Politik

Politische Strategie: Mehr Mut zum Risiko, bitte | ABC-Z

Politiker scheuen normalerweise das Risiko. So wie die meisten Menschen. Ein Risiko einzugehen bedeutet, Unsicherheiten in Kauf zu nehmen. Sich der Gefahr einer Niederlage auszusetzen, zum Beispiel weil niemand weiß, wie das Umfeld (in der Politik: die Wähler) reagiert. Risiken sind unbequem. 

Die Demokraten sind mit dem Austausch ihres Präsidentschaftskandidaten ein Risiko eingegangen. Und im Moment sieht es so aus, als hätte sich das gelohnt. Kamala Harris zieht in den ersten Umfragen an Donald Trump vorbei und in die öffentliche Debatte ist eine neue Leidenschaft zurückgekehrt. Es fühlt sich so an, als hätte jemand in einem stickigem Raum das Fenster geöffnet. 

Donald Trump hat seine Stärke bislang auch daraus bezogen, dass seine politischen Gegner keine Sprache für den Umgang mit ihm gefunden haben. Schon klar, er ist eine Gefahr für die Demokratie. Aber was heißt das eigentlich konkret? Und überhaupt: Gibt es nicht Wichtigeres als die Demokratie? Die Inflation zum Beispiel? Oder die Kriminalität? Studien zeigen, dass etwa die Hälfte der Amerikaner auf freie Wahlen verzichten würden, wenn dafür der Wohlstand steigt. 

Öfter mal was wagen. © Mark Konig/​unsplash.com

Kamala Harris hat es geschafft, dass die Dinge beim Namen genannt werden. Mit Trump stellt sich ein ziemlich alter Mann zu Wahl, der ziemlich wirre Reden hält und ganz offensichtlich ziemlich wenig Ahnung von dem hat, was man normalerweise als Politik bezeichnet: Gesetze, Verordnungen, Verwaltungsakte. “Weird” ist der Begriff, den sich die Demokraten jetzt für ihn ausgedacht haben, “seltsam”. Das scheint zu funktionieren, weil Trump in der Tat seltsam ist und niemand der seltsame Typ sein will, mit dem auf einer Party niemand spricht. 

“When they go low, we go low”

When they go low, we go highhat Michelle Obama einmal gesagt, als Trump zum ersten Mal kandidierte und seine Beleidigungen und Lügen verbreitete. Wenn die anderen an niedere Instinkte appellieren, beweise man selbst Größe. Nun gilt: “When they go low, we go low.” Man würde sich wünschen, dass ein gesitteter Sachdiskurs möglich wäre, aber das ist offensichtlich nur sehr begrenzt der Fall. Und deshalb ist das unter den gegebenen Umständen möglicherweise eine effizientere Kommunikationsstrategie. 

Natürlich ist damit keineswegs ausgemacht, dass Harris nun die Wahlen gewinnen wird. Das Land ist nach wie vor gespalten und bis zum Urnengang sind es noch knapp 100 Tage. Und wenn die vergangenen Wochen eines gezeigt haben, dann das: Bis dahin kann noch viel passieren. Das Attentat auf Donald Tump ist keine drei Wochen her. Aber so viel kann man wahrscheinlich sagen: Es ist für Trump schwerer geworden, diese Wahl zu gewinnen. Und das ist – um einmal maximal normativ zu argumentieren – eine positive Entwicklung, für die Vereinigten Staaten und die Welt. 

Im Casino und an der Börse gilt die goldene Regel der Finanzmathematik: Je höher das Risiko, desto höher der Ertrag. Wer beim Roulette sein Geld auf eine der beiden Farben setzt, kann die Anlagesumme im Erfolgsfall verdoppeln. Wer auf eine der Zahlen setzt, kassiert das 35-fache. Ganz so einfach ist das im echten Leben nicht, aber auch in der Politik konnten Gefahren oft nur dadurch abgewehrt werden, dass jemand ins Risiko gegangen ist. 

Wenn Eisenhower nicht 1944 die Landung in der Normandie befohlen hätte, wäre Hitler wahrscheinlich noch länger an der Macht geblieben. Hätte Mario Draghi 2012 nicht gesagt, dass er tun werde “whatever it takes, um den Euro zu verteidigen, gäbe es die Europäische Währungsunion in ihrer heutigen Form vermutlich nicht mehr. Wenn Olaf Scholz in seiner Zeit als Finanzminister während der Coronakrise kein milliardenschweres Konjunkturpaket aufgelegt hätte, hätte sich die deutsche Wirtschaft vermutlich nicht so schnell erholt.

Dafür, dass im Moment eine ganze Reihe von Krisen (Migration, Infrastruktur, Demografie, Klimawandel) gleichzeitig bekämpft werden müssen, agiert die deutsche Politik allerdings ziemlich risikoscheu. Das Entscheidungsprinzip der Ampel ist der Minimalkompromiss, nicht das maximal Mögliche. Dafür gibt es viele Gründe, unter anderem den nicht zu vernachlässigenden, dass durch eine übereilte Entscheidung auch alles noch schlechter werden kann. 

Es kann aber auch besser werden. Und vielleicht ist der Zeitpunkt gekommen, das einmal auszuprobieren. Nicht in dieser Legislaturperiode, die ist praktisch vorbei. Jetzt ist Sommer, danach finden die Landtagswahlen im Osten statt und dann ist Bundestagswahl. Aber vielleicht würde auch die politische Debatte in Deutschland an Format gewinnen, wenn der Wahlkampf thematisch den Herausforderungen gerecht würde. Auch wenn das womöglich Geld kostet. Oder ein paar Stammwähler verschreckt. 

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