegangen“, sagt er lachend. Mitverantwortlich dafür ist die Mischung aus kluger Nachdenklichkeit und Überzeugungskraft, die einem in einem Café in Hamburg geradezu anspringt, wo Ran Chai Bar-zvi ab Herbst zum neuen Team des Thalia-Theaters unter Sonja Anders gehört.

Charmant und offenherzig

Anders ist die Ko-Geburtshelferin seines Erfolgs, weil sie zu Beginn ihrer Intendanz in Hannover für ihn „alle goldenen Regeln über Bord geworfen hatte“, wie sie sagt. „Vor einem Regie-Engagement sollte zumindest eine Arbeit der Regie-Person gefallen haben. Ran hatte noch nie Regie geführt und nur diese Idee, einen Abend über Darkrooms zu inszenieren, die er als dem Theater verwandte, schillernde und utopische Räume schilderte. Und die Art, wie er davon erzählte, war so bestechend charmant und offenherzig, dass wir uns spontan dafür entschieden.“

„Dark Room“ ist ein schonungsloser, aber auch umarmender Abend geworden. Durchaus bilderreich kam er fast ohne Bebilderung aus. „Es gibt Bilder, wenn du die reproduzierst, gehen so viele Glühbirnen im Kopf an, die besser ausbleiben sollten“, sagt Bar-zvi.

Dabei gäben die Stoffe, die er inszeniert, viel Material dafür her: sexuelle Experimente und Grenzüberschreitungen, Krieg, häusliche Gewalt. Aber sein Weg ist ein anderer. „Ich versuche, das Hässliche in Schönheit zu erzählen und damit einen Raum zum Nachdenken zu öffnen,“ sagt er.

Da ist die kleine Hand Caligulas, die sich in einen wehrlosen Mund zwängt. Und wenn die Magd in „Das große Heft“ die ihr anvertrauten Kinder sexuell missbraucht, berührt Nina Steils den splitternackten Jonathan Müller nur an der Schulter. Wenn sie dann sagt „Wie gut es tut, mit euch zu spielen“, hat das Wort „Spiel“ in den Köpfen der Zuschauenden trotzdem eine brutale Umdeutung erfahren.

Arbeit eng an der Biografie

Alle bisherigen Arbeiten von Ran Chai Bar-zvi sind eng mit seiner Biografie verknüpft. Die Idee, die Brutalität in „Das große Heft“ über Kinderspiele zu erzählen, käme aus seiner Teenagerzeit, führt der Regisseur aus. „Ich bin während der zweiten Intifada jeden Tag mit Bussen zur Schule gefahren, in denen regelmäßig Bomben explodierten. Wir haben es fast wie ein Glücksspiel betrachtet.“

Heute sieht er an den Kindern seiner in Israel lebenden Geschwister, wie die politische Situation ihre Psyche, ihr Weltverständnis und die Art, wie sie reden, imprägniert. „Das große Heft“, in dem Kinder Sätze sagen wie „Man muss töten können, wenn es nötig ist“, kann der 35-Jährige noch immer nicht sehen, ohne zu weinen.

Und dennoch wirkt selbst das existenziell Schwere bei ihm leicht. Kurt-Hübner-Preis-Jurorin Almut Wagner attestierte Ran Chai Bar-zvi einen „unglaublichen Instinkt für Unterhaltung“. Was ihn freut. „Sonja Anders hat mich einmal gefragt“, sagt er, „was willst du dem Publikum schenken?“ Dieser Gedanke würde ihn begleiten. Und so versuche er „immer mindestens einen Moment der togetherness zu schaffen, der ein bisschen Hoffnung macht und wo wir zum Beispiel zusammen singen“.

Schauspieler und Publikum verbinden

Natürlich müsse man dabei aufpassen, dass es „nicht übergriffig“ werde. Aber da seien ja auch fünf Menschen auf einer Bühne und dreihundert vor ihnen, und alle haben sich dafür entschieden, hier zu sein. „Wäre es da nicht extrem komisch“, so Ran Chai Bar-zvi, „wenn die beiden Gruppen sich nicht begegnen würden?“

Schon als Zehnjähriger ist Bar-zvi den Brückenbauqualitäten des Theaters begegnet: In einem Jugendklub, in dem säkulare und religiöse Menschen zusammenkamen. Aber er ist auch mit den Politshows Benjamin Netanjahus aufgewachsen, die Theatermittel zu Propagandazwecken missbrauchen.

Wie, das zeigt er in der Venus-Show in „Caligula“, in der der Tyrann Volksnähe demonstriert („Ich lieb euch so sehr!“) und das Publikum zum Mitsingen auffordert, während auf der Bühne Klimakleber überfahren werden und Venus selbst in ein World Trade Center aus Pappe fliegt.

Wie politisch er sich als queerer, in Deutschland lebender israelischer Regisseur auch auf der Bühne positionieren darf und muss, an dieser Frage knabbert Ran Chai Bar-zvi derzeit vermehrt. „Das Schwinden der Verbündeten nicht nur in den USA zwingt queere Menschen zu ihren aktivistischen Ursprüngen zurück.“ Das bisschen mühsam erworbene Selbstverständlichkeit sei perdu.

Spaltung israelischer Gesellschaft

Und als Israeli sieht er mit Sorge, wie die Spaltung seines Landes auch seine Wahlheimat einholt. „Ich bestehe darauf, dass es möglich ist“, sagt er, „die Hamas und gleichzeitig die Siedlungspolitik zu kritisieren.“ Und schließt daran eine politische Botschaft an: „Wer Israel helfen möchte, sollte nicht Netanjahu unterstützen, sondern die liberale Opposition. Europa darf diese Leute nicht im Stich lassen. Sie brauchen die connection zur Welt, um weltoffen zu bleiben. Was genau das Gegenteil von dem ist, was die jetzige Regierung will.“

Da ist er noch einmal, dieser Sinn für Solidarität und Empathie, der auch Ran Chai Bar-zvis Theater so besonders macht.

Back to top button