Pét Nat: Der passende Schaumwein für Wichtigtuer | ABC-Z

Der Abend nähert sich dem Ende. Wir haben die Theke wieder aufgefüllt, die Siebträgermaschine geputzt, ein paar Gäste sitzen noch betrunken vor ihrem letzten Glas Wein. Feierabend für uns. Wir ziehen das abgegriffene Phase-10-Spiel unter dem CD-Spieler hinter dem Tresen raus. Unser Chef fragt: „Und welche Flasche ziehen wir jetzt dazu auf?“ Wir haben immer die gleiche Antwort: Pét Nat!
Ich habe nicht nachgezählt, wie viele dieser Abende es gab. Nach unserer Schicht blieben wir meist noch zu dritt in dem kleinen Restaurant: mein Chef, meine Kollegin und ich. Mit meiner Kollegin bin ich seit sechs Jahren befreundet, sie ist ein gutes Jahrzehnt älter als ich. Während sie bei Seminaren gelernt hat, wie man Riesling von Chardonnay unterscheidet, bin ich noch auf dem Pausenhof herumgelaufen. Alles, was ich über Wein weiß, weiß ich von ihr. Sie ist ausgebildete Restaurantfachfrau, ich gelernter Laie. Wenn wir gemeinsam essen gehen, fragt sie mich pro forma: „Weiß oder Rot? Fruchtig oder eher trocken? Was Schweres oder was Leichtes?“ Natürlich sucht sie die Flasche aus. Die Hackordnung ist klar, und ich bin gewillt, mich unterzuordnen.
Der Ursprung des Schaumweins
Die einzige Ausnahme ist Pét Nat. Da konnte ich tatsächlich einmal ungeahnt glänzen. Als ich nämlich an einem Abend meinte: „Diese Flasche Pét Nat ist viel heller als die anderen!“ Sie war beeindruckt: „Digga, heftig, das hast du gut erkannt.“ Dass sie mich im Zusammenhang mit Wein lobte, war unglaublich. Mein Weinwissen war plötzlich nicht mehr ganz so mickrig. Dieser Schaumwein war auf meiner Seite.
Hier kommt, was ich über Pét Nat weiß: Der Begriff steht für Pétillant Naturel, „natürlich sprudelnd“. Es ist ein Schaumwein mit einer französischen Herstellungsart, die Méthode Ancestrale. Oft wird er als erster Schaumwein der Welt bezeichnet. Der Wein wird während der ersten Gärung abgefüllt und gärt in der Flasche nach. Der zweite Gärprozess kommt im Gegensatz zum Champagner ohne zusätzliche Hefe und Zucker aus.
Die Kohlensäure entsteht nur durch den Most, der in der Flasche ist. Es ist der ideale Feierabend-Drink. Der Wein reicht von leicht moussierend zu stark sprudelnd, er sorgt also nicht für eine Staubwüste im Mund, er hat bubbles. Ein Bekannter sagte mir mal, er mache seine Flaschen nur noch in der Dusche auf. Die Hälfte der Flaschen würde beim Öffnen durch die Gegend spritzen.
Man weiß nie, was man bekommt
Die meisten Pét Nats stammen von einer neuen Generation junger österreichischer Winzer. Eine Flasche kostet in der Regel zwischen zehn und 25 Euro. Interessant an diesem Schaumwein ist, dass man nie so genau weiß, was am Ende im Glas landet. Jede Flasche überrascht aufs Neue – oder wie ich es im Restaurant unseren Gästen verkauft habe: „Das ist Spontangärung.“
Für jemanden wie mich, der erstens keine Ahnung von Wein hat und zweitens kein Fan von Naturweinen ist, ist die Wundertüte Pét Nat perfekt, um sich trotzdem als Kenner auszugeben – ob nun vor oder hinter dem Tresen. In der Regel findet man den Pét Nat nämlich nicht im Restaurant nebenan. Er wird in Tagesbars serviert, im Bioweinladen oder im Pop-up-Lokal.
Die Kellner heißen in diesen Läden Gastgeber. Sie fragen nicht: „Wie schmeckt er Ihnen?“, sondern „Der macht Spaß, oder?“. Meistens kommt der Pét Nat im 0,1-Liter-Sektglas daher. Wenn ich als Gast kundig wirken will, frage ich, ob ich bitte schön ein klassisches Weißweinglas bekommen könnte. Der Wein könne dann noch etwas mehr atmen.
Hauptsache, er schmeckt
Unser Stamm-Pét-Nat im Restaurant hat eigentlich die Farbe von naturtrüber Apfelschorle, dazu ein leichtes Depot im Glas, frische Fruchtnoten. Wie über fast jeden Wein sage ich: „Riecht irgendwie nach Aprikose, leichter Pfirsich, vielleicht auch Anklänge von Zitrusfrüchten?“ (Das habe ich auf der Website eines Onlineshops nachgelesen.) Der Schaumwein ist ungefiltert, dadurch vollmundig und erfrischend. Oder wie ich es von meiner Kollegin gelernt habe: „Der schmeckt mir so gut, weil er einfach meinen Durst stillt.“
Die Farbe des Weins ist nicht immer gleich, mal ist der Wein sehr hell und fast schon klar, mal dunkler. So richtig verdient hatte ich das Lob meiner Kollegin daher nicht, ich hatte ja bloß die Augen aufgemacht, nichts geschmeckt. Aber ich nehme es natürlich – als der Hochstapler, der ich bin – an. Solange es sich um diesen Schaumwein handelt, kann ich schamlos über mich behaupten: Der junge Mann versteht etwas vom Fach.