Kultur

Politiker-Weihnachtsplaylists: Süßer Politiker nie klingen | ABC-Z

Politik und Musik, das ist ein heikles Feld. Zumal an Weihnachten, was neuerdings ja mitten im Wahlkampf liegt. Mit der richtigen Liedauswahl zum Fest kann man als Politiker jedenfalls mehr bewegen als mit wütenden Entlassungsreden oder dreieinhalb Schuldenbremsen.

Ein SPD-Mann mit einer Schwäche für sakrale Kirchenlieder? Womöglich doch kein gottloser Genosse, der Kerl, und mindestens für eine große Koalition geeignet! Ein Sozen-Fresser von der CSU, der an Weihnachten besinnliche Friedenssongs hört? Am Ende ist Schwarz-Grün doch nicht Armageddon, wurscht, was der Söder sagt!

Politiker sollten zum Fest also auf der Hut sein: Musik ist immer auch eine Botschaft. Und wer kurz vor der Wahl nicht nur bei weißen alten Weihnachtsmännern, sondern auch bei jungen Wählern mit der richtigen message punkten will, der tut gut daran, seine attitude mit coolen, geschmackssicheren Playlists für die Feiertage zu zeigen. Leider ist Deutschland auch in dieser Hinsicht kein Vorreiter, sondern Coolness-Erwartungsland.

Eine Playlist wie ein gutes Wahlprogramm

Im imagebewussten Amerika gehört es für viele Politiker schon lange zum guten Ton, zu besonderen Anlässen (Chillen, Ferien, Weihnachten, endlich krankenversichert) eigene Playlists zu kuratieren. Als Barack Obama noch Präsident war, veröffentlichte er regelmäßig Listen mit einem ausgewogenen Stilmix, die auf seine street credibility einzahlten. An Weihnachten 2015 warb das Weiße Haus sogar per Pressemitteilung für die Auswahl des Präsidentenpaares und der Vize-Bidens.

Auf der Liste der Obamas: Klassiker wie das deutsche „O Tannenbaum“ und „The Christmas Song“ von Jazz-Legende Nat King Cole, aber auch Zeitgenössisches wie „8 Days of Christmas“ von Destiny’s Child oder „Do you hear what I hear“ von Yolanda Adams. Auf der Liste der Bidens: Tradition („Let it snow“, Ella Fitzgerald, und „Adeste fidelis“ von Andrea Bocelli), aber auch Entertainment wie „Christmas“ von U2 und „A sky full of stars“ von Coldplay. Im besten Fall sind Weihnachtsplaylists von Politikern wie ein gutes Wahlprogramm: für jeden was dabei und trotzdem so zwingend, dass man ein paar Kröten schluckt. Last Christmas I gave you my heart.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Gemessen daran fallen deutsche Politiker regelmäßig ab. Norbert Röttgen etwa veröffentlichte 2020 eine Weihnachtsplaylist, als er noch CDU-Vorsitzender werden wollte, seither aber nicht mehr. Und selbst damals wagte er, ganz im Sinne Konrad Adenauers, keine Experimente: John Lennon war vertreten mit dem Alltime-Klassiker „Happy Xmas“, der unvermeidliche Chris Rea mit seinem archaischen Kehlgesang „Driving home for Christmas“, und natürlich „Last Christmas“, die Vokuhila-Hymne von Wham!.

Dann viel Klassisches („In dulci jubilo“, „Stille Nacht“ von Helene Fischer!), aber keine Spur von widerspenstigem Material wie „A twisted Christmas“ von Twisted Sister oder Christopher Lees legendärer Heavy-Version von „Little drummer boy“. Nicht mal das großartig versoffene „Fairytales of New York“ von den Pogues. Insgesamt eine aushaltbare, aber kreuzbrave Liste. Wir schaffen das, würde Angela Merkel sagen. Mehr aber nicht.

Buschmann ist doch vom Fach. Oder?

