Organisierte Banden: Das Milliardengeschäft – Wie der Staat Kriminellen beim Glücksspiel ein Einfallstor bietet | ABC-Z
Das Milliardengeschäft – Wie der Staat Kriminellen beim Glücksspiel ein Einfallstor bietet
Strenge Grenzen für Gewinne, Verluste, Spielzeit: Das legale Glücksspiel an Automaten ist hierzulande penibel geregelt. Das nutzen Kriminelle mit Verbindungen ins Rocker- und Clan-Milieu aus: Sie erzielen mit illegalen Alternativen riesige Umsätze. Der Staat ist kaum in der Lage, dagegen vorzugehen.
Es war ein Mann aus dem bayerisch-schwäbischen Vöhringen an der Iller, der den „einarmigen Banditen“ erfand. Der Mann wurde 1862 als Augustus Fey geboren und wanderte später nach Amerika aus. Dort anglisierte er seinen Namen und nannte sich fortan Charles August Fey. Er gründete eine Firma, mit der er sein „Liberty Bell“ genanntes Automatenmodell ständig weiterentwickelte und an Casinos sowie Saloons im Wilden Westen vermietete.
Damit hatte Fey auch schon Anfang des 20. Jahrhunderts das Geschäftskonzept entwickelt, das für Glücksspielautomaten bis heute funktioniert. In Deutschland setzen die legalen Spielunternehmen jedes Jahr mit ihren Automaten in Gaststätten oder Automatencasinos gut fünf Milliarden Euro um.
Und wie damals schon Fey in den USA wussten auch sie sich illegaler Konkurrenz zu erwehren. Damals waren das etwa Mafiosi und Revolverhelden. Heute sind es vereinzelt Gastronomen mit illegalen Geräten, im großen Stil aber organisierte Banden. Deren Anteil am Geschäft schätzt die Branche inzwischen als annähernd genauso hoch wie den Anteil der legalen.
„Der Markt für die kriminellen Protagonisten ist äußerst attraktiv“, heißt es in einer als „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ klassifizierten internen Analyse des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen. Eine Sprecherin bestätigt die Echtheit des Dokuments, das WELT vorliegt, will sich dazu aber nicht näher äußern.
In dem Papier heißt es weiter: „Der Betrieb illegaler GSG (Glücksspielgeräte), aber auch die systematische Steuerhinterziehung im Kontext legaler GSG verschaffen dem Aufsteller eine extrem lukrative und dauerhafte Einnahmequelle von monatlich mehreren Tausend Euro pro aufgestelltem Gerät.“
Insider aus der legalen Automatenbranche schätzen die Einnahmen pro Gerät auf 7000 bis 10.000 Euro monatlich. Kaufen lassen sich illegale Geräte nur auf dem Schwarzmarkt für bis zu 5000 Euro pro Stück. Üblich sei aber im Untergrund wie im legalen Markt gleichermaßen, dass Verleiher die Geräte gegen Gewinnbeteiligung zur Verfügung stellen, heißt es in dem LKA-Papier – womit die Struktur legal wie illegal genauso aufgebaut ist wie schon bei Slot-Machine-Pionier Charles August Fey.
In Deutschland ist diese Struktur sogar gesetzlich vorgeschrieben, nämlich im Glücksspielstaatsvertrag der Länder. Hersteller, Vertreiber und Gastronomen müssen Konzessionen und Genehmigungen besitzen. Die Automaten müssen auf den ersten Blick als zugelassene Geräte erkennbar sein, etwa mit einem amtlichen Siegel, das alle zwei Jahre erneuert werden muss. Auf Knopfdruck muss die Betriebssoftware-Version des Geräts angezeigt werden.
Spieler müssen sich vorab beim Personal melden und ihren Ausweis vorzeigen. Der Name wird mit einer Sperrdatei abgeglichen, in die sich Spielsüchtige eintragen können. Pro Spiel dürfen höchstens 20 Cent gesetzt werden. Der Gewinn darf pro Stunde 400 Euro nicht übersteigen, der Verlust 60 Euro. Nach einer Stunde muss der Automat fünf Minuten pausieren. Nach drei Stunden müssen zusätzlich sämtliche Geldspeicher geleert und das Gerät zurückgesetzt werden.
Geregelt sind auch der Mindestabstand zwischen Geräten und die Menge an Geräten pro Fläche, Raum und Betrieb. Alle Umsätze werden automatisiert an die Verleihfirmen gemeldet und beim Finanzamt abgerechnet.
Legale Umsätze brechen ein
Damit könnten die Bundesländer mit Billigung von CDU, SPD und Grünen die Regulierung womöglich übertrieben haben. Als Motiv gilt der Schutz vor Spielsucht, wobei die Länder nur private Anbieter durchregulieren. Beim „kleinen Spiel“ der staatlichen Spielbanken gelten die meisten Vorschriften nicht, an illegalen Automaten in Cafés, Shisha-Bars oder Wohnungs-Casinos erst recht nicht.
Die Folge ist ein Einbruch der legalen Umsätze. Das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft ermittelte für die Jahre 2017 bis 2022 einen Umsatzrückgang bei den legalen Aufstellunternehmen von 25 Prozent. „Diese Umsätze werden jetzt im illegalen Markt gemacht“, sagt der Geschäftsführer von Löwen Entertainment, Daniel Henzgen, WELT. Nach Schätzung der Branche gibt es in Deutschland 50.000 illegale Automaten.
Somit könnte die scharfe Glücksspielregulierung womöglich zwei unerwünschte Wirkungen haben: Zum einen schützt sie suchtgefährdete Spieler nicht, weil die in den illegalen Markt abwandern. Zum anderen wirkt sie offenbar als Konjunkturprogramm für die organisierte Kriminalität (OK).
„Im Kontext der Kriminalität in Zusammenhang mit dem Nachtleben ist illegales Glücksspiel eng mit dem Rotlicht- und auch Drogenmilieu verbunden“, heißt es in dem vertraulichen Papier des LKA Nordrhein-Westfalen. „Bei den Veranstaltungsorten handelt es sich bekanntermaßen auch um Treffpunkte OK-relevanter Personen. Dazu zählen auch Mitglieder von Rocker-Gruppierungen, Angehörige türkisch-arabischer Familienclans und Personen mit Verbindungen zur italienischen Mafia.“
Zudem sind die Strafverfolger nach Eingeständnis des LKA NRW kaum in der Lage, illegales Glücksspiel und seine Folgen zu bekämpfen. Den Behörden fehle es sowohl an „ganzheitlichen Bekämpfungskonzepten, an sachlich und rechtlich kompetenten sowie technisch geschulten Ansprechpartnern als auch der erforderlichen Ausstattung“, heißt es weiter in dem Papier. Auch die Justiz sei überfordert, sodass die Autoren des Dokuments den Gerichten empfehlen, sich effektiverweise auf Steuerstraftaten zu konzentrieren, und zwar „aufgrund des höher zu erwartenden Strafmaßes und der einfacheren Beweisführung“.
Was letztlich auf einem altbewährten Vorbild aus den USA beruht, wo 1931 ein Zeitgenosse von Charles August Fey auch nur wegen Steuerhinterziehung zu elf Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Mord, Alkoholschmuggel und andere Delikte waren Gangsterboss Al Capone nicht nachzuweisen – ebenso wenig wie Spielbetrug.