Fotoshooting mit viel Farbe, Walk mit viel Haut | ABC-Z

Das Intro von „Shine On You Crazy Diamond“ von Pink Floyd gilt als das längste Entrée eines Songs, der von einer Band kommt, die mehr als drei Leute kennen. 8:27 Minuten vergehen, bis erstmals eine Stimme zu hören ist. Achteinhalb Minuten kein Wort sagen, das wäre bei GNTM ein Rekord. Aber ein unwahrscheinlicher, denn Topmodel-Abrichterin Heidi Klum hat es in 52 Jahren bislang noch nie so lange geschafft, kein Wort zu sagen. Schlafphasen eingeschlossen. Nicht verwunderlich daher, dass es auch bei „Germany´s Next Topmodel“ sofort wortreich in medias res geht. Die 19. Folge der Pro7-Anorexie-Doku startet dabei besonders rasant. Schon nach wenigen Sekunden erklärt ModelScout24-CEO Klum: „Die neue Woche startet bunt, laut und aufregend!“ Der Film „Oh Boy“ mit Tom Schilling wird also schon mal nicht gezeigt, denn der ist schwarz-weiß, leise und zum Einschlafen.

Falls zufällig die Zwillinge Luka und Tarkan aus der Vorjahresstaffel mitlesen, hier ein kurzer Service-Einschub: In medias res hat nichts mit Bambi zu tun. Aber zurück zum Thema. Seit Klum auch männliche Anwärter auf „Harper’s Bazaar“-Cover zu ihren Absurditäts-Festspielen zulässt, steigt der amouröse Faktor ihres alljährlichen Mannequin-Assessmentcenters für Baumarkt-Eröffnungskandidaten. Exemplarisch kristallisieren sich bei den Protagonisten der 2025er Rabattcode-Armada aktuell einige potentielle Glamourpaare heraus. Jannik etwa scheint gefühlsrelevante Zuneigung zu Eva zu entwickeln, während die ehemalige Top-Favoritin Daniela und Ray bemerkenswert oft von den zufällig anwesenden Kamerateams in trauter Zweisamkeit erwischt werden. Mit bloßem Auge ist GNTM inzwischen von „Temptation Island“ kaum noch zu unterscheiden.

Selbst Flirt-Insel-Starmoderatorin Lola Weippert sieht aus wie eine Jugendversion von Heidi Klum. Nur, ob Weippert ihren Brüsten ebenfalls Namen gegeben hat, ist noch unklar. Die von Heidi Klum sind nämlich offiziell getauft. Treue Leser dieser GNTM-Fachanalysen kennen die korrekte Antwort natürlich, für alle anderen hier zur Auflockerung eine kleine Multiple-Choice-Aufgabe: Wie heißen die Brüste von Heidi Klum?

Von Heidi Klums Brüsten jetzt aber schnell zum zweiten Highlight jeder GNTM-Staffel, der Sonderfolge für Sympathieträger aus dem Topmodel-Kosmos. Stabil in den Top 3 der Shitstorm-Charts platziert sich da seit Jahren zuverlässig Designerin Marina Hoermanseder. Ihr oftmals harsches Lamento wird vom kuschelkursverwöhnten Fernsehpublikum in den Kommentarspalten regelmäßig empört weggecancelt. Offenbar erwartet der Rosamunde-Pilcher-Fanblock auf dem heimischen Sofa, man müsse famesuchende Model-Novizinnen behandeln wie Robbenbabys. Tatsache ist allerdings: Wer mit Samthandschuhen angefasst werden möchte, sollte einen Butler einstellen. Denn wenn man glaubt, in der echten Fashion-Industrie würden Models verbal in Watte gepackt, der wird sich noch nach den Pöbelattacken von Marina Hoermanseder zurücksehnen.

