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Personen der Woche: Deutschland durchzuckt ein beispielloser Rechtsruck – Alice Weidel und Friedrich Merz | ABC-Z


Person der Woche

Deutschland durchzuckt ein beispielloser Rechtsruck

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Die neuen Umfragen zeigen Erstaunliches: Plötzlich wollen mehr als die Hälfte der Deutschen CDU oder AfD wählen. Drei Gründe, warum die Brandmauer trotzdem nicht fällt, jeder AfD-Wähler am Ende die Politik grünlinker werden lässt. Und warum die FDP davon noch profitieren könnte.

Vor genau drei Jahren, es war am 14. Januar 2022, da meldete das Politbarometer 22 Prozent für die Union und 11 Prozent für die AfD. Beide Parteien wirkten angeschlagen und marginalisiert. Zwei Wochen später sank die Zustimmung zur AfD sogar auf 10 Prozent. Heute passiert das Gegenteil, beide Parteien strotzen vor wachsender Kraft. CDU und CSU liegen über der Marke von 30 Prozent, und die AfD hat nun die Schwelle von 20 Prozent überschritten. Damit würden derzeit mehr als die Hälfte der wählenden Deutschen entweder der Union oder den Rechtspopulisten ihre Stimme geben. Das linke Parteienspektrum schwächelt dagegen mächtig. Den Sozialdemokraten droht ein historisches Desaster, das schlechteste Ergebnis seit 1949; die Linkspartei erreicht wohl keine 5 Prozent mehr und das BSW taumelt dieser Marke ebenfalls entgegen. Kurzum: Deutschland erlebt den größten Rechtsruck in der Geschichte der Bundesrepublik.

Da das politische Momentum so massiv nach rechts drückt, wird aus dem rechtspopulistischen Milieu die Forderung nach einer Öffnung der Brandmauer immer lauter. Die CDU solle endlich den Weg für eine rechts-bürgerliche Koalition frei machen und “neuen Mehrheiten” den Weg ebnen. Doch das wird aus drei handfesten Gründen nicht passieren.

Erstens ist die Union knallhart im Wort. Friedrich Merz knüpft sogar seine gesamte Karriere an den Bestand der Brandmauer. “Ich wiederhole es zum Mitschreiben: Eine Zusammenarbeit unter meiner Führung wird es mit der AfD in Deutschland nicht geben.” Und weiter: “Wenn wir das machen würden, wir würden die Seele der CDU verkaufen.” Auf die Nachfrage, ob er dieses Versprechen halten könne, antwortet Merz: “Ich knüpfe mein Schicksal als Parteivorsitzender der CDU an diese Antwort.”

Die Brandmauer ist aus Sicht der Union nicht nur eine moralische Entscheidung (“Wir arbeiten nicht mit einer Partei zusammen, die ausländerfeindlich ist, die antisemitisch ist, die Rechtsradikale in ihren Reihen, die Kriminelle in ihren Reihen hält”). Auch machtpolitisch hat sie sich aus guten Gründen festgelegt. Die Entwicklung in anderen europäischen Staaten, insbesondere in Österreich, ist für CDU und CSU eine Mahnung, dass man Rechtspopulisten nicht den Weg in die Macht ebnen dürfe, weil man sonst selbst unter die Räder komme. Die Union steht auch deshalb derzeit so stark bei 30 Prozent, weil es die Brandmauer überhaupt gibt. Würde die Partei diese zur Disposition stellen, würde sofort Millionen von bürgerlichen Wählern aus dem Merkel-Milieu, aus sozialen, kirchengebundenen Kreisen und der liberalen Mitte abspringen. “Die Union hätte dann ganz rasch nur noch 20 Prozent hinter sich”, heißt es aus dem Adenauer-Haus. Die Brandmauer hat also eine machtpolitisch harte Komponente.

