Berlin

Patti Smith in der Zitadelle Spandau: Am Lagerfeuer brennt noch Wut | ABC-Z

Konzert | Patti Smith in der Zitadelle Spandau

Am Lagerfeuer brennt noch Wut


Sa 12.07.25 | 08:45 Uhr | Von Oliver Noffke

Bild: dpa/PIC ONE | Peter Engelke

Sanfte Poesi, treffende Zeilen, tobende Entrüstung: Seit ihrem Debüt vor 50 Jahren scheut sich Patti Smith nicht vor komplizierten Gefühlen. Am Freitag blickte sie in der Zitadelle Spandau zurück. Vor begeistertem Publikum und beseelt von Regenbögen. Von Oliver Noffke

“Habt ihr gestern auch diesen wunderbaren Regenbogen gesehen?” Zwei volle Bögen seien ihr beim Spazieren durch Berlin erschienen, sagt Patti Smith. “Und dann noch dieser herrliche Mond dazu. “Ich hätte gestern keinen schöneren Tag haben können.” Über der Zitadelle Spandau regnet es sich gerade ein. Smith feiert mit einer Tour ihr Debütalbum “Horses”, das vor 50 Jahren erschienen ist.

Eine Art musikalische Zündschnur, die Punkrock angesteckt hat. Minimalistische Band und ein Sound so roh, dass es glatt als Live-Album durchgehen könnte. Zum Teil am Tag der Aufnahme improvisiert und inklusive aller Unreinheiten. Mal ist das Klavier zu leise, mal die Leadgitarre zu laut, mal haucht Smith zu nah am Mikro, mal kratzt die Wut im Hals zu hart. Manchmal ist zu hören, wie sie sich darüber amüsiert. “Horses” zeigte, wie Musik möglichst günstig, aber dafür maximal unabhängig produziert werden konnte.

Smith erzählt darin, wie verloren sich eine Welt anfühlen kann, die sich rapide ändert. Sie fragt, was Identität bedeutet. Vieles bleibt bei Smith eher suchen, denn finden. Dabei aber leidenschaftlich bis hin zum Wutausbruch. “Horses” fließt wie ein lahmer Nachmittag und verpasst einem dann unvermittelt einen Satz heiße Ohren. Veröffentlicht 1975 – nach Watergate, vor dem Ende des Vietnamkriegs und während Smith sich in ein New York verliebt hatte, das quasi auseinanderfiel. Man kann beim Hören von “Horses“ quasi riechen, wie die Mafia in der Bronx Feuer legt [nytimes.com].

“Ich lerne gerade einen neuen Song”

Tatsächlich spielt Smith am Freitagabend von diesem Musik-Monument nur “Redondo Beach”. Direkt am Anfang wird dazu großflächig gewippt. Kein “Gloria”, kein “Break It Up”. Stattdessen ist die Setlist herrlich unberechenbar. Der Abend ist keine Erinnerung an ihren Durchbruch, sondern eine Rückschau auf ihr musikalisches Werk. Inklusive der Menschen, die dabei waren und es heute noch sind; diejenigen, die sie liebt oder vermisst oder beides; und politische Themen, die sie nach wie vor aufregen.

Smiths Stimme manövriert ausdrucksstark durch die Emotionen. Sie schwebt durch “Transcendental Blues”, Alternative Country von Steve Earl. Predigt anschließend ihren “Ghost Dance” aus den späten Siebzigern und rüttelt danach im festen Brustton durch “1959”. Mit geballter Faust, festem Blick und ordentlich Ärger im Hals kippt sie später “Spell” in die Zitadelle – quasi die tosendsten Zeilen aus Allen Ginsbergs “Howl”, nun abgeändert auf die Lage in Nahost.

Vom Verschwinden indigener Kulturen in den USA und Raubbau über die Flucht des Dalai Lamas bis Gaza: Nach einer halben Stunde gibt es an den Bierbuden jede Menge zu besprechen.

Zeit die Strapazierfähigkeit der Stimmbänder zu testen, beschließt Smith. “Ich lerne gerade einen neuen Song”. Es ist “Bullet with Butterfly Wings” von den Smashing Pumpkins und klappt noch nicht perfekt. Doch im Refrain donnern Stimme und Gemüt der 78-Jährigen endgültig. Am Ende grinst sie wieder breit. Schmachten, wogendes Winken, betörtes “Berlin, ihr seid ja wirklich” von der Bühne. Davor Jubel. Weiter hinten, wo die Jack-Wolfskin-Jacken dichter stehen, summen, schwärmen, Gespräche, die mich “haaach” beginnen.

“Feel that fucking freedom!”

Zwei Lieder später greift Smith selbst zur Gitarre. Es sitzt nicht direkt, auch im zweiten oder dritten Anlauf klappt es nicht mit dem richtigen Griff. Bassist Tony Shanahan akzeptiert kein Aufgeben. Die “Godmother of Punk” wird vor versammeltem Publikum zur Nachhilfe zitiert. Smith kann es gleichzeitig nicht fassen und sich vor Lachen kaum gerade halten. “Als ich vor 50 Jahren was Neues ausprobieren wollte, haben vielleicht 75 oder 100 Leute mitbekommen, wie ich es vergeigte.”

Wie zum Trotz feuert sie anschließend Shanahan und Sohn Jackson (Leadgitarre) mit ihren flinken Akkorden an. “Beneath the Southern Cross” endet im gemeinsamen Creshendo. “Feel the Raindrops. Feel that fucking freedom!”, donnert es wieder. “Lasst euch das nicht wegnehmen.” Jubelarme in Outdoor-Jacken rundherum.

Der Abend endet schließlich doch geradezu unvermeidlich, aber gebührend: “Because the Night” im Bildschirmmeer und als Zugabe “People Have the Power”. Ein krachendes Liebeslied und ein versöhnlicher Protestsong. Patti Smith wirkt am Ende geschafft, aber glücklich. Sie hat mehr als anderthalb Stunden lang gezappelt, geherzt, gegrüßt, gesäuselt, erinnert, gemahnt und ordentlich Dampf abgelassen. Den Geist von “Horses” hätte sie gar nicht besser beschwören können.

Beitrag von Oliver Noffke


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