Nun ist also der Mai gekommen, aber nicht nur die Bäume schlagen aus. Marina Hoermanseders erstes Opfer wird Null-Bock-Ikone Moritz. Seine Aura suggeriert stets, er würde gnädigerweise noch im Model-Penthouse verweilen, könne aber jederzeit aus Langeweile die Alice Weidel geben und ansatzlos aus dem Studio stürmen. Genau die richtige Einstellung für Disziplin-Connaisseurin Hoermanseder. Als ihr kolportiert wird, Moritz hätte bereits diverse Fashion Week Runways absolviert, fordert sie ihn auf, doch mal einen Walk zu zeigen. Der tensionsfaule Surfe-Boy allerdings chillt lieber weiter auf der Couchlandschaft: „Nee, sehe ich nicht!“

Schockechauffiert bekommt Hoermanseder sich bis zur übernächsten Werbepause nicht mehr ein: „Hier ist einer, der von mir nicht gebucht wird, weil, er möchte nicht laufen!“ Kurz weht ein Hauch Uli Hoeneß durch die GNTM-Hallen. Der polterte einst: „Solange Rummenigge und ich hier was zu sagen haben, wird Lothar Matthäus nicht mal Greenkeeper!“

Zum Glück für Moritz, dem Lothar Matthäus der Topmodels, schlendert in dem Moment Fotograf Christian Anwander in den Backstagebereich. Das österreichische Grantler-Duo Hoermanseder & Anwander ist vollständig. Denn auch der von Klum zum Starfotografen hochgeadelte Anwander zählt zu den eher verbalrobusten Gastjuroren der an Kommunikationsgenies nicht armen GNTM-Familie. Legendär bleibt sein Urteil über die annähernd nackt auf einem Lastwagen durch Los Angeles fahrende Kandidatin Zoe Saip: „Wenn ich mir vorstelle, dass ich mit dir einen ganzen Tag shooten müsste, kann ich mir gleich die Kugel gegeben!“ Doppelt unangenehm für Zoe, die damals bereits beim Umstyling mit einer Dieter Bohlen Gedächtnisfrisur gedemütigt worden war.

Die Kleider, die Moritz‘ Lieblingsdesignerin mitgebracht hat, sind schneeweiß. Für Hoermanseder so ungewöhnlich wie für Anwander Sätze ohne subtile Beleidigungen. Der enthüllt dann das Geheimnis der farblosen Outfits: „Wir werden Marinas schöne Kleider mit Farbe enhancen!“ Natürlich. Da haben sich die vielen Nachhilfestunden bei Thomas Hayo gelohnt. Das Enhancen erfolgt in Form von Farbe. Die wird von Klum persönlich in einer Mischung aus Paintball und Messerwurf auf die auf einer kreisenden Plattform vertikal festgeschnallten Kandidaten gefeuert, bis surreale Kunstwerke entstehen, die alle ein wenig so aussehen wie die Teller meines 17 Monate alten Sohns, wenn er ohne Hilfe essen will.

Um in dieser erhitzten Atmosphäre etwas konzeptionelles Mitbestimmungsrecht zu suggerieren, fragt Klum die Kandidaten gelegentlich wenigstens nach ihren Lieblingsfarben. Josy wählt Blau. Colour-Blockerin Klum ist das aber zu unkonkret: „Welches Blau? Eher Babyblau oder Kobold-Blau?“ Wer kennt es nicht: Kobold-Blau? Bei uns in Deutschland beinahe so populär wie Pumuckel, der rothaarige Kobalt.

Spätestens bei Kati ist Anwander auf Betriebstemperatur: „Du siehst aus, als wärst du aus dem 4. Stock gefallen und auf dem Boden zerschellt!“ Glücklicherweise zerschellen bei GNTM traditionell nie Models, sondern nur Intelligenzquotienten. Der von Canel aber nicht, denn die notiert geistesgegenwärtig: „Mein Kleid hatte was von Superwoman, ich hatte ja eine lange Schleppe!“ Ein Satz, der höchstens noch getoppt werden könnte von: „Das hatte was von Taylor Swift, ich hatte ja einen Elefanten!“

Moritz hat derweil seinen Hoermanseder-Walking-Fauxpas verdaut und ist zum Fashion-Philosoph mutiert: „Der größte Faktor für Kunden, mich zu buchen, ist mein Aussehen!“ Potzblitz. Weniger gut läuft es für Aaliyah. Klum diktiert ihr ein „Die Runde war jetzt nicht so gut!“ ins Klassenbuch. Die Runde war nicht so gut. Aha. Erst läuft es nicht so gut beim Shooting und dann auch noch Fatshaming. Auch Christian Anwander ist nur mittelbegeistert: „Du warst die Schlechteste von allen!“

