„Oxana“ über die ukrainische Femen-Künstlerin Oxana Schatschko | ABC-Z

Die ukrainische feministische Aktivistinnen-Gruppe Femen, die 2008 gegründete ältere Schwester des russischen Performance-Kollektivs Pussy Riot, entstammt einer Kultur mit einem gegenüber Körperlichkeit und Sexualität vergleichsweise ursprünglich-gesunden Verhältnis. Die Oben-ohne-Auftritte, mit denen ihre Mitglieder, oft mit Blumenkranz im Haar, gegen Sextourismus und Zuhälterei protestierten, beeindruckten auch durch eine Naturnähe, die in einem aggressiven Umfeld wie Russland nicht funktioniert hätte und die von westlichen Feministinnen als patriarchal oder unterkomplex kritisiert wurde.
Heute, da Russland seine geballte Aggression auf die Ukraine richtet und kaum noch jemand auf die Idee käme, durch Schutzlosigkeit zu provozieren, startet in den deutschen Kinos der Spielfilm „Oxana“ der französischen Regisseurin Charlène Favier, der jene Sturm-und-Drang-Zeit ukrainischer Frauenrechtlerinnen nacherleben lässt – sieben Jahre nach dem frühen Freitod der historischen Heldin, der Femen-Mitbegründerin Oxana Schatschko, im Pariser Exil.
Schatschko stammte aus der westukrainischen Industriestadt Chmelnitzki, war als Kind tief gläubig, begeisterte sich jedoch auch für das zumindest halb heidnische slawische Iwan-Kupala-Ritual zur Mittsommernacht, bei dem man – aus orthodoxer Sicht zu Ehren Johannes’ des Täufers – nackt und mit Blumen bekränzt in reinigende Gewässer steigt. Favier eröffnet und schließt ihren gut hundert Minuten langen Film mit der sehnsuchtsvollen Erinnerung der Heldin an dieses Fest einer in ihrer Wahrnehmung heiligen, befreiten Natur. Der Plot, der Schatschkos letzten Lebenstag im Juli 2018 und mit Rückblenden ihren Weg dorthin schildert, stützt sich mit einigen Freiheiten auf Zeugnisse aus Schatschkos Umfeld, Männer dienen daher meist nur als Staffage.
Passenderweise ist der Cast weitgehend ukrainisch. Die Hauptdarstellerin Albina Korzh fesselt als Oxana durch ihre Impulsivität, den expressiven grazilen Körper und den oft kindlich vorwurfsvollen Blick ihrer an Porträts von Ernst Ludwig Kirchner erinnernden Augen. Favier und ihr Kameramann Eric Dumont machen durch schön komponierte und beleuchtete Einstellungen fast eine Kultfigur aus ihr. Man erlebt, wie die Jugendliche, die von der Kirche schon für ihre Ikonenmalerei geschätzt wird, vom Priester nicht das verabredete Honorar erhält – keine Kleinigkeit, da der arbeitslose Vater nur noch trinkt – und erst mal in die Natur rennt, deren Bedeutung für sie ukrainisch-folkloristisch inspirierte Vokalisen aus dem Off unterstreichen.
Action Painting auf nacktem Körper
Die Studentin trifft in Chmelnitzki Gleichgesinnte: die theoretisch beschlagene Frauenrechtlerin Anna (burschikos: Oksana Zhdanova) und die blonde Lada (lieblich: Lada Korovai), die der Zwangsprostitution knapp entkam. Oxana erfindet ein „revolutionäres“, den eigenen nackten Körper einbeziehendes Action Painting mit blutroter Farbe, das die Gruppe bei einer Aktion gegen Pfusch im Krankenhaus mit Todesfolge nutzt – es ist die Geburtsstunde von Femen.
Die nackte weibliche Brust, der jedes Menschenleben zustrebt, als Volksbefreiungssymbol entnimmt die Kunststudentin Oxana dem Revolutionsbild von Eugène Delacroix in einem sowjetischen Album und reproduziert, nach Kiew umgezogen, die Marianne-Figur mit ukrainischer Fahne. Dort erklärt sie nach einer Protestaktion gegen den Rada-Abgeordneten Nestor Schufrytsch, dem Femen das Ausbremsen eines Prostitutionsverbotsgesetzes vorwirft (Schufrytsch ist seit 2022 wegen prorussischer Aktivitäten in Haft), ihren noch unschlüssigen Mitstreiterinnen, entblößte Brüste erzwängen Aufmerksamkeit, zugleich verwandle die Protestagenda das Lustobjekt Frau in ein Subjekt. Ihr intim-vertrautes, solidarisches Verhältnis zur Mutter, mit der Schatschko in einer Rückblende in der Badewanne kost, macht ihr tendenziell panerotisches Körpergefühl plausibel.
Sie findet eine Amour Fou
Doch während Femen-Ableger in mehreren Ländern Westeuropas emporsprießen, gehen Gastspiele der Ukrainerinnen in den autoritären Nachbarländern tragisch schief. 2011 werden Schatschko und zwei Mitstreiterinnen nach einem Anti-Lukaschenko-Flashmob in Minsk von Sicherheitskräften gekidnappt, misshandelt und im Wald ausgesetzt. Ihren Moskauer Protest gegen Putins Wiederwahl 2012 bezahlt die zarte Rebellin mit einer Nacht in der Einzelzelle, der sie dank eines gutmütigen Aufsehers entkommt. Als die Frauen dann auch in Kiew von Sicherheitsbeamten festgenommen und übel zugerichtet werden, beantragen sie in Frankreich Asyl.
Die Kamera folgt der Heldin, die dort verloren durch schummrige Pariser Häuserschluchten irrt. Die für sie wichtige Entgrenzungserfahrung scheint sie im Schwimmbad zu suchen – wo sie immerhin eine Amour Fou findet. Doch die früher hierher ausgereiste Ex-Mitstreiterin Inna (kalkulierend: Maryna Koshkina), die sich jetzt als Femen-Chefin aufspielt, hat die Bewegung europagerecht zum Selbsterfahrungstraining für Großstädterinnen aufgebrezelt und den ukrainischen Kern neutralisiert. Schatschko kehrt zurück zur Kunst, sie kann an der École des Beaux-Arts arbeiten und ihre unkanonischen Ikonen – hier eine burka-verschleierte Gottesmutter, dort eine spirituell erleuchtete Kämpferin zu Pferd – sogar auf einer Soloschau präsentieren.
Doch der Film inszeniert mit suggestiven Bildern zugleich den Kontrast zwischen der wilden jungen Frau, die auch beim Malen fast nichts anhat, zum dekorüberladenen Palast der Kunsthochschule oder dem edlen Schlossgartenteich und macht ihre Einsamkeit und Fremdheit in dieser Zivilisation spürbar. Im von Menschenschlangen belagerten Ausländeramt beschimpft sie die von ihren Leidenserzählungen eher genervte Sachbearbeiterin. Im Gegensatz zur Femen-Kameradin Inna kann und will sie sich in diese Welt nicht einschreiben.
Besonders vielsagend ist die Interviewszene mit der Journalistin, die sie groß herausbringen will: Statt die Chance zu nutzen und sich mit ihrer Biographie in Szene zu setzen, schlingt die von Geldnot geplagte Kämpferin nur stumm den spendierten Imbiss herunter. Was sie von dieser Kunstszene hält, sagt sie, als sie, von einer Künstlerfreundin vor die Tür gesetzt, noch einmal ihren Körper mit – diesmal dunkler – Farbe einschmiert: „Ihr seid Fakes.“