OBS: Funktionalität und Fashion aus Augsburg – Stil | ABC-Z

Nein, es folgt jetzt nicht noch eine Geschichte über ein junges aufstrebendes Modelabel, von dem man noch nie gehört hat, das aber bestimmt bald voll durchstartet, weil irgendeine Celebrity schon mal beinahe ein Kleid davon getragen hat. Dieses Mal liegen die Dinge ein bisschen anders. Allein schon, weil sie nicht in Berlin, Hamburg, München und erst recht nicht in Paris oder Mailand liegen, sondern zur Abwechslung in: Augsburg. Und streng genommen geht es nicht mal um gängige Mode und trendige Accessoires. Die Produkte ähneln in diesem Fall eher modischen Werkzeugen. Gemacht, um gebraucht zu werden und möglichst lange zu funktionieren. Entsprechend technisch-akronymisch-deutsch ist der Name dieses Labels: OBS. Wofür die Buchstaben stehen? Wird von den Designern tunlichst nicht verraten. Erst mal zumindest.
Jedenfalls hat OBS in den vergangenen Jahren eine kleine, dafür sehr treue Fangemeinde versammelt. Zunächst mit einer zierlichen Messenger-Bag, quadratisch, fest und schnörkellos wie ein Walkman, die vor allem solche jungen Männer für sich entdeckten, die sich sonst nie mit einer Handtasche hätten erwischen lassen. Es folgten mehr Lederaccessoires. Alle funktional, alle handgefertigt in Deutschland, weil OBS grundsätzlich nur lokal produziert. Einzige Ausnahme: die Clogs, die letzten Sommer dazukamen. Die werden in Österreich von einem Familienbetrieb in vierter Generation von Hand gefertigt. Holzschuhe, zumal mit Kuhfell bezogen, schienen anfangs so gar nicht ins cool-funktionale Konzept der Marke zu passen, waren aber nach jeder Lieferung sofort ausverkauft.
Muss man als junges, natürlich bemüht lässiges Label also gar nicht mehr in einer der sogenannten Modemetropolen sitzen, weil der Puls der Zeit heute sowieso im Internet schlägt? „Zumindest für uns könnte es tatsächlich keinen besseren Standort zum Arbeiten geben“, sagt Matthias Schweizer, 31, der das Label zusammen mit seinem drei Jahre jüngeren Bruder Johannes 2019 gründete. „Etwa noch nie vom Fashion-Dreieck Augsburg gehört?“, fragen die beiden betont spöttisch. Von hier sei man mit dem Zug schließlich in nur fünf Stunden sowohl in Paris, in Mailand als auch in Berlin. Mehr mittendrin gehe doch gar nicht, finden die beiden.

Warum die Bedingungen an ihrem Heimatort für sie tatsächlich ziemlich ideal sind, versteht man sofort, wenn man das Atelier von OBS betritt. Es liegt in einem Hinterhof im alten Textilviertel der Stadt und ist eigentlich kein klassisches Atelier, sondern eine voll ausgestattete Designwerkstatt mit drei großen Räumen, deren Miete sich in einer der genannten Großstädte wahrscheinlich kaum bezahlen ließe. Im ersten Raum steht eine Werkbank, eine Schleifmaschine, dazu kommen lauter Werkzeuge und Metallteile, in den Regalen sind Keramikgussformen aufgereiht. Matthias ist zwar ausgebildeter Modedesigner und diplomierter Künstler, aber die Brüder sind vor allem Tüftler, Handwerker im engsten Sinne. Der Vater ist Schreiner, die Mutter Schneiderin. Sie steht gerade im letzten Zimmer an einem großen Stehtisch, um sich die Prototypen einiger Jacken und Hosen anzusehen.
Die asiatischen Einkäufer verstanden das Produkt sofort
Das Handwerk der Eltern hat die Brüder geprägt: Statt einer Playstation standen bei Schweizers eine Industrienähmaschine und ein Schweißgerät im Keller. Also werkelten die Jungs damit so vor sich hin und waren bald geschickt genug, um ihrem Vater gelegentlich auf Baustellen zu helfen und sich etwas dazuzuverdienen. „Geht nicht, gibt es nicht“, hat unser Vater immer gesagt, erinnert sich Johannes Schweizer. Für jedes Problem musste es eine Lösung geben, und am besten lieferte und fertigte man diese Lösung selbst.
Was also tun solche Daniel Düsentriebs, wenn sie eine Tasche brauchen? Sie machen sich eine. „Im Keller steht noch immer eine Kiste voller ‚Frankensteins‘, die wir damals auf der Nähmaschine unserer Mutter genäht haben. Beziehungsweise versucht haben zu nähen“, erzählt Matthias Schweizer. „Wir wollten auf gar keinen Fall Klebstoff verwenden, kein Plastik, die Form sollte aus sich heraus halten.“ Maximale Qualität und Funktionalität, minimales, zeitloses Design ohne Ornament war ihr Anspruch – so wie sie es von den Werkzeugen kannten, die sie schon ihr ganzes Leben benutzten und die auch nicht ständig ein „Update“ brauchen. Warum sollte eine Handtasche nicht so vollkommen und reduziert sein wie ein Hammer? Eine geometrische Schultertasche namens „Utensil“, ohne Kantenfarbe, aber mit Edelstahl-Finish, erinnert in ihrer Reduziert- und Sperrigkeit an frühe Jil-Sander-Modelle.

