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Politik im Stadion: Linker wird’s nicht im deutschen Fußball | ABC-Z

Das Fußballspiel zwischen Werder Bremen und St. Pauli bot auf dem Rasen wenig Spektakel. Mit dem torlosen Remis rückte für die Gäste aus Hamburg der Klassenerhalt in der 1. Männer-Bundesliga etwas näher, für die Bremer die Europapokal-Plätze etwas weg. Richtig interessant wurde es auf den Rängen, dort sorgten die beiden befreundeten Fanlager für das linkeste Profifußballspiel Deutschlands.

So wurden zu Beginn der zweiten Halbzeit mehrere politische Anliegen in den Kurven thematisiert. Seitens der Bremer Heimfans gab es eine große Aktion, die sich für die Anstoßzeit am Samstag um 15:30 einsetzt. Für Außenstehende eine banal wirkende Forderung, doch hinter dem Protest steht eine antikapitalistische Grundhaltung. „Stoppt den Vermarktungswahn!“ stand auf einem Transparent, denn die Aufteilung des Spieltages dient nicht den Fans, sondern Streaming-Anbietern. „Heute auf dem Rasen, am 1. Mai auf der Straße: Klassenkampf!“ forderte lesbar die Fanszene des FC St. Pauli. Dass viele aus der Kurve auf der revolutionären 1.-Mai-Demonstration sein werden, ist keine Überraschung. Die klare politische Position gehört seit Jahrzehnten zur DNA des Vereins.

Den größten Protest während der 90 Minuten gab es gemeinsam. Es ging um Lorenz A. aus Oldenburg. Der 21-jährige Schwarze wurde vor einigen Tagen von der Polizei erschossen. Der Werder Anhang hielt ein Transparent mit der Aufschrift „Schüsse von hinten – das war Mord“ hoch, St.-Pauli-Fans skandierten „deutsche Polizisten – Mörder und Rassisten“. Kurz darauf erinnerten die Heimfans an die kommunistische Widerstandskämpferin Else Jahn, die vor 80 Jahren von der SS ermordet wurde.

„Das ist ein super Verein, super Fans“, lobte St. Paulis Flügelstürmer Noah Weißhaupt, „sonst werde ich beleidigt, wenn ich ausgewechselt werde, hier wurde ich beklatscht“. Die Stimmung war dauerhaft gut. Werder Bremen Trainer Ole Werner bemerkte bereits beim Einlaufen, „dass das eine besondere Atmosphäre heute war“. Einen kleinen Anteil daran hatten auch Fans von Standard Lüttich und Babelsberg 03, die mit im Auswärtsblock waren. Denn unter linken Fußballfans gibt es über nationale Grenzen hinaus ein solidarisches Netzwerk.

Großer Zusammenhalt

Linke haben im Fußball, wie auch in der Gesellschaft, einen schweren Stand. Sich gegen Diskriminierung einzusetzen, ist nicht leicht in einem von Machotum geprägten Sport. Dafür ist der Zusammenhalt groß. Auf St. Paulis Südkurve sind Fans von bis zu fünf Vereinen anzutreffen. Es gibt aber auch Ausnahmen, wie die Fangruppierungen von Jena und Chemie Leipzig. Die beiden Viertligisten sind dem linken Spektrum zuzuordnen, leisten sich aber dennoch teils heftige Auseinandersetzungen.

Ansonsten gibt es viel Solidarität und gelungene Aktionen, beispielsweise bei der Erinnerung an die Verbrechen vom Nationalsozialismus. Etwa die stadionumfassende Aktion auf St. Pauli am Holocaust-Gedenktag oder Freiburgs „Kein Vergeben, kein Vergessen“-Choreografie.

Noah Weißhaupt wurde diese Spielzeit aus Baden-Württemberg ausgeliehen und ist nicht überrascht, „dass sich Freiburg und St. Pauli verstehen“. Die „Ultras Sankt Pauli“ pflegen, neben der erwähnten Verbindung ins belgische Lüttich und brandenburgische Babelsberg, eine enge Freundschaft zur „Schickeria“, den Ultras von Bayern München. Obwohl der Verein, anders als St. Pauli, nicht unter dem Verdacht steht, besonders kapitalismuskritisch zu sein, unterstützen die Ultras linke Projekte mit. So gab es am letztjährigen 9. November eine gemeinsame Gedenk­aktion anlässlich der antisemitischen Pogromnacht 1938.

Durch medienwirksame Protest- und Gedenkaktionen lässt sich viel erreichen, die St.-Pauli-Fans fungieren in der Szene als Initiator und Bindeglied. Bis auf eine Fanfreundschaft der Schickeria mit Carl Zeiss Jena gibt es keine wirk­liche Verbindung zweier linken Fangruppierungen in Deutschland ohne die Hamburger. Die Freundschaft zwischen den Fans von Werder und St. Pauli ist eine besondere. Das spürt man im Stadion, Zug oder ­Internet, ganz gleich ob Ultra oder nicht – linker wird’s nicht.

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