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Politische Gewalt in den USA: Der Tod des Charlie Kirk | ABC-Z

Berlin taz | Die Ermordung des rechten Aktivisten Charlie Kirk am vergangenen Mittwoch während einer öffentlichen Veranstaltung in der Utah ­Valley University in Orem, Utah, ist eine Zäsur. Selbst in den polarisierten USA, denen weder politische noch jede andere Form von Gewalt fremd sind, ist die gezielte Tötung einer einflussreichen, im Internet omnipräsenten politischen Schlüsselfigur ein Einschnitt.

Charlie Kirks politische Positionen waren nichts ­Besonderes. Er proklamierte sämtliche ­Talking-Points der Neuen Rechten, taktisch zugeschnitten auf die Prioritäten von Donald Trumps Präsidentschaft, vermischt mit einer aggressiv vorgetragenen reaktionären Auslegung christlichen Glaubens. Antifeminismus, traditionelles Familienbild, Islamfeindlichkeit, Antimigrationstiraden, die Theorie vom „großen Bevölkerungsaustausch“, gegen Waffenkontrollgesetze, gegen das Recht auf Abtreibung, gegen die Rechte von trans Personen, gegen gleichgeschlechtliche Ehen, gegen Förderprogramme für benachteiligte Bevölkerungsgruppen, gegen Hilfen für die Ukraine, für ungezügelten Kapitalismus, bis hin zur Lüge über den angeblich in Südafrika stattfindenden Genozid an Weißen –Charlie Kirk verbreitete das alles, wo auch immer sich ihm eine Plattform bot.

Und das waren viele.

Aber Charlie Kirk war für Trumps MAGA-Bewegung mehr als nur ein erfolgreicher Influencer, der das Spiel mit der Aufmerksamkeitsökonomie beherrscht. Er war kein rechter Vordenker, aber ein Stratege. Mit 18 Jahren gründete er seine Organisation Turning Point USA. Als junger Rechter, der mit 17 seine ersten Reden auf Kundgebungen der rassistischen Tea ­Party gehalten hatte, identifizierte er schnell genau jene Zielgruppe, an die damals, in der Obama-Zeit, weder die Republikanische Partei noch die neuen rechten Organisationsformen wirklich herankamen: junge Leute, erst recht solche mit höherer Bildung, in Colleges und Universitäten. Von denen wählten 2024 so viele Donald Trump, dass dessen Wahlsieg eben auch Charlie Kirk zu verdanken ist.

Rhetorisches Talent, große Schlagfertigkeit

Ausgestattet mit rhetorischem Talent und großer Schlagfertigkeit, tourte er seit Jahren von Campus zu Campus. „Prove Me Wrong“ stand stets auf seinem Zelt, eine Einladung zu jenen Debattenschlachten, wie sie sowohl in den USA als auch in Großbritannien große Tradition haben. Mit echten Diskussionen – zu denen auch der Wille zum Zuhören gehört – hat das weniger zu tun als mit dem unbedingten Willen, als Sieger hervorzugehen. Solche Formate gibt es schon lang. Im Zeitalter der Internetvideoschnipsel sind sie der Ausgangspunkt für Hunderte „Charlie Kirk destroys woke student“-Clips.

In dem Maße, wie Kirks Followerschaft wuchs, entwickelten sich damit seine eigenen Kanäle auch zu solchen, die seine politischen Geg­ne­r*in­nen nutzen wollten. Wann immer er einen Auftritt auf einem Campus ankündigte, gab es diejenigen, die dagegen protestierten, dass er seine kruden Thesen überhaupt verbreiten konnte. Aber es gab immer auch diejenigen, oft linke Influencer, die sich darum bemühten, öffentlich mit ihm diskutieren zu dürfen. „XY destroys Charlie Kirk“ garantierte hohe Klickzahlen.

Es ist diese Gleichzeitigkeit, die auch nach Kirks Ermordung in vielen linksliberalen Foren für Diskussionen sorgt. Kann jemand, der wesentlich dazu beigetragen hat, den autoritär-faschistischen Staatsumbau überhaupt möglich zu machen, trotzdem als Verfechter von free speech respektiert werden?

Sicher ist: Kirk erreichte Jungwähler, in diesem Fall ohne Genderstern. Turning Point USA, heute eine Organisation mit mehr als 1.000 Angestellten und mit eigenen Gruppen an Universitäten fast überall in den USA, schaffte es, das rechts wieder cool ist, besonders unter jungen Männern.

wochentaz

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Kirk begriff früh, dass diese Währung ihm von Sponsoren Geld und bei Trump Einfluss bescheren würde, auch auf Personalentscheidungen. Es ist kein Zufall, dass Trump nach Kirks Ermordung Trauerbeflaggung in den ganzen USA und an den Botschaften im Ausland anordnete – beispiellos für jemanden, der keinerlei gewähltes Amt innehatte. Unmittelbar nach seinem Tod machte Trump die politische Linke für das Attentat verantwortlich – was da noch kommt, mag man sich kaum ausmalen.

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