Kampf gegen Mafia fordert Preis | ABC-Z

Der Mafiakiller Giovanni Brusca ist nach Verbüßung seiner Freiheitsstrafe und Erfüllung der restlichen Bewährungsauflagen in die vollständige Freiheit entlassen worden. Die Justizbehörden teilten mit, der Mafioso, der 1957 nahe Palermo geboren wurde, lebe im Rahmen des italienischen Zeugenschutzprogramms unter falscher Identität an einem ungenannten Ort außerhalb Siziliens. Schon Ende Mai 2021 war Brusca aus dem Hochsicherheitsgefängnis Rebibbia in Rom in den offenen Strafvollzug entlassen worden, musste sich aber noch regelmäßig bei der Polizei melden. Seit Ende Mai unterliege Brusca nun keinen Auflagen mehr und könne sich frei bewegen, teilten die Behörden mit.
Brusca war die rechte Hand des einstigen Cosa-Nostra-Bosses Salvatore Riina (1930 bis 2017) aus Corleone. Bei der Ermordung des Anti-Mafia-Richters Giovanni Falcone am 23. Mai 1992 in Capaci hatte Brusca die Fernzündung der 500-Kilogramm-Autobombe aktiviert, die den Richter, dessen Ehefrau Francesca Morvillo sowie deren drei Leibwächter tötete. Brusca hatte nach seiner Verhaftung 1996 zunächst geschwiegen, sich später aber als „pentito“ (Reumütiger) zur Zusammenarbeit mit den Behörden bereit erklärt.
Es waren maßgeblich seine Aussagen als Kronzeuge, die in den späteren Verfahren gegen den „Boss der Bosse“ Salvatore Riina sowie gegen weitere sizilianische Bosse zu deren Verurteilung zu lebenslangen Haftstrafen führten. Brusca selbst, der nach Aussagen gegenüber Strafverfolgern etwa 150 Menschen eigenhändig umgebracht hat, entging der Höchststrafe und wurde dank seiner Kooperation mit den Ermittlern zu „nur“ 25 Jahren Gefängnis verurteilt. Berüchtigt ist die auf Bruscas Geheiß erfolgte Entführung des Sohnes eines rivalisierenden Cosa-Nostra-Bosses, der seinerseits nach seiner Verhaftung als Reumütiger „gesungen“ hatte. Brusca befahl, den damals 14 Jahre alten Giuseppe Di Matteo nach zwei Jahren Geiselhaft im Jahr 1996 zu strangulieren und den Leichnam des Jungen in Salzsäure aufzulösen.
„Schmerz und tiefe Bitterkeit“
Maria Falcone, die Schwester des vor 33 Jahren ermordeten Richters, äußerte nach der Entlassung Bruscas in die vollständige Freiheit „Schmerz und tiefe Bitterkeit“. Sie erinnerte aber auch daran, dass die Freilassung auf der Grundlage eines Gesetzes zum Kampf gegen das organisierte Verbrechen erfolgt, das ihr Bruder selbst veranlasst habe. Auch der Schriftsteller Roberto Saviano, der wegen seiner Werke über die Camorra von der neapolitanischen Mafia mit dem Tode bedroht wird und seit Jahren unter Polizeischutz lebt, beklagte in einem Beitrag für den „Corriere della Sera“ vom Freitag die Freilassung Bruscas als „schmerzlich“.
Man müsse sich jedoch darüber im Klaren sein, dass Italien und andere Staaten im Kampf gegen die organisierte Kriminalität ohne die Mitarbeit von Kronzeugen „keine Ergebnisse erzielen“ könnten – auch wenn die „pentiti“ nie alles preisgeben würden, was sie wissen, namentlich über Kapitalströme und Geldverstecke der Clans. „Ob Brusca seine Tat jemals moralisch bereut hat, lässt sich nicht sagen, da man nicht in die Seele eines Menschen eindringen kann“, schreibt Saviano.
Der Autor konzediert, Bruscas Freilassung sei „ein moralischer Skandal“, denn in Italien säßen „viele Unschuldige im Gefängnis, weil ihnen angemessene Verteidigungsmöglichkeiten fehlen“ und weil die Justiz „mit die langsamste in der westlichen Welt ist“. Bruscas Freilassung sei schmerzhaft, schließt Saviano: „Sie zeigt aber auch, dass dies der Preis ist, den man zahlen muss, um die Wahrheit herauszufinden. Aus dieser Perspektive ist Bruscas Freilassung ein Beweis dafür, dass die Mafia nicht unbesiegbar ist. Aber der Weg ist noch lang, sehr lang.“