Berlin

Polenbeauftragter Abraham: “Es dürfen keine permanenten Grenzkontrollen sein” | ABC-Z

Interview | Polenbeauftragter Abraham

“Es dürfen keine permanenten Grenzkontrollen sein”


dpa/Stefan Sauer

Audio: Antenne Brandenburg | 07.07.2025 | Robert Schwaß | Bild: dpa/Stefan Sauer

Seit Montag werden auf polnischer Seite die Grenzen kontrolliert – vorerst bis zum 5. August. Knut Abraham ist neuer Polenkoordinator der Bundesregierung. Für ihn sind die Grenzkontrollen keine langfristige Lösung in der Migrationspolitik.

rbb: Herr Abraham, welche Stimmung herrscht momentan in der deutschen Grenzregion?

Knut Abraham: In Frankfurt (Oder), Guben oder Görlitz – obwohl das in Sachsen liegt – da herrscht eine unmittelbare Betroffenheit der Menschen. Die Staus werden sich auch auf die deutsche Seite massiv verlagern. Sie leiden darunter und sagen das auch.

Können Sie die Entscheidung des polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk, temporäre Grenzkontrollen einzuführen, nachvollziehen?

Es kommt nicht überraschend, Ministerpräsident Tusk hat es angekündigt. Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, dass die polnische Seite demonstrieren möchte, auch die Interessen des eigenen Landes zu dokumentieren. Wir müssen die Situation an der Grenze so erträglich wie möglich machen, durch kurzfristige, pragmatische Lösungen: Pendlerspuren, weitere Kontrollspuren, damit der Verkehr fließt. Mittel- und langfristig ist die Umsetzung der Reform der gemeinsamen europäischen Asylpolitik notwendig, damit der Schutz der Außengrenzen funktioniert. Das ist nicht nur im polnischen Interesse, die über Außengrenzen verfügen, sondern auch im deutschen Interesse.

Es sind die Doppel-Städte, Doppel-Gesellschaften, Bildungsinstitutionen und Unternehmen auf beiden Seiten, die existentiell davon abhängen, dass der Verkehr funktioniert

Knut Abraham, Polenbeauftragter der Bundesregierung

Welche Rolle übernimmt die deutsche Bundesregierung?

Diese Grenzkontrollen sollten verstanden werden als Beitrag dazu, den Druck für eine europäische Lösung zu erhöhen. Es dürfen aber keine permanenten Grenzkontrollen sein. Es sind die Doppel-Städte, Doppel-Gesellschaften, Bildungsinstitutionen und Unternehmen auf beiden Seiten, die existentiell davon abhängen, dass der Verkehr funktioniert. Also müssen wir gemeinsam mit Polen überlegen, wie wir schnell von den beidseitigen Grenzkontrollen wieder wegkommen.

Die Lösung der europäischen Migrationsherausforderung liegt nicht darin, Oder und Neiße zu sperren, sondern es muss einen gemeinsamen Ansatz geben, um die Herausforderung da anzugehen, wo sie entsteht: nämlich durch Zuwanderung an den europäischen Außengrenzen. Nur wenn wir den Zustrom nach Europa aufhalten, wird sich die Situation an der Binnengrenze bessern.

Auf welche Zustände steuern wir an der deutsch-polnischen Grenze also zu?

Die Lösung liegt in der Umsetzung der bereits vereinbarten und bereits verhandelten Reform des gemeinsamen Europäischen Asylsystems, die sogenannte GEAS-Reform, die vorsieht, dass Migranten nach Einreise in den europäischen Bereich, in den Schengenraum, in grenznahe Einrichtungen aufgenommen und dann befragt werden. Diejenigen, die in diesem Verfahren nicht bleibefähig sind, dann unmittelbar in die Länder zurückgeführt werden – und zwar nicht nach Belarus, sondern in ihre Heimatländer. Die Idee ist, das Strömen der Menschen durch Europa zu verhindern, indem man sie außengrenznah bereits in die Verfahren aufnimmt und zusieht: Gibt es einen Rechtsgrund für ein Verweilen? In den meisten Fällen, das wissen wir, gibt es den nicht.

Das würde faire Asylverfahren voraussetzen, die an der polnisch-belarussischen Grenze nicht gewährleistet werden, da es häufig zu Pushbacks kommt.

Alle Staaten Europas und alle Regierungen der EU sind an das europäische Recht gebunden. Sollte es dagegen Verstöße geben, ist es die Aufgabe der gerichtlichen Instanzen in Europa, am Ende der Europäische Gerichtshof in Luxemburg, dies festzustellen und die Staaten entsprechend durch rechtliche Verfahren dazu zu bringen, das geltende Recht einzuhalten. Das ist aus meiner Sicht nicht eine Frage des politischen Verhandelns, sondern wir haben geltendes Recht und das geltende Recht muss umgesetzt werden. Wie das zu geschehen hat, legt am Ende der Europäische Gerichtshof fest.

Besteht die Gefahr, dass die Diskussion um Migrationspolitik die deutsch-polnischen Verhältnisse schädigt?

Ja das sehe ich schon, und zwar auf beiden Seiten der Grenzen. Es ist leicht für populistische Kräfte, unverantwortliche Kräfte, die Verantwortung und die Schuld für eine schwierige Situation beim Nachbarn unterzubringen. Wir sind insofern auch unter politischem Druck. Das kann ich jedenfalls als brandenburgischer Abgeordneter sagen. Und wenn das nicht gelingt, dann obsiegen diejenigen, die mit oft falschen Zahlen und falschen Informationen versuchen Unruhe zu stiften. Und das müssen wir gemeinsam erkennen – beide Regierungen – und uns dem entgegenstellen. Dafür ist eine enge deutsch-polnische Zusammenarbeit unabdingbar.

Was meinen Sie da konkret?

In der Diskussion in Polen sind völlig abwegige Zahlen von angeblich zurückgewiesenen Asylbewerbern, die aus Deutschland angeblich nach Polen abgewiesen würden. Die Zahlen, die in der polnischen Diskussion genannt werden, gehen in die zigtausend. Das hat mit der Realität nichts zu tun. Genauso müssen wir in Deutschland vermitteln, dass wir mit den Polen zusammenarbeiten, um das europäische Recht durchzusetzen.

Herr Abraham, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Nastasja Kowalewski.

Der Text ist eine gekürzte und redigierte Fassung des Gesprächs.

Sendung: Antenne Brandenburg, 07.07.2025, 18:30 Uhr


Back to top button