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Panik vor Trumps Abschiebungen in Chicago: Migrantenfamilien verstecken sich, Schulen sind halb leer, Bürgersteige verwaist | ABC-Z

Trump ist seit zwei Wochen im Amt – und die US-Migrationsbehörde verbreitet Angst und Schrecken. In der Metropole Chicago verstecken sich Familien mit Migrationshintergrund im Keller. Kinder gehen nicht in die Schule, ihre Eltern nur auf die Straße, wenn unbedingt nötig.

Rund 30 Minuten Autofahrt vom Trump-Tower in Chicagos Zentrum entfernt liegt Cicero, eine der vielen Vorstädte der Metropole. Das Dach des Hauses mit der Nummer 5502 wird neu gedeckt, im Vorgarten steht ein Weihnachtsbaum. Neben den Stufen hinauf zur Eingangstür zappelt eine kleine US-Flagge im Nachmittagswind. Ein älterer Mann öffnet skeptisch – und bittet nach langen Sekunden hinein. Erst jetzt gibt sich Doris Aguirre zu erkennen. Für die neue US-Regierung ist sie eine Kriminelle.

„Seit Trump gewann, haben wir keine Ruhe mehr“, klagt die 59-Jährige unter Tränen: „So kann man nicht leben.“ Wegen ihres Übertritts abseits der Grenzkontrollen vor 25 Jahren hat Doris Aguirre nie eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Ihr Mann ist geborener Mexikaner, hat aber wie zwei ihrer drei Kinder einen US-Pass. Die Honduranerin ist eine von etwa 14 Millionen Menschen in den USA, die wegen fehlender Papiere oder ihres unklaren Status abgeschoben werden könnten.

Ein Team der Migrationsbehörde in Chicago führt einen Festgenommenen ab.

Ein Team der Migrationsbehörde in Chicago führt einen Festgenommenen ab.

(Foto: via REUTERS)

Der alte und neue Präsident Donald Trump hatte im Wahlkampf die „größte Abschiebeaktion der Geschichte“ angekündigt. Die ersten medial begleiteten Razzien fanden nur sechs Tage nach seiner Vereidigung in Chicago und ihren Vorstädten statt. Trumps Sonderbeauftragter, „Grenz-Zar“ Tom Homan, war mit Interims-Justizminister Emil Bove vor Ort und gab markige Interviews. Es werde „Kollateralfestnahmen“ geben, sagte er. Ein Fernsehteam sendete die ersten Aktionen live, auf X bejubelten Trumps Anhänger die harte Hand Trumps und der Einsatzkräfte.

Doris Aguirre hat in Cicero ihre Familie großgezogen. Sie arbeitete in einer Fabrik, danach ging sie bei anderen putzen. Nun bleibt sie zu Hause. Auch in ihrem Viertel ist die Migrationsbehörde ICE mit ihren bewaffneten Mitarbeitern unterwegs. „Ich gehe seltener auf die Straße, bin sehr aufmerksam, gehe schnell zu meinem Ziel oder zum Auto.“ Sie erzählt von der extremen Armut, in der sie in Honduras aufwuchs, die sie in den Norden getrieben hatte. Von der Angst davor, dass ihr erfüllter Traum eines besseren Lebens für die Familie zerstört wird; der Brustkrebs doch noch ihr Leben nimmt, wenn sie in ihrem Herkunftsland keinen Zugang mehr zu den Medikamenten der Nachsorge hätte.

Zittern im ganzen Land

Von den etwa 85.000 Einwohnern Ciceros sind 75.000 Latinos. Etwa ein Viertel hat keine US-Staatsbürgerschaft – und viele davon auch keine Aufenthaltsgenehmigung. Sie sind nicht allein. Rund 400.000 Menschen, oder 3,2 Prozent der Bevölkerung im Bundesstaat Illinois haben keine gültigen Papiere. Illinois ist einer von 13 sogenannten sanctuary states im Land, Chicago damit eine Zufluchtsstadt und sicherer Ort für Einwanderer – eigentlich. Die jeweilige Polizei und Behörden arbeiten nur eingeschränkt oder gar nicht mit der Migrationsbehörde zusammen. Doch die Regierung schlägt gegenüber den dortigen Politikern, Einwanderern und Schutzsuchenden so scharfe Töne an, dass Menschen im ganzen Land um sich, ihre Familien und Existenz bangen.

Trump hat unter anderem die Kompetenzen der Migrationsbehörde und des FBI erweitert. Er ordnete an, Suchtrupps zu bilden und Abschiebelager zu errichten. Den Zufluchtsstädten droht seine Regierung damit, die Gelder zu kürzen, sollten sie nicht kooperieren. Das erste Gesetz, das mithilfe der Demokraten den Kongress passierte und Trump unterschrieb, erlaubt den Behörden, Migranten auf Verdacht und ohne Haftbefehl festzunehmen. Wer die Südgrenze zu Mexiko abseits der Übergänge überquert, wird nun als Krimineller gesehen; egal, ob es ein paar Wochen oder ein halbes Leben her ist. Dies soll Festnahmen und Abschiebungen erleichtern.