Selbst der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, der von seiner eigenen Coolness ja sehr ergriffen ist, beglückte seine Insta-Crowd letztes Weihnachten mit einer Liste von allenfalls mittelmäßiger Kraft: „Oh Du Fröhliche“ vom Tölzer Knabenchor, Wham!, Chris Rea, Dean Martin – für einen Alpha-Franken, der bei „Inas Nacht“ Shantys singt, bestürzend konventionell.

Schon klar, dass man der CSU schlecht mit konsumkritischem Geklingel wie „Santa is an asshole“ von Erin McKeown kommen kann. Aber warum nicht wenigstens mit„Es weihnachtet sehr“ von Konstantin Wecker, gerade zur Zeitenwende: „Es ist wieder so weit, es weihnachtet sehr. / Die Dekorateure arbeiten schwer / Und große Kinderaugen gaffen / Verzückt auf die neuesten Spielzeugwaffen.“

Laufen an Weihnachten seit Jahrzehnten in Dauerschleife: Andrew Ridgeley und George Michael von „Wham!“ mit „Last Christmas“
Laufen an Weihnachten seit Jahrzehnten in Dauerschleife: Andrew Ridgeley und George Michael von „Wham!“ mit „Last Christmas“dpa

Auch von Marco Buschmann, dem Minister of Sound der Ampel, hätte man sich mehr erwartet. Der Mann ist doch vom Fach, musikalisch gesehen! Und was packt er auf Anfrage der F.A.S. in seine Weihnachtsplaylist? „Feliz Navidad“, „Tanz der Zuckerfee“ von Tschaikowski, „Ave Maria“ von Bach/Gounod, natürlich auch Chris Rea und Mariah Carey. Alles verkraftbar und immerhin nicht „Alle Jahre wieder“ in der Version von Roland Kaiser. Aber sieht so Innovation aus? Andererseits: Damit hatte die FDP in der Ampel ja auch schon ihre Probleme.

Durchaus respektabel hingegen: die F.A.S.-Playlist der neuen Linken-Vorsitzenden Ines Schwerdtner, auf der neben Erwart- und Verzichtbarem (Chris Rea, Édith Piaf, „Felicità“ von Al Bano und Romina Power) auch Songs von De­peche Mode („Personal Jesus“), der Elektro-Pionierin Anne Clark („Our darkness“) und „Little Dark Age“ von der amerikanischen Indietronic-Band MGMT stehen. Auch den heiter-besinnlichen Song „Verfassungsschutz“ legt Schwerdtner auf – von „DJ Gysi“, einer Kunstfigur, die Gregor Gysis frühere Reden remixt. Vielleicht ganz befreiend, wenn’s unterm Baum am späteren Abend zu harmonisch wird.

Russische Lieder zum Fest

Ziemlich enttäuscht sind wir hingegen von Robert Habeck: keine Playlist, dabei hätte sich die von allein geschrieben. Nachdenklich-Grünes zum Fest wie „Where’s all the snow“ von Kidzone, dazu tastende Kanzlerkandidaten-Songs wie den Siebziger-Klassiker „Gonna Make You An Offer You Can’t Refuse“ von Jimmy Helms. Habeck vergibt damit eine Chance, genau wie die anderen Spitzen- und Kanzlerkandidaten. Friedrich Merz, Olaf Scholz, Christian Lindner, Alice Weidel, Sahra Wagenknecht, sie alle lassen ihre Wähler an Weihnachten allein und unbesungen und riskieren, dass am Ende doch wieder Wham! übernimmt.

Von Scholz hätte man außer drögen Weihnachts-Shantys zwar ohnehin nichts mehr erwartet. Auch nicht von Lindner: „Hoch auf dem gelben Wagen“ hätte sich falsch angefühlt – nicht nur, weil das Ährengold meistens im Sommer leuchtet. Merz wiederum ist musikalisch eine Blackrock, Verzeihung, Blackbox. Alice Weidel hätte zum Fest aber sicher viel Distinktion zu bieten gehabt: „O deutscher Tannenbaum“ – irgendjemand hätte sich doch finden lassen, der das für ihre Playlist aufnimmt. Und Wagenknecht? Die schönsten russischen Lieder zum Fest – das hätte bestimmt viele begeistert.

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