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Poker: Liv Boeree spendet halbe Million Preisgeld für Kampf gegen Massentierhaltung | ABC-Z

Liv Boeree war jahrelang nicht mehr am Pokertisch zu sehen. Aus sehr persönlichen Gründen, wie der britische Star der Branche nun verrät. Bei ihrem Comeback aber ist sie überraschend erfolgreich, was in einer großen Geste mündet. Boeree sieht höhere Mächte am Werk.

Liv Boeree hatte dem Poker-Spiel an sich abgeschworen. Eine der bekanntesten und weltbesten Spielerinnen, studierte Astrophysikerin, die über vier Millionen Dollar an Preisgeld gewonnen hatte, wollte nicht mehr. Seit 2019 war sie nicht mehr an den Tisch zurückgekehrt. „Ich hatte eine Abneigung gegen alles, was mit Poker zu tun hatte. Es hatte sich von einer Quelle der Freude in eine lästige, sich wiederholende Aufgabe verwandelt“, erzählt die Britin.

Im Dezember aber gab die 40-Jährige überraschend ihr Comeback. Ein bemerkenswertes überdies. Bei der World Series of Poker Winter-Edition auf den Bahamas, ein mit 48 Millionen Euro Preisgeld dotiertes Spektakel, räumte sie gleich wieder ab, wurde beim Super Main Event Vierte. Sie kassierte dafür 2,7 Millionen Euro – und hielt Wort.

Schon vor dem Beginn des Turniers hatte sie bekundet, dass sie einen Teil ihres Gewinnes spenden werde. Das Geld sollte dem Kampf gegen nicht artgerechte Schweine-Massentierhaltung in den USA zugutekommen. Ein paar Tage vor dem Turnier habe sie einen Tweet „über einen weiteren Fall von unnötig schlechter Behandlung von Schweinen aus Massentierhaltung in Amerika“ gesehen, berichtet Boeree, „der so erbärmlich war, dass ich ihn nicht mehr aus dem Kopf bekam. Mir ging das bis zum ersten Morgen des Turniers nicht mehr aus dem Kopf. Als ich unter der Dusche versuchte, mich auf das Spiel vorzubereiten, versprach ich dann dem Universum laut, zwanzig Prozent meines Gewinnes zu spenden, um die Bedingungen für Tiere in Massentierhaltung zu verbessern“.

„Man kann mich für verrückt halten“, räumt Boeree ein

540.000 Euro flossen nun an eine Organisation, die sich dem Tierwohl widmet und man darf annehmen, dass Boeree das Geld mit ihrer großen Geste bestmöglich eingesetzt hat. Sie versteht sich als Philanthropin und hat 2014 „Raising for Effective Giving“ (REG) mitbegründet, eine gemeinnützige Forschungs- und Beratungsorganisation, die die Philosophien und Strategien des Effektiven Altruismus nutzt, um die weltweit wirkungsvollsten Wohltätigkeitsorganisationen zu identifizieren und Geld für sie zu sammeln.

Boeree selbst zieht indes nach dem größten Einzelgewinn ihrer Karriere so etwas wie Fügung oder Übersinnliches in Betracht, das ihr diesen überraschenden Erfolg bescherte. „Was auch immer“, sagt sie, „hier bin ich so weit, dass man mich für verrückt halten könnte … Aber ich beginne zu glauben, dass dieses Ergebnis zum Teil deshalb zustande kam, weil irgendetwas wollte, sei es das Spiel oder der Geist von Win-Win selbst, dass es nach meinem Schwur unter der Dusche passiert“.

Das einzige andere Mal, sagt sie, als sie im Vorfeld eines Turniers eine große Spendenzusage für wohltätige Zwecke gemacht habe, „habe ich mit Igor das World Series of Poker Bracelet gewonnen“. Der Russe Igor Kurganov ist ihr Mann, der auch über Jahre ein sehr erfolgreicher Pokerspieler war. Damals spendete sie 50 Prozent des Gewinns.