Kirchen und Schulen waren jahrzehntelang eine Sperrzone für ICE; die hat Trump abgeschafft. Ein katholischer Pastor in Chicago, der ein umfassendes Hilfsprogramm für Latinos leitet, berichtet von Fahrzeugen, die ihn und die Migranten beobachten. Seit Trumps Amtsantritt kommen kaum noch Hilfesuchende zu ihm – etwa 20 Menschen statt bis zu 150 an einem Tag. Eine Geistliche einer Freikirche an anderer Stelle hält Andachten für Migranten – sie können auch von anderswo aus virtuell teilnehmen – und versteckt Familien bei Bedarf vorübergehend im Keller. Seit Trump angetreten ist, ertrinkt sie förmlich in Hilfsanfragen. Aus Angst vor möglichen Folgen dürfen keine Fotos oder Videos des mit Betten eingerichteten Untergeschosses aufgenommen werden.

Die 26. Straße in Little Village, zweitumsatzstärkste Einkaufsmeile in Chicago, war in Trumps zweiter Amtswoche auffällig leer. Die 26. Straße in Little Village, zweitumsatzstärkste Einkaufsmeile in Chicago, war in Trumps zweiter Amtswoche auffällig leer.

Die 26. Straße in Little Village, zweitumsatzstärkste Einkaufsmeile in Chicago, war in Trumps zweiter Amtswoche auffällig leer.

(Foto: Roland Peters)

Verwaiste Bürgersteige in „La Villita“

An Cicero grenzt die Vorstadt Little Village, auch „La Villita“ genannt. Auch hier sind mehr als 80 Prozent der Einwohner Latinos. Ein großer Bogen spannt sich über die dortige zweitpopulärste Einkaufsmeile Chicagos und heißt Besucher auf Spanisch willkommen. Ladenlokal reiht sich an Restaurant an Geldtransfer-Service. Die Bürgersteige vor den Angeboten im „Mexiko des Mittleren Westens“ sind größtenteils verwaist. Nur einzelne Fußgänger sind zu sehen, am größten Gemüsestand prüfen ein paar Kunden die Ware.

„Ich verkaufe nur noch die Hälfte“, sagt der Händler. „Seit Trump vereidigt wurde, haben die Menschen Angst, herauszugehen.“ Der stämmige 33-Jährige steht seit zehn Jahren an dieser Stelle, eine Aufenthaltsgenehmigung hat der Guatemalteke nicht – aber eine Frau und einen Sohn, die auch von seinen Verkäufen abhängen. Zwei Stunden zuvor hätten ICE-Mitarbeiter auf der anderen Straßenseite einen Mann mitgenommen, sagt der Händler. Ob er nicht Angst habe, dass sie ihn auch mitnehmen? „Wenn wir nicht arbeiten, haben wir nichts zu essen“, sagt er.

Stadtrat Byron Sigcho-Lopez sorgt sich um die Menschen seines Wahlkreises. Stadtrat Byron Sigcho-Lopez sorgt sich um die Menschen seines Wahlkreises.

Stadtrat Byron Sigcho-Lopez sorgt sich um die Menschen seines Wahlkreises.

(Foto: Roland Peters)

Als der Mann in La Villita festgenommen wird, dringt dies auch zum gewählten Stadtratsmitglied des Viertels durch. Der Demokrat Byron Sigcho-Lopez hat sein Büro ein paar Blocks entfernt; die Tür ist verschlossen, das Schaufenster von innen vergittert und mit schwarzem Stoff abgehangen. Das geplante Gespräch muss er wegen des Vorfalls um Stunden verschieben. Nahezu permanent klingeln bei ihm die Telefone. Medien wollen mit ihm sprechen, Menschen mit Migrationshintergrund fragen nach Hilfsangeboten.

„Nur die Hälfte der Kinder geht zur Schule“

Der Festgenommene sei kein Krimineller, erzählt Sigcho-Lopez, habe aber zwei kleine Kinder und eine schwangere Partnerin. „Sie hatten offenbar auf ihn gewartet.“ Chicago sei über die Razzien nicht offiziell informiert worden, er habe es aus den Medien erfahren. Die Menschen hätten nun Angst, ihr Zuhause zu verlassen. „Sie kriminalisieren die gesamte Gemeinde, hart arbeitende Menschen“, klagt Sigcho-Lopez. Es sei tragisch, wie Trump die Einwanderer zu Sündenböcken für die Probleme des Landes mache.

Trumps Regierung belästige und kriminalisiere Migranten in seinem Wahlkreis, und die Folgen seien deutlich: „Nur die Hälfte der Kinder geht zur öffentlichen Schule, noch weniger Patienten nehmen ihre Termine im öffentlichen Krankenhaus wahr und die Umsätze der Geschäfte sind eingebrochen.“ Es sind wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen der aggressiven öffentlichen Äußerungen, der Drohungen und der Vorgehensweise der ICE-Teams.

Die Migrationsbehörde veröffentlicht in den sozialen Medien neuerdings eine tägliche Zahl ihrer Festgenommenen. Trumps Regierung hat laut US-Medien eine Zielmarke ausgegeben – die Behörde soll täglich mindestens 1200 Menschen festnehmen. Hochgerechnet wären das rund 400.000 Menschen bis Jahresende, so viele wie nie zuvor. Unter Präsident Joe Biden waren es im vergangenen Jahr rund 113.000 und damit im Schnitt 310 täglich. Trump soll hinter verschlossenen Türen gedroht haben: Verfehlt ICE die tägliche Quote für Festnahmen, wird es Konsequenzen für die verantwortlichen Führungskräfte geben.

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