Kultur

Performative Reading: Moby Dick aufgetragen | ABC-Z

Aus beruflichen Gründen fliegt bei uns hier im Feuilleton unverzüglich vor Freude das Dach weg, sobald wir draußen Menschen mit einem Buch erblicken. Und inzwischen bejubeln wir mit gütigster Toleranz alles: den neuen Precht, einen frühen Handke, das Zweitbeste aus der Barocklyrik, den antiquarischen Reiseführer Saarbrücken oder die hippe Vampirinternatsromanze auf Schloss Fummelstein, wir sind da überhaupt nicht judgy, wie man in den sozialen Medien sagt.

Dort haben wir nun allerdings gehört, dass im öffentlichen Lesen durchaus Unterschiede existieren. So mache sich in der Öffentlichkeit das performative reading breit, also das fadenscheinige Mitführen von erlesenen Büchern, worunter etwa Werke von Nobelpreisträgern und kanonische Literatur fielen, philosophische Abhandlungen und andere Prosa mit erhöhtem geistigem Eintrittspreis, was bloß der Vorspiegelung falscher Bildungstatsachen diene. In den Augen neurotischer Gegenwartsbeobachter eine elitäre Aufschneiderei, also eine heute besonders schreckliche Ordnungswidrigkeit.

Somit gerät die Frau, die zu einem Stück Mokkatorte versunken in ihrem Christian Fürchtegott Gellert schmökert, sofort unter akuten Leseperformanzverdacht, ebenso der Typ, der in der U-Bahn in Aufsätzen von Joan Didion blättert, wobei der sich den Bonusvorwurf gefallen lassen muss, er sei obendrein ein performative male ein Mann, der sich aus sozialem, möglicherweise erotischem Kalkül mit feministischen Symbolen schmückt. Wir wollten hier zwar anmerken, dass der öffentliche Raum auch immer erst durch Performanz, Verstellung und Schauspiel zivilisiert wurde, aber damit kämen wir bei der Authentizitätspolizei womöglich nicht sehr weit.

Wo so viel Entlarvungsdrang und Täuschungsvermutung herrschen, also im Wesentlichen die zeitgenössischen Grundaffekte, da hilft leider der Ratschlag nichts, die Ausgabe von Moby Dick im Park künftig in eine braune Papiertüte oder eine andere unanstößige Neutralverpackung zu wickeln: So was erregt ja erst recht den Eindruck, hier habe jemand etwas sehr Verdorbenes zu verbergen.

Deshalb, auch für die Nutzwertkomponente dieser Glosse, werden wir fürderhin jeden etwas schwierigeren Roman in Umschläge alter Computerfibeln (Windows 2000 für Anfänger) kleiden, damit man uns nicht für einen Ausbund inszenierten Feinsinns hält, höchstens für etwas wunderlich. Ansonsten versuchen wir es auf dem Smartphone, mit 90-Grad-Neigung im Nacken und mit sehr großen Kopfhörern, die man vielleicht aus dem Weltall sehen kann. Der Mensch im authentischen, unperformativsten Daseinszustand. So fallen wir ganz sicher nicht auf.

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