Bezirke

Podiumsdiskussion zur Wahl: „Seit 45 Jahren von deutschen, weißen Männern diskriminiert“ | ABC-Z

München – Eigentlich schien die Gesellschaft offener, toleranter und fortschrittlicher zu werden – doch für queere Menschen fühlt sich die Realität heute anders an. Eine feindselige Stimmung nimmt zu, LGBTQ-Rechte werden infrage gestellt, Hassverbrechen häufen sich. Am Freitagabend haben im Presseclub am Marienplatz Vertreter von Grünen, CSU, FDP, SPD und Linken darüber diskutiert, wie die Lebenssituation für queere Menschen verbessert werden könnte.

Podiumsdiskussion zur Bundestagswahl: „Seit 45 Jahren werde ich von deutschen, weißen Männern diskriminiert“

Die CSU wolle der queeren Community vor allem Sicherheit bieten, sagte Anja Burkhardt, Kandidatin der Landesliste für die CSU. Angesichts der jüngsten Entscheidung von Union und FDP, gemeinsam mit der AfD für eine Verschärfung des Asylrechts zu stimmen, widersprach Grünen-Direktkandidat Frederik Ostermeier: „Das Gefühl der Sicherheit vermittelt man nicht, indem man mit Rechts sympathisiert – da passiert das Gegenteil.“ Burkhardt verteidigte ihre Partei: „Wir sympathisieren nicht mit Rechts, die haben mit uns gestimmt.“

Die CSU-Politikerin sieht aber einen Zusammenhang zwischen Unsicherheit und Zuwanderung: „Wir müssen die illegale Migration begrenzen, um zu wissen, wer ins Land kommt.“ Migration habe damit überhaupt nichts zu tun, fand hingegen SPD-Stadträtin Micky Wenngatz. „Ich lebe seit 45 Jahren in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung. Und seit 45 Jahren werde ich von deutschen, weißen Männern diskriminiert.“ Ostermeier (Grüne) forderte: „Es muss aufhören, dass Zuwanderung, Migration und Kriminalität in einen Topf geworfen werden.“

Straftaten auf queere Menschen verzehnfacht

Seit 2010 hat sich die Zahl der Straftaten auf queere Menschen verzehnfacht, zitierte Moderator Bernd Müller aus dem Lagebericht des Innenministeriums. Micky Wenngatz sieht die Ursache vor allem in der gesellschaftlichen Entwicklung: „Hass und Hetze werden normalisiert und in manchen Bereichen nicht ausreichend sanktioniert.“

Wer trägt die Verantwortung für die zunehmende Gewalt? Moritz Fingerle, stellvertretender Vorsitzender des FDP-Stadtverbandes, sagte: „Im gesamten Westen erleben wir einen Verfall von Anstand in der Öffentlichkeit.“ Menschen von allen Seiten würden sich nicht mehr benehmen. Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass der politische Islamismus ein großes Problem sei.

Bernd Müller bezieht sich auf Erhebungen des Innenministeriums und sagt, zwei Drittel der queerphoben Übergriffe würden von weißen Männern begangen. Besonders stark betroffen von Hass und Hetze sind demnach Transpersonen. Moritz Fingerle sieht den Einfluss der feindseligen Stimmung in den USA als zentralen Faktor.

Transpersonen besonders von Übergriffen betroffen

Linken-Kandidatin Sarah Vollath sagte: „Erstmal macht den entsprechenden Leuten alles, was neu ist, Angst, und wir haben ein System, das das unterstützt.“ Die öffentliche Debatte um eine Drag-Queen-Lesung in München im vergangenen Jahr habe gezeigt, dass Menschen in starre Rollenbilder gepresst werden. „Allein die Tatsache, dass öffentlich diskutiert wurde, ob Kinder daran teilnehmen dürfen, ist absurd“, meint Linke-Kandidatin Vollath. Frederik Ostermeier appellierte an die queere Community: „Wir müssen zusammenstehen!“

Ein zentrales Thema des Abends war die Forderung, den Schutz queerer Menschen in Artikel 3 des Grundgesetzes aufzunehmen. Dort sind derzeit unter anderem das Geschlecht, die Herkunft und die Religion als Diskriminierungsmerkmale aufgeführt – nicht jedoch die sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität. „Nur die Verankerung im Grundgesetz sorgt dafür, dass der Staat aktiv gegen Diskriminierung vorgehen muss“, betonte Wenngatz.

Drag-King Eric BigClit (l) und Drag-Queen Vicky Voyage nehmen nach der Lesung in der Münchner Stadtbibliothek an einer Pressekonferenz teil.
Drag-King Eric BigClit (l) und Drag-Queen Vicky Voyage nehmen nach der Lesung in der Münchner Stadtbibliothek an einer Pressekonferenz teil.
© Sven Hoppe/dpa
Drag-King Eric BigClit (l) und Drag-Queen Vicky Voyage nehmen nach der Lesung in der Münchner Stadtbibliothek an einer Pressekonferenz teil.

von Sven Hoppe/dpa

„}“>

Linken-Politikerin Sarah Vollath warnte: „Für eine Grundgesetzänderung braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Sollte die AfD stärker werden, ist eine solche Änderung schlicht nicht mehr möglich.“ Und nicht nur Mitglieder der AfD seien gegen die Änderung.

10 bis 20 Prozent queere AfD-Wähler: „Es werden Ängste geschürt“

Auch die Anfeindungen gegen queere Geflüchtete wurden thematisiert. Ostermeier betonte, dass queere Menschen in Unterkünften oft nicht ausreichend geschützt seien. Besser wäre eine dezentrale Unterbringung. CSU-Politikerin Burkhardt zeigte sich skeptisch: „Natürlich wäre es schön, wenn jeder eine eigene Wohnung hätte, aber das ist nicht möglich. Die Menschen müssen erst einmal irgendwo untergebracht werden.“

In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum brachte ein Zuhörer noch ein heikles Thema auf: Laut einer Studie wählen 10 bis 20 Prozent der queeren Community die AfD. „Wie bekommen wir die zurück?“, fragte er. Moritz Fingerle betonte, dass es sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem handele. Linken-Politikerin Vollath ergänzte: „Es werden Ängste geschürt, dass Migranten queerfeindlich sind. Warum sollte das nicht auch schwule Männer verunsichern?“

 

Bundesweite Kundgebung für Vielfalt, Akzeptanz und Gleichberechtigung

Die Podiumsdiskussion fand im Rahmen der Kampagne „Wähl Liebe“ der deutschen Christopher- Street-Day-Organisationen (CSD) zur Bundestagswahl statt. Sie rufen dazu auf, am 23. Februar demokratische Parteien zu wählen, die für Vielfalt, Akzeptanz und Gleichberechtigung stehen. Die Kampagne fordert die Änderung des Artikels 2, außerdem eine finanzielle Absicherung queerer Projekte und verstärkte Maßnahmen gegen Hasskriminalität und Hassrede.

Am 15. Februar um 5 vor 12 Uhr versammeln sich LGBTIQ-Organisationen am Gärtnerplatz zu einer Kundgebung.

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"