Geopolitik

Koalition: Vier Freunde sollen sie sein | ABC-Z

Zu behaupten, Deutschland habe auf
diesen Moment hin gefiebert, sehnsuchtsvoll gar auf diese neue kleine große
Koalition gewartet, wäre wahrscheinlich eine ziemliche Übertreibung.
Unbeeindruckt jedenfalls schiebt sich noch in den Mittagsstunden der
Pendlerverkehr am Konrad-Adenauer-Haus in Berlin vorbei. Jogger sind unterwegs
in den Tiergarten und haben ihre Pulsuhren im Blick – nicht aber die
CDU-Parteizentrale, wo gerade die Koalitionsgespräche zwischen Union und SPD in
ihre allerletzte Runde gehen.

Nur die Hauptstadtpresse lagert schon
seit Stunden auf Campingstühlen und mit Laptops hier herum und lauert, wann
denn wohl die Spitzen von Union und SPD kommen – und vor allem, wann sie
endlich das Signal geben, dass der Koalitionsvertrag rund sieben Wochen nach
der Bundestagswahl am 23. Februar endlich fertig ist. Es würde ein guter Tag
für Deutschland, scherzt Markus Söder im Vorbeigehen. Und natürlich auch für
Bayern, wie er unbedingt noch hinzufügen muss.

Dann geht alles ziemlich schnell. Und
pünktlich, wie versprochen, stehen die Hauptfiguren der neuen Regierung um 15
Uhr vor einer grauen Wand im Paul-Löbe-Haus
des Bundestags. Also Friedrich
Merz, Söder, Lars Klingbeil und Saskia Esken. Früher, das wird sofort klar, war
mehr Pomp, mehr Selbstinszenierung. Als die Ampel im Oktober 2021 ihren
Koalitionsvertrag (PDF) präsentierte, war es ihr wichtig, sich einen Namen
(Fortschrittskoalition) zu geben, eine Botschaft (Aufbruch) und vor allem die
eine oder andere Zukunftsvision (“Mehr Fortschritt wagen”) zu vermitteln. Sie
mietete dafür eine schicke Location am Berliner Westhafen und FDP-Chef
Christian Lindner gab sogar eine Art Liebeserklärung an Olaf Scholz ab. Wie das Ganze drei Jahre später endete, ist bekannt.

Schwarz-Rot
des designierten Kanzlers Merz dagegen kommt nun bodenständiger, fast ein wenig
ernüchtert daher. Und auch ihr Koalitionsvertrag trägt eher eine Art
Arbeitstitel: “Verantwortung für Deutschland”. Ist das jetzt der so vollmundig
von Merz angekündigte Politikwechsel oder nicht doch eine
Selbstverständlichkeit
? Was soll denn eine Regierung sonst übernehmen, wenn
nicht Verantwortung für ihr Land?

Ein fast bescheidener Merz

Aber dieser fast
bescheiden anmutende Start ist natürlich den krisenhaften Umständen geschuldet.
Die Zeiten (Donald Trump, Aktieneinbrüche nach etlichen Zollerlassen, Krieg in der
Ukraine) sind zu ernst für Brimborium. In der Krise scheint es nun vor allem
wichtig, sich in der künftigen Arbeit auf das Wesentliche zu konzentrieren,
schnell fertig zu werden – und eine hoffentlich handlungsfähige Regierung zu
bilden.  

Längst tritt
auch Merz nicht mehr als der schneidige Macher auf, der im Handstreich alles ändern
will. Das Ziel, das
er nun ausgibt, klingt gemessen an seiner üblichen Breite-Brust-Rhetorik fast
bescheiden: “Wir wollen ein Land sein, das es einfach wieder besser macht.” So
als würde er fortan ein Unternehmen führen und nicht eine Gesellschaft mit mehr
als 80 Millionen Menschen. Merz aber weiß, dass die eigene Mehrheit, die ihn Anfang
Mai zum Kanzler wählen soll, äußerst dünn ist. Deshalb wirkt er am heutigen Tag
zurückhaltend und lässt anklingen, dass er es sich gewünscht hätte, seine
Regierung hätte sich erst auf Reformen verständigt und dann neue Milliardenschulden
beschlossen. Gut, es kam anders. So ähnlich hätte es auch Angela Merkel
formulieren können. Am kräftigsten noch klingt seine Botschaft an Trump, die er auf Englisch vorträgt: “Germany is back on track.”

Überhaupt
Merkel. Eigentlich wollte Merz ja alles anders machen als seine Vorvorgängerin
im Amt. Heute aber ziehen dann doch ganz mächtige Merkel-Vibes durch den
Bundestag. Und das hat mehrere Gründe: zuallererst wahrscheinlich, dass das
künftige Bündnis keine neoliberale Seele mehr haben wird, sondern eher eine christlich-soziale.