„Man kann von diesen Anekdoten halten, was man will“, sinniert Boeree, „ich aber persönlich bin davon überzeugt. Sie zeigen, dass selbst ein Nullsummenspiel wie Poker positive externe Effekte haben kann, wenn man sich dafür entscheidet. Und da es beim Sinn des Lebens darum geht, einen Sinn im Leben zu finden, glaube ich, dass es selbst in dieser Welt, in der so viel Leid herrscht, eine spielerische, spielfreudige Kraft da draußen – oder in uns – gibt, die will, dass großartige, wohlwollende Dinge geschehen. Ich nenne diese Kraft Win-Win.“

Mein Gehirn war komisch langsam

Ein Freund hatte Boeree ans Herz gelegt, doch wieder mal an den Pokertisch zurückzukehren. Die Aussicht auf einen exorbitant hohen Gewinn tat dann wohl ihr Übriges. Dass sie aber ad hoc wieder derart erfolgreich sein würde, überraschte sie selbst – und verstärkte ihren Glauben an höhere Mächte wie an sich selbst. „Es lag definitiv nicht am Üben oder Lernen: Ich habe in den letzten fünf Jahren nur eine Handvoll Mal gespielt, und mein Gehirn war bei den mentalen Berechnungen, die ich früher mit Leichtigkeit durchführen konnte, komisch langsam. Aber vielleicht war dieser Mangel an Vorbereitung genau das, was ich brauchte, denn ich fühlte mich endlich frei, mein bevorzugtes Spiel zu spielen: intuitiv, spielerisch und unvorhersehbar“, erzählte sie.

Ihre zwischenzeitlich erloschene Leidenschaft für Pokerduelle hatte dagegen damit zu tun, dass modernes Poker viel schwieriger zu spielen ist als früher. Boeree berichtete, dass Aufkommen von „Solver“-Software, die GTO-Lösungen (Game Theory Optimal) für jedes erdenkliche Szenario berechnet, habe das Spiel „von der gefühlsbetonten Straßenintelligenz früherer Tage in eine rigorose, studienorientierte Praxis des Auswendiglernens verwandelt. An sich keine schlechte Sache, aber die langen Stunden des trockenen klinischen Studiums passten nicht gerade zu jemandem, der wie ich bereits am Rande des Burn-outs stand. Außerdem demokratisierten diese Löser die Strategien, die einst die Profis von den Amateuren unterschieden hatten, und nahmen mir so immer mehr von meinem Vorsprung“.

Aber es habe auch „einen tieferen Grund“ dafür gegeben, dass sie „in eine so dunkle Ecke“ geraten sei: „Die Publikumsbindung. Ich war so sehr darauf angewiesen, von anderen als ,Profi‘ gesehen, als Spieler respektiert und gefürchtet zu werden, dass meine Identität wie ein schwarzes Loch geworden war, das jede Verspieltheit auffraß, die ich einst empfunden hatte, wenn ich mich an einen Tisch setzte. Am Ende löste die bloße Erwähnung des Pokerspiels eine negative Reaktion in meinem Körper aus. Wie dem auch sei, ich freue mich, dass sich der Kreis dieser Hassliebe anscheinend geschlossen hat.“

Sie wolle nun in nächster Zeit nicht wieder zum Profi werden, „zumindest nicht im alten Sinne“, sagt sie: „Aber ich habe definitiv wieder eine neue Liebe für das Spiel entwickelt und würde gerne mehr Punkte sammeln, also werde ich wahrscheinlich im kommenden Jahr ein paar mehr Turniere spielen.“

Patrick Krull ist WELT-Sportredakteur. An die Skatkünste seines Vaters ist er einst nicht mal gedanklich herangekommen, sein Spektrum reichte früher gerade mal bis Mau-Mau. Seit ein paar Jahren feiert er sich dann und wann mal selbst, wenn er im Kreise der Familie überraschend eine Partie Uno gewinnt.

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