Philharmonie Starnberger See: Ein Orchester auf dem richtigen Weg – Starnberg | ABC-Z

Mozart war ein Genie – das steht außer Frage. Umso mehr überrascht es immer wieder, wie unverkopft und leicht zugänglich seine Musik daherkommt. Seine Erfindungsgabe scheint genauso virtuos und spontan gewesen zu sein wie seine Tastenbeherrschung.
Dass der künstlerische Leiter Anton Bernhard am Pult der Philharmonie Starnberger See dessen Ouvertüre zu „Le nozze di Figaro“ D-Dur KV 492 an den Programmanfang gesetzt hat, war so logisch wie praktisch. Mit einem frischen, vitalen Zugriff lockert diese Ouvertüre jede Verkrampfung und löst jegliche Anspannung. Nicht nur bei den meist jungen Amateurmusikern, die sich damit auf relativ sicherem Terrain freispielen konnten. Auch die Zuhörer wurden damit aus ihrem Alltag abgeholt und von der Musizierfreude des Orchesters mitgerissen. Und nach einem ausverkauften Konzert im Pöckinger Beccult am Freitag blieb am Samstag beim Auftritt in der Starnberger Schlossberghalle auch kein Stuhl frei.
Nach nur vier Jahren hat der Starnberger Raum also definitiv ein eigenes symphonisches Orchester, auch wenn die Bläser bisher nicht gänzlich aus eigenen Reihen besetzt werden können. Hinzukäufe sind aber in dem Fach nicht unüblich.
Trotz des lockeren, gelösten Musizierens bedeutet es aber nicht, dass Mozarts Ouvertüre ein Kinderspiel wäre. Die leichte Wirkung stellt sich nur ein, wenn das Orchester einhellig und homogen agiert, was gerade bei den im Unterbau wirbelnden Streichern schon sehr präzis ausgeführt werden musste, daher vom ersten Ton an eine hohe Konzentration verlangte. Mozart setzte zudem viele Akzente in den musikalischen Fluss, die es Bernhard souverän gelang, sicher und entschieden zu pointieren.
Die klare, transparente Strukturierung des Werkes war denn auch eine hervorragende Vorübung für das nachfolgende Violinkonzert Nr.1 g-Moll op. 26 von Max Bruch, das den Mitwirkenden aufgrund der virtuosen Freiheit der Solistenstimme höchste Aufmerksamkeit und Wendigkeit abverlangte. Der erst 22-jährige Geiger Maurice Poschenrieder ließ es sich trotzdem nicht nehmen, sein Debüt als Solist zu genießen, schon nah am Rande zum Übermut. Sein sicheres Spiel lieferte zugleich aber auch klare Ansagen in Richtung Orchester, die Bernhard den Freiraum gaben, tiefer in die Arbeit an Atmosphäre und Farbigkeit einzusteigen.
Mit seinen 26 Jahren hat Bruch mit Unterstützung des Meistergeigers seiner Zeit, Joseph Joachim, seinen größten und bis heute populärsten Geniestreich vorgelegt. Und die Qualität des Werkes basiert vor allem darauf, dass alles eine schlüssige Einheit bildet und selbst die virtuose Brillanz der Solostimme kein Selbstzweck ist. Das ist gerade im Kopfsatz wichtig, weil der Spannungsbogen per Überleitung zum zweiten Satz in sehnsuchtsvollem Schöngesang mündet, der hier mit all seiner Poesie und berührenden Seelentiefe begeisterte.
Das Orchester folgte Bernhards klarer Führung und zauberte die nötige Atmosphäre, in der Poschenrieder auch seine lyrische Seite offenbaren konnte. Im dritten Satz die Zügel etwas zu lockern, war sicher kein Fehler, machte sich doch in der schwungvollen Verve auch wieder die mozartische Euphorie, diesmal allerdings im festlichen Kolorit breit. Für Poschenrieder eine Motivation, schmissig und temperamentvoll violinistische Bravour zu entfalten.
Bernhard dachte nicht daran, auf Sicherheit zu setzen, und wagte große Klangfluten und Rubato-Effekte
Dass er von Ermüdung noch weit entfernt war, zeigte dann auch seine Zugabe nach frenetischen Ovationen. Die Ballade genannte Solosonate d-Moll op.27/3 des legendären belgischen Geigers Eugène Ysaÿe ist mit ihrer Komplexität in der Synthese bachscher Polyfonie und spätromantischer Atmosphäre eine enorme Herausforderung, in der Poschenrieder vor allem mit transparenter Stimmführung brillierte.
Für die Philharmonie Starnberger See war es mit den Herausforderungen aber noch nicht vorbei. Auch wenn die Sinfonie Nr. 9 e-Moll „Aus der Neuen Welt“ op. 95 von Antonín Dvořák sehr populär ist, sagt es nichts über ihren Schwierigkeitsgrad aus. Dvořák kreierte für diese Sinfonie eine lange Reihe von kongenial einprägsamen Melodien, die alle eine eigene Atmosphäre und Farbigkeit verlangen. Und Bernhard dachte nicht daran, auf Sicherheit zu setzen. Er wagte weite Rücknahmen, große Klangfluten, Rubato-Effekte, empfindsame Klangspiele und vieles mehr, um dem gestalterisch überreichen Werk gerecht zu werden.
Abgesehen von kleinen Intonationsunsicherheiten in den leisen, zarten Passagen, war das Wagnis zweifelsohne von Erfolg gekrönt. Es entstanden schlüssig hervorgehende und einhellig gezeichnete Bilder, die nicht nur im Scherzo noch ohne Ermüdungserscheinungen Beherztheit und rhythmische Schärfe behielten, sondern auch im Schlusssatz mit wuchtiger Kraft, aber auch konzentrierten Rücknahmen bestachen. Dass seit dem ersten Konzert immer dieselbe Zugabe gespielt wird, ist eine Art Gradmesser für die Entwicklung des Orchesters. „Nimrod“ aus den Enigma-Variationen von Edward Elgar ist außerdem ein geeigneter Absacker für die Konzertbesucher, die damit von den Ereignissen des Konzertabends entspannt und in warmer Klangschönheit entlassen werden.