Opa als Motivation – DFB-Keeperin Berger selbstbewusst vor EM-Viertelfinale | ABC-Z

Das Schicksal hat es mit Ann-Katrin Berger nicht immer gut gemeint. Zweimal erkrankte die Nationalkeeperin an Krebs, zweimal gewann sie den Kampf um Leben und Tod. Die schweren Zeiten haben die Torhüterin geprägt. Vor dem EM-Viertelfinale der DFB-Auswahl gegen Frankreich strahlt sie eine gewisse Gelassenheit aus – und hat einen besonderen Antrieb.
Am Mittwochnachmittag gab es kein Entkommen mehr für Deutschlands Nummer eins. Vier Tage vor dem Duell am Samstag (21 Uhr, live im Ticker und Audiostream auf sportschau.de) mit den Französinnen wurde Berger im wahrsten Sinne des Wortes ins Rampenlicht gezerrt. Auf Geheiß der Medienabteilung des DFB musste sie gemeinsam mit Verteidigerin Kathrin Hendrich bei der während der EM obligatorischen Pressekonferenz auf dem Podium Platz nehmen.
Als sie davon erfahren habe, “wollte ich eigentlich abhauen”, gab die 34-Jährige zu. Die gebürtige Schwäbin steht nicht gerne im Mittelpunkt. Die Torfrau vom US-Klub Gotham FC zählt zu den bescheidenen und unprätentiösen Vertreterinnen ihrer Zunft. Das Leben hat sie Demut gelehrt, auch weil sie dem Tod bereits ins Auge geblickt hat.
“All we have ist now” steht auf einem großen Tattoo, das Berger an ihrem Hals trägt. “Wir haben nur die Gegenwart” – das ist das Motto der Keeperin, die 2017 und 2022 an Schilddrüsenkrebs erkrankt war. Seitdem ist der Blick in die Ferne für Berger tabu, wie sie auf Nachfrage eines Reporters klarstellte, der wissen wollte, ob sie ihre DFB-Karriere möglicherweise nach der EM beende: “So weit in die Zukunft schaue ich eigentlich gar nicht. Ich bin ein Mensch, der im Hier und Jetzt lebt.”
DFB-Keeperin Berger spielt schon seit 2014 im Ausland
Besagtes “Hier und Jetzt” ist für Berger und die Rekord-Europameisterinnen nicht einfach. Sogar ziemlich kompliziert. Die 1:4-Pleite im dritten Gruppenspiel gegen Schweden verdeutlichte, dass die DFB-Frauen in der Arbeit gegen den Ball bedenkliche Defizite haben. Demensprechend groß war das mediale Echo auf die Niederlage. Doch im Falle von Berger verhallte es schlichtweg.
“Seitdem ich Deutschland verlassen habe, lese ich eigentlich gar keine Nachrichten. Ich konzentriere mich einfach auf mich und auf meine Mannschaft.
“Seitdem ich Deutschland verlassen habe, lese ich eigentlich gar keine Nachrichten. Ich konzentriere mich einfach auf mich und auf meine Mannschaft und versuche, mein Bestes zu geben”, erklärte die aus Göppingen stammende Torhüterin, die nun bereits seit 2014 im Ausland ihren Lebensunterhalt verdient. Paris Saint-Germain, Birmingham City, Chelsea FC hießen ihre Arbeitgeber, bevor es sie im vergangenen Jahr über den großen Teich ins Land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten nach New Jersey verschlug.
Zu diesem Zeitpunkt war sie eine Heldin. Eine deutsche Heldin. Endlich aus ihrer Sicht. Denn gleich bei ihrem ersten Großturnier als Nummer eins hatte Berger mit diversen parierten Strafstößen großen Anteil daran, dass die DFB-Auswahl bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris die Bronzemedaille gewann.