„Es gibt doch ohnehin schon so viel auf dem Markt“, finden die beiden. Noch mehr mediokres Zeug brauche kein Mensch, sie wollten das ewige „Konsumrad“ nicht noch weiter anheizen. Deshalb macht OBS keine großen Kollektionen, in jeder Kategorie erscheinen online nur ein paar Produkte. Mittlerweile sind es drei Taschenmodelle in unterschiedlichen Größen. Schmuck, den sie in Zusammenarbeit mit ihrer Schwägerin produzieren, die Goldschmiedin ist. Ihre Mutter hilft bei der Kleidung als Schneiderin ständig mit, und auch sonst haben sie in Augsburg das perfekte Netzwerk. Salim, ihr Schulfreund, ist mittlerweile der Dritte im Bunde und kümmert sich um den Webshop. Eine Freundin macht die Fotos. Wenn irgendein Gerät fehlt, gibt es mit Sicherheit jemanden, der jemanden kennt, der wieder jemanden kennt, bis das fehlende Teil vor der Tür steht.
Als die Brüder beschlossen, sich mit ihrer eigenen Marke selbständig zu machen, gingen sie mit den ersten Taschen auf die Messe nach Paris. Die asiatischen Einkäufer verstanden das Produkt sofort und orderten, auch die bekannte italienische Boutique Luisa Via Roma wollte OBS ins Sortiment aufnehmen. Dann kam Corona, fast alle Bestellungen wurden storniert. In der Modebranche, wo vorproduziert, also für die Kosten in Vorlage gegangen werden muss, ist das für kleine Firmen der Todesstoß. Ihre damalige Vertriebsagentur riet ihnen: Ihr braucht Rucksäcke! Ihr braucht Newness! Die Schweizers aber reden lieber von „echten Needs“ und „nicer Wertarbeit“. Also keine Rucksäcke, nur wenig Newness. Die erste Tasche ist noch immer der Bestseller, ungefähr 50 davon verkaufen sie pro Monat, Mark Forster trug mal ein Modell auf einem Konzert. Nicht geschenkt, der Sänger hatte sie sich selbst gekauft. Auch die massiven Silberketten und „Fuchsschwanz“-Armbänder laufen gut. Aber reich wird man am Anfang als kleines Label und mit hohem Anspruch nicht. „Manchmal fällt das Gehalt halt etwas kleiner aus“, sagt Matthias Schweizer achselzuckend.

Aktuell setzen sie vor allem auf die Kollektion, die sie vor vier Wochen bei der Berlin Fashion Week präsentierten. Statt einer klassischen Show inszenierten sie inmitten einer alten Kirche eine Baustelle mit lauter Schutt, Betonmischer, Presslufthammer, Schubkarren, Schaufeln. Die Models waren entsprechend den verschiedenen Gewerk-Stationen gekleidet. Hochwertig geschneiderte, mit kleinen Details verfeinerte Arbeitskleidung als moderne Uniformen, etwa eine Workerjacke mit abgerundetem Kragen und durchgängiger Tasche hinten, ein Hemd mit gedoppelter Knopfleiste. Nicht jeder verstand das Konzept, wahrscheinlich hätte man die Vita der Brüder kennen, sich die Sachen genauer ansehen müssen, um zu erkennen, dass es hier nicht um saisonale Garderobe, sondern um maximale Funktionalität in Form von modischen Gebrauchsgegenständen geht.
Dazu zählt übrigens auch, dass bei OBS alles reparierbar sein muss, vor allem die Taschen. Deshalb kein Klebstoff, deshalb extra hochwertiges, festes Leder, das sie – noch so eine verkappte Modemetropole – ganz in der Nähe aus Odelzhausen beziehen. Dort sitzt einer der größten Lederhändler, der auch Restbestände von Luxusmarken vertreibt und vor allem Kunden in Afrika und Asien bedient. OBS ist da eigentlich ein viel zu kleiner Fisch, aber die Brüder fuhren trotzdem hin und insistierten so lange, bis sie ihr Leder ordern durften. „Wahrscheinlich sind wir sehr hartnäckig, wenn es sein muss“, sagt Johannes Schweizer. Aber sie mögen es auch ein bisschen auf die harte Tour. Für ihre Entwürfe könnten sie auch einfach ein paar Scribbles und Skizzen machen und dann zur Produktion in die Türkei schicken. Das wäre schneller und viel billiger, passt aber nicht zu ihrer Philosophie und ihrem Anspruch, finden sie. Außerdem haben sie dann weniger Kontrolle als bei den Produzenten in der Nähe. Bei den erstaunlich begehrten Clogs dauerte es ganze zwei Jahre, bis sie mit „der Iris“ in Tirol den richtigen Partner fanden. Immerhin seien das ja ursprünglich Arbeitsschuhe, die müssen etwas aushalten können. Alle anderen Manufakturen hätten nicht die richtige Qualität und nicht den „richtigen Vibe“ gehabt.

Für ein Video zu ihrer Show bei der Fashion Week wurden sie neulich mal wieder gefragt, wofür die drei Buchstaben eigentlich stehen. „Verraten wir nicht“, antworten sie etwas ungelenk. Doch wenn man seinerseits hartnäckig bleibt und weiter bohrt, rücken sie irgendwann raus mit der Sprache. Objekte Brüder Schweizer …? Ganz falsch, sagen die beiden. Am Ende verweist auch der Name auf das Fashion-Dreieck Augsburg, es ist eine reine Standortbestimmung. OBS steht, natürlich, für „Oberbayern Schwaben“.