Wie rechts ist rechts genug?: Wer ein Mittel gegen das “Woke-Virus” bestellt, bekommt die Diktatur gratis dazu | ABC-Z

Die neue schwarz-rote Koalition hat einen verblüffenden politischen Rekord aufgestellt: Sie hat ihren Kanzler noch gar nicht gewählt, aber enttäuscht schon jetzt so sehr, dass manche über Alternativen grübeln. Ist die Mitte nicht mehr rechts genug?
Zuletzt brachte der Schraubenhersteller Reinhold Würth eine Minderheitsregierung ins Spiel, die auch Mehrheiten mit der AfD in Kauf nimmt. Das Timing ist sicher kein Zufall: In der Union ist gerade eine Debatte aufgeflammt, wie man bei organisatorischen und protokollarischen Fragen mit der AfD im Bundestag umgehen soll: normal? Oder ausgrenzend?
Noch während die Parteichefs Friedrich Merz, Markus Söder und Lars Klingbeil über Posten tuscheln, steht also wieder die Frage im Raum: Nun sag’, Union, wie hast du’s mit der AfD? Zumal vor dem Votum der SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag ist das mehr als ungeschickt. Dort erinnert man sich mit Ekel daran, wie Merz seine Migrationspolitik mit Hilfe der AfD durchbringen wollte – das “All in”-Manöver.
Rechts, aber demokratisch, reicht das noch?
Im Raum stehen die alten Fragen, ob und wie man die AfD stärkt oder schwächt. Ich wage eine neue These: Vermutlich ist es für künftige Umfragen komplett egal, wie man mit der AfD umgeht.
Bindet man die AfD ein und normalisiert sie: Dann wählen ihre Anhänger trotzdem nicht die Union, sondern “das Original”. Dieser Zusammenhang scheint recht gut belegt zu sein und ist Hauptargument all derer, die eine maximale Ausgrenzung der AfD befürworten.
Nennt man die AfDler “Nazis” und sperrt sie mit allen Tricks aus: Dann reagieren ihre Fans mit Reaktanz, fühlen sich übergangen, als Opfer – und wählen erst recht AfD. Die populistische Grunderzählung wächst: Die da oben haben sich verschworen.
Wie man’s macht, die AfD gewinnt
Klar, es gibt auch Sicherheitsbedenken: Wenn etwa die AfD im Innenausschuss an Informationen gelangt, die sie dann direkt an Russland oder sonstwen durchreicht. Aber das ließe sich verhindern, indem sich die Union diesen Ausschuss greift.
Die Debatte über den Umgang mit der AfD scheint also insgesamt vergeudete Zeit zu sein. Wie man’s macht, die AfD gewinnt. Viel relevanter als die Umgangsfragen ist der politische Befund, den die Rechtsoffenheit von Würth, Spahn und Co. aufwirft: Reicht die Mitte auf einmal nicht mehr aus? Wie rechts ist denn rechts genug?
Die Enttäuschung über Merz wirkt ein wenig wie das Phänomen der Kaufreue, der “buyer’s remorse” oder auch “Nachkaufdissonanz”. Man hat etwas gekauft, Geld auf den Tisch gelegt, die Sache mit nach Hause genommen, ein Auto etwa oder eine Kamera, doch dann liest man hier und dort etwas Negatives über den Neuerwerb und schon graben sich Zweifel ins Konsumentenherz: War das jetzt eine gute Entscheidung?
Sofortismus bei Wish bestellt
Das politische Produkt Merz war trotz mangelnder Sympathie in der Vermarktung erfolgreich. Er hatte sich als einen politischen Haudrauf gegeben, einen, der durchgreift, Stichwort Richtlinienkompetenz, “All in”-Manöver, endlich wieder Basta-Politik. Passt ja in den Zeitgeist, dieser Sofortismus: Alles bitte jetzt und gleich, Politik muss sein wie Amazon Prime.
Daran und an Amerika hat sich Merz zuletzt orientiert. Dass die Union kurz vor dem Machtwechsel 551 deutsche Nichtregierungsorganisationen auf ihre politische Neutralität hinterfragte, fügt sich ins Bild. Das ähnelt dem Sound, mit dem Trump in den USA gerade auf staatliche Institutionen, Universitäten, Anwälte und Unternehmen losgeht.