Als das Drehwurm-Farbshooting vorüber ist, bleibt kaum Zeit, wenigstens die 300 Liter Farbe aus den Haaren zu spülen, die Klum den Kandidaten in die Föhnfrisuren gepitcht hat. Ex-Halbfinalistin Betty Taube kehrt in den GNTM-Schoß zurück und kündigt einen persönlichkeitsbasierten Social Media Videodreh an. Jeder soll sich in 30 Sekunden Bewegtbild vorstellen. Canel schaltet am schnellsten und hat bereits ein Konzept-Ass im Ärmel: „Ihr müsst die kleinen Dinge erleben, also zum Beispiel die wunderschöne Sonne in Los Angeles!“ Genau. Ihr braucht auch keine Designer-Kleidung, irgendwas von Louis Vuitton reicht völlig aus!

Erst als alle Videos im Kasten sind, verrät Taube, dass die Challenge gleichzeitig ein geheimes Casting für eine Energy-Drink-Marke war. Die Kandidaten sind begeisterter als Friedrich Merz nach dem zweiten Wahlgang. Verständlich, denn besagter Energy-Drink verleiht angeblich Flügel und Platz für ein weiteres Klavier ist im riesigen Penthouse ja auf jeden Fall. Casting-Direktorin Betty Taube wählt am Ende Kati und Moritz. Beide funktionieren bereits seit ihrer gemeinsamen Zeit auf der Berlin Fashion Week hervorragend zusammen. Inzwischen erinnern sie auffallend an dieses Rentner-Ehepaar-Meme, in dem der Mann immer die letzten drei Worte des Satzes wiederholt, den seine Frau gerade gesagt hat.

Weniger harmonisch verläuft am Folgetag dann der Entscheidungswalk. Statt Kleidung wird das Ensemble lediglich in schmale Klebestreifen gehüllt. Vor allem Nawin hadert mit dem knappen Outfit: „Der Look an sich ist geil, aber was wir untenrum wieder anhaben, ist eine Frechheit!“ Untenrum eine Frechheit. Das soll auch Barbie gesagt haben, als sie erstmals mit Ken intim wurde. Nawins Verhüllungsdrama jedoch stößt bei Zoe auf Unverständnis: „Die Jungs sind mehr Divas als die Mädchen. Im Ernst, Leute, ich hatte Tape über meine Nippel!“

Nawins Speedoslip-Aversion ist aber schnell vergessen, als plötzlich relativ zusammenhangslos Paris Hilton im Raum steht. Nawin ist begeistert. Er hat alle ihre Filme gesehen. Hilton sorgt nicht nur bei Nawin für Begeisterung. Auch Marina Hoermanseder bekommt direkt wieder Moritz-Vibes ab. Das Nullerjahre-It-Girl begrüßt Klum überschwänglich, Hoermanseder aber gar nicht. Tja, die wird schon mal nicht gebucht. Bessere Chancen hat Daniela. Die Bonmot-Queen spendiert auch heute ein Kleinod der Sprachkunst: „Ich hoffe, der Walk läuft gut!“ Aber da habe ich vom Feeling her ein gutes Gefühl. Als Catwalk-Nostradamus habe ich allerdings wenig Karrierechancen, denn Daniela läuft „angestrengt“ und stürzt am Ende sogar. Schonungslos stellt Marina Hoermanseder fest: „Eine Magdalena hat sie im Walk total überholt!“ Klar, Österreicherinnen halten zusammen.

Ansonsten bekommt Kevin noch ein „Slay“ von Paris Hilton und Pierre ein „ich werde ganz rot“ von Hoermanseder. Flirtalarm auch bei Xenia und Nawin, aber nur beim Bodenpersonal am LAX. Klum, Hoermanseder und Hilton teilen ihnen die vorzeitige Entlassung aus dem GNTM-Arbeitsverhältnis mit. Die Mit-Wackelkandidaten Daniela und Aaliyah retten sich dagegen noch mal haarscharf in die Drag-Queen-Woche, von der ich hier nächsten Freitag berichten werde. Bis dann!