CDU-Grundgewissheiten passen nicht zur AfD

Zweitens wird die Union nicht mit einer Partei koalieren, die an den Fundamenten der bundesrepublikanischen Ordnung rüttelt. Die NATO-Mitgliedschaft ist für CDU/CSU ebenso unantastbar wie die Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Die Partei Konrad Adenauers und Helmut Kohls fühlt sich gar als Gründungsvater und Gralswächter über NATO, EU und Euro. Auch aus wirtschaftlicher Erwägung setzt die Union auf ein Konzept der Weltoffenheit und Multilateralität für die exportorientierte Volkswirtschaft. Die AfD fordert dagegen eine Re-Nationalisierung der Außenwirtschaftspolitik bis hin zur Rückkehr zur D-Mark.

Die disruptiven und neonationalistischen Forderungen der AfD wirken für die Union wie ein Angriff auf die Verfassung – sind also unverhandelbar und schon gar nicht koalitionsfähig. Das gilt auch für die AfD-Unterwürfigkeitsgesten gegenüber Putin-Russland. Die Union ist ihrem Wesen nach eine transatlantisch, westlich orientierte Formation, deren anti-sowjetischer Instinkt tief sitzt. Damit sind die Fundamente der christdemokratischen Überzeugung inkompatibel mit der AfD-Agenda.

Drittens passen die CDU-Grundgewissheiten ihres bürgerlichen Wertkanons nicht zur AfD. Die Rechtspopulisten setzen auf Ressentiment, Ausgrenzung, Nationalinteresse und Provokation. Die Union hingegen steht in ihrem moralischen Selbstbezug auf dem Boden christlicher Ethik. Ein Präsidiumsmitglied der CDU formuliert das so: “Die Brandmauer trennt nicht nur zwei Parteien. Sie trennt auch gutes Gewissen von Schaum vor dem Mund.”

Union könnte Wahlkampf noch schwarz-gelb färben

Fazit: Die Brandmauer wird für die nächste Legislatur ziemlich sicher stehen. Alle Hoffnungen der AfD zerschellen an diesen drei Dingen. Das bedeutet zugleich, dass jeder bürgerliche Wähler der AfD in Wahrheit zielsicher die deutsche Politik rot-grüner macht. Schon die Erfahrungen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg zeigen, dass besonders starke AfD-Ergebnisse am Ende zu instabilen, links geneigten Regierungen führen. Je kleiner Union und FDP auf Kosten der AfD werden, desto mehr braucht die CDU linke oder grüne Regierungspartner. Es entfaltet sich daher eine groteske Logik: Ausgerechnet die Wähler, die das aus ihrer Sicht “linksgrün versiffte Land” konservativ restaurieren wollen, stärken mit ihrer Stimme den links-grünen Einfluss. Besonders krass wirkt dieser Effekt, wenn am Ende das BSW als Nachfolgeorganisation des SED-Linksparteien-Milieus in Regierungen kommt, wie in Thüringen und Brandenburg.

Der Rechtsruck zeigt damit verblüffende Wirbel an der Brandmauer, die in den kommenden Wahlkampfwochen neue Strömungen auslösen könnten. So wächst bei der CDU die Bereitschaft, den Wahlkampf doch noch schwarz-gelb zu färben. Bislang hat die Union die FDP frontal bekämpft, schon weil das neue Wahlrecht keine Zweitstimmenkampagne mehr zulässt. Nun aber gibt es Lockerungsübungen, auch weil man das Thema “schwarz-grün” gerne von Wahlkampf-Tagesordnung streichen würde.

Ex-Kanzlerkandidat Armin Laschet appelliert plötzlich in einem Gastbeitrag der FAZ für eine schwarz-gelbe Offensive. Auch im Adenauer-Haus wähnt man eine “kommunikationsträchtige Konstellation”. Die FDP sei auf dem Weg, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen, und da diesmal schon 42 Prozent der Wählerstimmen reichen könnten, um eine Parlamentsmehrheit zu erringen, seien schwarz-gelbe Mehrheiten “nicht so weit weg”.

Am Ende könnte die Brandmauer den wutbürgerlichen Mittelstand von der AfD doch noch hinüberziehen zur FDP, so das Kalkül. Die Liberalen haben ihre Flashmob-Qualitäten, mit denen sie sehr plötzlich sehr viele Wähler hinter einer taktischen Idee versammeln, schon oft bewiesen. Die Brandmauer von der Mitte her schwarz-gelb anzumalen, wäre eine solche.

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