Bitte weniger “woke”, darauf können sich MAGA-Bewegung und Teile der Union einigen. Jens Spahn sagte, er möge Trumps Stil nicht, aber sehe “gemeinsame Interessen”. Carsten Linnemann lobte, “Trump macht das, was viele Bürgerinnen und Bürger erwarten”. Beide werden mächtige Posten in der Union bekleiden, Linnemann bleibt Generalsekretär, Spahn soll Fraktionschef werden.
Von Amerika lernen
Beide könnten politisch profitieren, wenn die Enttäuschung über Merz und Schwarz-Rot wächst. Das wird sie: Denn der CDU-Chef hat sich überverkauft. Das Wahlrecht in Amerika erlaubt harte Richtungswechsel, es gilt “the winner takes it all”. Für Merz gilt “the winner takes Saskia Esken”. In Amerika hat der Präsident enorme Durchgriffsmacht. Hier gilt im Kabinett das Kollegialitätsprinzip.
Schwarz-Rot, das ist Sofortismus auf Wish bestellt: Merz brauchte erst sogar die Grünen, jetzt immerhin noch die SPD, wegen der Brandmauer und des eigenen nicht so guten Wahlergebnisses. Wichtige Fragen der Migration sind ungeklärt, vor allem die Modalitäten einer Zurückweisung. Die Kernkraft bleibt abgeschafft – und statt Führung hat Schwarz-Rot den ersten inhaltlichen Streit noch vor der Bundeskanzlerwahl: Wann und wie der Mindestlohn auf 15 Euro steigt.
Da darf man doch einmal über Gelegenheitsmehrheiten mit der AfD nachdenken – oder? Vielleicht schauen Trump-Fans und Trump-Versteher in Deutschland noch einmal genauer hin, ob die deutsche Kompromisssuche wirklich so schlimm ist – und was passiert, wenn Rechtsextreme am Ruder sind.
Umbau zur Diktatur
Wenn der Faschismus zurückkehrt, wird er nicht sagen: “Ich bin der Faschismus!” Er wird sagen: “Ich befreie euch vom Woke-Virus!” Die MAGA-Bewegung baut die Vereinigten Staaten derzeit im gestreckten Galopp zu einer Diktatur um.
Die Justiz, die Freiheit der Wissenschaft, Persönlichkeitsrechte, Minderheitenrechte, Medienfreiheit – die Trump-Administration pflügt alles unter. Sie erpresst Universitäten, Rechtsanwälte und Unternehmen, damit diese der “Diversität” entsagen, die MAGA-Fans als “woke” Idiotie empfinden.
Inzwischen lässt Trump Menschen an der Justiz vorbei nach El Salvador verschleppen, vorerst nur Ausländer, künftig will er auch kriminelle US-Bürger in dortige Massengefängnisse stopfen. Staatliche Mitteilungen verkündet der Präsident mitunter über “Truth Social”, ein soziales Netzwerk, das klingt wie aus einer grobschlächtigen Adaption von George Orwells Dystopie “1984”.
Kaufreue auch bei den Amerikanern
Das Produkt Trump liefert damit deutlich mehr, als auf der Verpackung stand. Und tatsächlich packt auch manchen Trump-Wähler die Kaufreue. In Umfragen sagt der Amtsinhaber stark ab, besonders bei jenen, die sich keinem politischen Lager zurechnen.
Das liegt nicht daran, dass man Trump einen Nazi genannt hat. Das haben Demokraten lange getan, ohne Effekt. Wähler wenden sich ab, weil Trumps Politik tief einschneidet in Bürgerrechte und das eigene Portemonnaie.
Wer diese Folgen tumber rechter Politik auch den deutschen AfD-Wählern sichtbar macht, bringt manch einen womöglich ins Grübeln. Anhaltspunkte liefert die Partei reichlich. Dann braucht es auch keine Ausgrenzerei mehr und keinen Trick mit der Geschäftsordnung.