Kultur

“Parallel Me”: Toni swipt sich durch die Realitäten | ABC-Z

Es ist ein Gedanke, den jeder kennt. Dieses plötzliche Auftauchen
der Frage: Was wäre, wenn ich an einem Punkt in meinem Leben anders abgebogen
wäre? Man grübelt ihr nach, folgt der Sehnsucht nach dem einen, vermeintlich richtigen
Leben in einer parallelen Welt, erkennt, wie im Vergleich zu ihr in der eigenen
Wirklichkeit alles schrecklich schiefgeht.

Die Science-Fiction-Serie Parallel Me beginnt genau
dann, als alles schiefgeht. Die Protagonistin Antonia Falk (Malaya Stern
Takeda), von allen Toni genannt, ist eine rastlose und ratlose Unternehmensberaterin.
Sie weiß nicht, wohin ihr um die 30 Jahre altes Leben führen soll, und ist ohnehin
ständig mit allem unzufrieden. In den ersten zehn Minuten der genauso rastlosen Serie bricht Toni der Absatz ihres Stöckelschuhs ab, der Chef kündigt, die
Eltern (Caroline Peters und Ulrich Noethen) haben aus ihrem Kinderzimmer eine
Sauna gebaut und dann macht auch noch die beste Freundin Bea (Larissa Sirah
Herden) auf der Silvesterparty Schluss. Da reicht es Toni.

Eigentlich würde man sich als Zuschauerin nach dieser
Anhäufung von Ereignissen für sich selbst und auch für Toni erst einmal eine Pause
wünschen, doch dann taucht Ariadne auf, sie ist unsterblich, endlich mal eine ruhige Figur und wird gespielt von Maria Schrader. So wie ihre Namensschwester aus der griechischen
Mythologie dem König von Athen Theseus einen Faden schenkt, als der sich im Labyrinth
verlaufen hat, schenkt die Ariadne aus Parallel Me Toni einen Wollschal.
Denn auch sie hat sich verrannt in ihrem Leben. Etwas vulgärer als im
griechischen Mythos raunt Ariadne der erschrockenen Toni zu: “Vertrau einer
Halbgöttin mit 2.000 Jahren Lebenserfahrung und zieh an dem fucking Faden!” Toni
gehorcht – und wird in ein paralleles Universum gebeamt: Auf einmal ist sie
Surflehrerin auf Bali, wo sie mit der besten Freundin Bea im Sommerurlaub war.

Es folgt wildes Welten-Hopping über acht Folgen. In jeder
Folge befindet sich Toni in einem anderen Paralleluniversum, das sie versäumt
hat, weil sie in ihrem Leben eine andere Entscheidung getroffen hat. Wie eben
aus dem Sommerurlaub auf Bali zurückkehren oder für immer bleiben und dort als
Surflehrerin arbeiten. Toni swipt sich so durch die Realitäten wie unsereins auf
Instagram: Karriere als Sängerin, Frauengefängnis, Bauernhof mit Alpakas, hochschwanger
im Krankenhaus. Aber auch das gefällt Toni alles nicht so recht.

Ständige Begleiter durch Zeit und Raum sind ihre Jugendliebe
Jonas (David Kross), die beste Freundin Bea und Tonis regelmäßiges “Häää?”,
wenn sie mal wieder verwirrt in eine neue Parallelwelt auftaucht. Toni
erinnert sich nämlich stets nur dunkel daran, dass sie doch gerade noch in
einer anderen war. Meistens vermasselt sie auch die schöne neue andere Welt. Statt sich den Konflikten darin zu stellen, zerrt sie nur wieder unglücklich an Ariadnes Schal. Nach dem dritten oder vierten
Mal hat man als Zuschauerin begriffen: Reisen in parallele Welten können auch
nach hinten losgehen. Angesichts einer vermasselten Parallelwelt sieht die
eigene Realität doch nicht so schlecht aus.

Egal in welchem Leben: Toni ist eigentlich immer nur unzufrieden. © Paramount +

Die größte Schwierigkeit der Serie ist wohl, dass niemand,
weder das Drehbuch noch die Regie, der jungen Darstellerin Takeda und den
anderen Schauspielern vermitteln konnte, wen genau sie verkörpern sollen.
Ihr Schauspiel ist wirr wie der Stoff selbst. Zugegeben, es ist schwer: In
jeder Folge verändern sich die Figuren und damit auch die Rollen. Wen genau
spielt man eigentlich, wenn man mal einen asiatischen Musikstar, mal eine
Alpaka-Bäuerin spielt? Um welche Fragen und Emotionen abseits von “Hä?” geht es
eigentlich? Genau danach fragt Tonis Jugendliebe Jonas erfreulicherweise sogar, als Toni einmal versucht, ihm ihre Situation zu erklären: “Wenn ich all das nicht erlebt hätte, dann wäre ich ja gar nicht … ich?” Wesentlicher Punkt, der aber weiter nicht aufgearbeitet wird. Toni lächelt Jonas nur verliebt an.

Der seit der Antike andauernden Debatte um die Existenz
paralleler Universen sind schon so viele komplexe Science-Fiction-Stoffe
gewidmet worden, vielleicht ist es zu viel verlangt, ihnen noch neue Gedanken
hinzuzufügen. Die politische Serie The Man in the High Castle, eine Verfilmung
des gleichnamigen Romans von Philip K. Dick, der eine dystopische Gegenwart
imaginiert, in der Deutschland den Zweiten Weltkrieg gewinnt. Die Multiverse von
Matrix. Der oscarprämierte Everything Everywhere All at Once, dem
Parallel Me oft eindeutig ähnlich sehen will. All diese in Großteilen gelungenen
philosophischen Aufarbeitungen der Was-Wäre-Wenn-Frage eint die Fähigkeit der
Reflexion ihrer Macher über diese Frage. Um nur auf eine der genannten Referenzen
einzugehen: Eine der Protagonistinnen in Everything Everywhere All at Once wird
zur Nihilistin, als sie merkt, dass nichts mehr Bedeutung hat, wenn alles
möglich ist.

Toni aus Parallel Me reflektiert leider so gar
nichts, sie will den ganzen Tag nur Abenteuer erleben. Adriadne diagnostiziert gegen
Ende der Serie treffend: “So rastlos wie du bist, wird dir da eine einzelne
Welt denn jemals reichen?” Die Serie verpasst also in den leisen Momenten die
Chance auf emotionale Tiefe und ist in den lauten nichts als schrill und
hibbelig. Scheinbar weiß sie, so wie Toni selbst, einfach nicht genau, was sie
will.

Die acht Folgen von “Parallel Me” sind ab dem 26. April bei Paramount+ verfügbar.

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