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Podcast “Hateland” von Louis Klamroth: Gestohlene Waffen, bis heute verschwunden – Medien | ABC-Z

Um den radikalen Teil der deutschen Gesellschaft soll es gehen in dem auf mehrere Staffeln angelegten Podcasts „Hateland“. In jeder dieser Staffeln werde ein neuer Komplex erläutert. So erklärt es der Gastgeber Louis Klamroth in der ersten Folge dieser Koproduktion von WDR und NDR, die jedoch die Nummerierung „Episode 0“ trägt. Das klingt ein wenig affektiert, doch es hat einen Sinn. Dieser Auftakt ist mehr als ein Teaser, aber noch keine eigenständige Folge, in der bereits Rechercheergebnisse präsentiert werden.

Dramaturgisch ist das keine schlechte Idee. Acht Minuten ist die nullte Folge kurz, der Investigativreporter Martin Kaul berichtet von einem Treffen im Berliner Tiergarten mit einem Geheimagenten und deutet an, dass er dort wertvolle Informationen erhalten habe. Für Spannung ist also gleich gesorgt, das Milieu definiert. Aber dann erklären Klamroth und Kaul erst einmal, was sie hier vorhaben: die Geschichte einer Radikalisierung zu beschreiben und auch zu verstehen.

Für diese erste Staffel mit dem Titel „Deep State – Vom Elite-Soldaten zum Reichsbürger“ hat der Reporter zwei Jahre lang recherchiert. Zur „Patriotischen Union“, der Reichsbürgergruppe um Heinrich Prinz Reuß, aus der und deren Umfeld sich derzeit rund zwei Dutzend Personen vor Gericht verantworten müssen. Die Vorwürfe lauten unter anderem auf Bildung einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung eines Staatsstreichs. Kaul interessiert sich vor allem für einen der Angeklagten: Rüdiger von Pescatore, ein ehemaliger, unehrenhaft aus der Armee entlassener Elite-Soldat.

Der Reporter hat oft seinen Hund dabei. Das soll ihn harmlos wirken lassen

Den Gastgeber Louis Klamroth wird man erst wieder in der finalen Folge hören, die Ende September produziert und am 20. Oktober 2025 in der ARD-Audiothek veröffentlicht werden soll. In ihr möchten Kaul und Klamroth die Rechercheergebnisse diskutieren, auf mögliche Reaktionen eingehen und eventuelle neue Entwicklungen thematisieren. Dieses Konzept ist keine Erfindung der beiden, aber bei investigativen Recherche-Podcasts bislang eher die Ausnahme. Insofern probiert „Hateland“ mit dieser Klammer aus Episode 0 und einem abschließenden Talk alternative Wege des Erzählens.

Der große Mittelteil, bestehend aus den Folgen eins bis sechs, ist jedoch klassisches Podcast-Handwerk – auf extrem gutem Niveau. Im Unterschied zu traditionellen Radiofeatures ist bei Podcasts ja immer auch der Entstehungsprozess Thema. Martin Kaul erzählt, wie er mit seinem Bus durch Deutschland fährt, oft hat er seinen Hund Holly dabei. Immer wieder ist er zu hören, wie er Nachbarn von Tatverdächtigen anspricht, mögliche Zeugen von relevanten Ereignissen. Kaul nennt Holly seinen Recherchehund, weil das Tier ihm hilft, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, und die Skepsis vor ihm, dem Fremden, zu verringern. „Was ist unauffälliger als ein Mann mit Hund?“, erklärt Kaul seine Strategie.

Und so erfährt man in „Hateland“ auch einiges darüber, wie man das eigentlich macht: zu einer Geschichte über Terrorismus zu recherchieren. Kaul arbeitet nicht undercover, er gibt sich stets rasch als der zu erkennen, der er ist. Einige entscheidende Informationen und Materialien sammelt er auf diese Weise ein, indem er einfach an Türen klingelt – und die Menschen trotzdem nicht überrumpelt, sondern ihr Vertrauen gewinnt. Das andere, was ihm mindestens ebenso sehr zunutze kommt, ist sein Netzwerk, das er sich über Jahre aufgebaut hat in den Geheimdiensten, bei der Polizei und bei Staatsanwaltschaften. Er verfügt für diesen Podcast über sehr gute Quellen.

Und so zeichnet er den Weg des inzwischen 72-jährigen Rüdiger von Pescatore nach, der einst Oberstleutnant bei der Bundeswehr war und Kommandeur eines Fallschirmjägerbataillons – ein Elite-Soldat. In den Neunzigerjahren war er Leiter des Projekts „Ausbildungssatz Fremdwaffen“. Fremdwaffen werden Polizei- und Armeewaffen aus den Beständen der ehemaligen DDR genannt, die man in der Bundeswehr zu Ausbildungszwecken genutzt hat. Weil von Pescatore eine nennenswerte Zahl davon abgezweigt hat, ist er verurteilt und aus der Armee entlassen worden. Ein Teil dieser Schusswaffen, die seinerzeit verschwunden sind – eine dreistellige Zahl –, ist bis heute nicht wieder aufgetaucht.

Die militärische Führungskraft der „Patriotischen Union“ hat einst Waffen der Bundeswehr entwendet

Immer wieder kehrt Kaul zu seinen zwei Kernfragen zurück. Die erste: Weshalb hat Rüdiger von Pescatore sich radikalisiert? Die lässt sich nur sehr schwer beantworten, ein stark esoterisch geprägter Verschwörungsglaube spielt offenbar jedoch eine zentrale Rolle. Die zweite ist: War die Gruppe um Prinz Reuß wirklich gefährlich? Dazu hat Martin Kaul eine dezidierte Meinung, und für die liefert er Belege.

Entscheidend ist für ihn nicht, ob ein möglicher Staatsstreich tatsächlich eine Chance auf Erfolg gehabt hätte. Sondern, ob diese „Patriotische Union“ bloß ein Stammtisch von Wirrköpfen war oder tatsächlich eine terroristische Gruppierung. Nicht die Schlagkraft, die womöglich aber doch für eine Eskalation, vergleichbar mit der Erstürmung des Kapitols in den USA, gereicht hätte, sondern der mutmaßliche Charakter dieser Union ist maßgeblich. Warum der doch sehr gefährlich war, kann er speziell am Handeln Rüdiger von Pescatores nachvollziehbar erläutern.

(Foto: WDR/David Jayne)

Hateland. Deep State – Vom Elite-Soldaten zum Reichsbürger, acht Folgen, ARD Audiothek.

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