Erst 2020 DFB-Debüt, dann im Schatten von Schult und Frohms
Erst vier Jahre zuvor hatte Berger ihr Nationalmannschafts-Debüt gefeiert. Anschließend stand sie im Schatten von Almuth Schult und Merle Frohms. Dann machte sie Interims-Bundestrainer Horst Hrubesch vor den Spielen an der Seine zur Nummer eins. Seitdem hat die Wahl-Amerikanerin diese Position verteidigt und ist nun erstmals bei einer EM Stammkeeperin.
“Natürlich ist es ein sehr, sehr schönes Gefühl, als Nummer eins bei so einem Turnier aufzutreten. Hätte mir das jemand vor drei vier Jahren gesagt, dass es passieren würde, hätte ich der Person wahrscheinlich einen Vogel gezeigt”, sagte die 34-Jährige.
Selbstkritik nach Schweden-Pleite: “Nicht mein bestes Spiel”
Apropos “Vogel gezeigt”: In gewissen Sinne tat dies Bundestrainer Christian Wück zu Berger nach dem zweiten Gruppenspiel gegen Dänemark (2:1). Der 52-Jährige war ob einiger Dribblings der Torfrau im oder am eigenen Strafraum recht aufgebracht und kündigte ein Gespräch mit der Keeperin an. Gegen Schweden suchte Berger dann zwar nicht mehr den “Kick” in den Eins-zu-eins-Duellen und war bei den Gegentoren machtlos. Frustriert und vor allem selbstkritisch war sie aber dennoch.
“Gegen Schweden hat nicht eine von uns ihr komplettes Talent zeigen können – mich einbegriffen. Es war auch nicht mein bestes Spiel. Aber nach der Analyse, die ich die letzten Tage gemacht habe, habe ich jetzt damit abgeschlossen. Ich fokussiere mich jetzt auf Frankreich”, sagte die 34-Jährige.
Berger sieht DFB-Team auf Augenhöhe mit Frankreich
Frankreich, die “Les Bleues”, diese bei der EM bis dato so begeisternd auftretende Mannschaft – das Viertelfinale wird für Deutschland gefühlt ein vorweggenommenes Finale. Ein Finale, in dem die DFB-Auswahl Außenseiter ist. Aus neutraler Sicht. Denn Berger sagte selbstbewusst: “Wir können auf Augenhöhe mit ihnen spielen oder sogar besser sein, wenn wir unsere Topform abrufen.”
Ann-Katrin Bergers größer Erfolg mit dem DFB-Team: Olympia-Bronze in Paris.
Berger will nach Basel. Dort ertönt am 27. Juli der Anpfiff zum Endspiel. Und dort will die 34-Jährige im St. Jakob-Park den Titel holen. Für Deutschland. Für sich. Und für ihren Großvater. “Meine Motivation ist, dass er zum Finale kommt. Er hat gesagt, das Viertelfinale und das Halbfinale lohnen sich nicht für ihn. Von dem her habe ich da meine eigene Motivation weitzukommen und ihn stolz zu machen”, erklärte Berger.
92-jähriger Opa als besondere Motivation
Ihr Opa ist bereits 92 Jahre alt. Im ersten Gruppenspiel gegen Polen saß er mit einem Trikot auf der Tribüne. Er ist der härteste Kritiker der Torfrau. “Von ihm kriege ich meist den Daumen hoch oder runter. Bei dem Spiel habe ich einen Daumen hochbekommen – das gibt es nicht so oft bei ihm”, sagte Deutschlands Nummer eins.
Aber auch im Falle eines vorzeitigen Ausscheidens würde für die 34-Jährige die Welt natürlich nicht zusammenbrechen. Erst recht nicht für sie, die schon ganz andere Schicksalsschläge hat verkraften müssen. Das hatte sie bereits nach dem Schweden-Spiel verdeutlicht: “Es ist nicht einfach, und da muss man auch nichts schönreden. Ich bin dankbar dafür, dass ich den Sport ausüben darf, den ich liebe und dass ich meine Familie um mich herum habe.”