Sowohl SPD als auch
CSU nämlich haben sich weitgehend durchgesetzt. Schwarz-Rot wird kaum jemandem
etwas wegnehmen, sondern stattdessen viele Wohltaten verteilen: Mütterrente,
Gastro-Steuer, Agrardiesel, Pendlerpauschale, steuerfreie Überstundenzuschläge
sowie die steuerfreie Aktivrente, Milliardeninvestitionen in die
Infrastruktur, Senkung der Energiekosten, höhere Abschreibungsmöglichkeiten für
Unternehmen, E-Auto-Prämie, höherer Mindestlohn bis 2026, stabiles
Rentenniveau, Tariftreuegesetz, kostenloses Mittagessen in Kitas und Schulen,
mehr sozialer Wohnungsbau, eine Reform der Einkommenssteuer für kleinere und
mittlere Unternehmen und noch vieles mehr.

“Liebe vergeht, Hektar besteht”

Merz pur
dagegen muss man in diesem Koalitionsvertrag mit der Lupe suchen. Auch wenn die
Union behaupten wird, dass die Migrationswende nun kommen wird, geht sie nur
ein wenig über die Maßnahmen hinaus, die auch die Ampel schon zur Begrenzung
der illegalen Migration begonnen hat. Und was es konkret heißt, dass das
Bürgergeld nun nicht mehr Bürgergeld heißt, ist auch noch nicht wirklich klar. Ebenso
wie all das, was Schwarz-Rot in Sachen Klimaschutz plant.

Und so ist es
auch eher SPD-Chef Klingbeil, der, während Merz vorwiegend die Beschlüsse wie Spiegelstriche herunterrattert, dem Ganzen etwas mehr Pathos zu verleihen versucht. Der wohl
nächste Vizekanzler spricht sogar von einer “Neuvermessung der Welt”, in der
Deutschland seine Rolle erst finden müsse. Er spricht von seiner Generation, Frieden
und der Aufgabe, “Brücken zu bauen”. Damit meint er wortwörtlich die geplanten Milliardeninvestitionen
– und metaphorisch, das aufgewühlte Land zu einen und zu beruhigen. Und
hoffentlich den Höhenflug der AfD zu stoppen.

Gut möglich,
dass das dieser weitgehend visionsfreien neuen Regierung besser gelingen kann
als der Ampel. Denn mit neuen Zumutungen und zu viel umstürzenden
Neuerungsideen wartet Schwarz-Rot jedenfalls nicht auf. Eher klingt alles sehr
solide, nach praktischer Politik ohne allzu ideellen Überschuss.

Nach Klingbeil
ist endlich CSU-Chef Söder dran, sein Redebeitrag ist der längste und leider der
albernste. Er witzelt über die “neue Duz-Freundschaft” zwischen Merz und
Klingbeil, die sich “zärtlich entwickelt” habe. Und er lässt anklingen, wie
sich seine CSU und die SPD in den Verhandlungen gegenseitig abgesichert haben,
etwa in der Rentenpolitik. Stichwort: Mütterrente und stabiles Rentenniveau. Um eine Liebesheirat gehe es hier schließlich nicht, sagt Söder wieder witzelnd und bemüht eine Weisheit aus der Landwirtschaft: “Liebe vergeht, Hektar besteht.” Auch das darf als Bekenntnis zum pragmatischen Wesen dieses Bündnisses verstanden werden. Und doch waren sie da wieder, die alten Groko-Rollen: ein milder CDU-Chef, ein um große
Worte bemühter SPD-Chef und ein clownesker CSU-Chef. Sie alle wollen viel Geld
ausgeben und versprechen, sich weniger zu streiten als die olle Ampel.

Und am Ende
sprach noch Saskia Esken, Klingbeils Co-Parteichefin. Sie erwähnt dann, was den
anderen bisher kaum ein Wort wert war: den Klimaschutz, den die neue große
Koalition ebenfalls im Blick haben werde. Und sie kündigt an, das Bafög erhöhen
und eine WG-Garantie einführen zu wollen, so wie es vor allem die Jusos im Wahlkampf gefordert hatten.

Ob das
alles allerdings gelingen kann, ist noch fraglich. Denn die Finanzierung vieler der
im Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen steht weiterhin unter Vorbehalt.
Klingbeil sprach davon, dass man unterschieden habe zwischen “wir wollen” und
“wir werden”. Das zumindest ließ kurz aufhorchen, denn so war auch die Ampel
seinerzeit gestartet, und gerade die Konflikte ums leidige Geld waren es dann,
die das Dreierbündnis auseinanderbrechen ließen. Letztlich wird sich auch die
neue kleine Groko später nur an einer Sache messen lassen müssen: Nicht an dem, was sie wollte, sondern dem,
was sie wurde.

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