Carsten Knobel: “Ein Journalist nannte mich unsensibles Panzernashorn” | ABC-Z

DIE ZEIT: Herr Knobel, Sie sind mit Ihrem Konzern in über 100 Ländern aktiv. Heute ist Donnerstag. Mit wie vielen Krisen haben Sie sich in dieser Woche bereits beschäftigt?
Carsten Knobel: Seit ich 2020 die Aufgabe als CEO bei Henkel übernommen habe, gab es mehr Krisen, als ich es mir hätte vorstellen können. Seit Montag ist mir immerhin mal keine neue begegnet. Insgesamt hat sich das Geschäft dennoch sehr verändert. Gerade komme ich zum Beispiel zurück von Investorentreffen in New York und Toronto. Es fällt schon auf, wie viel mehr Raum das Thema Geopolitik heute einnimmt. Die Weltlage ist unberechenbar geworden, das macht auch die Arbeit schwieriger.
ZEIT: Sie traten Ihr Amt während der Coronapandemie an, es folgte Russlands Überfall auf die Ukraine, dann die Energiekrise, nun der Handelskrieg. Gab es einen Moment, in dem Sie nicht weiterwussten?
Knobel: Der Beginn der Coronapandemie war meine erste Prüfung, zumal ich gerade CEO geworden war. Der schwierigste Moment in meinem bisherigen Berufsleben war aber zweifellos die Zeit nach dem 22. Februar 2022, nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine. Henkel hatte damals ein sehr starkes Russlandgeschäft mit einer Milliarde Euro Gesamtumsatz und rund 2.500 Mitarbeitern. Es gab viele kritische Fragen von Aktionären auf der Hauptversammlung kurz nach dem Massaker von Butscha. Ein Journalist nannte mich damals ein unsensibles Panzernashorn, weil wir unser Geschäft in Russland noch nicht beendet hatten. Einerseits konnte ich das verstehen, aber treffen Sie mal binnen kürzester Zeit die Entscheidung, sich von einem exzellenten Geschäft zu trennen, mit all den Mitarbeitern, die ja auch betroffen sind. Am Ende haben wir nach nicht mal sechs Wochen entschieden, uns komplett aus Russland zurückzuziehen. Ich bin überzeugt, dass unsere Entscheidung richtig war, und ich würde sie heute wieder so treffen. Das war aber eine Zeit, die mir in der Tat schlaflose Nächte bereitet hat.
ZEIT: Sie haben damals eine Rückkaufoption ausgehandelt. Sind Sie noch in Kontakt mit den Investoren, die das Geschäft übernommen haben?
Knobel: Wir hatten auch eine Verpflichtung gegenüber unseren Aktionären, eine solche Option vorzusehen, da man nie weiß, wie sich die Lage langfristig entwickelt. Und es gibt auch gelegentlich Kontakt mit den neuen Eigentümern. Klar ist aber auch: Selbst wenn der Krieg mit der Ukraine morgen zu Ende ginge, wäre es aus heutiger Sicht mehr als fraglich, ob wir in Russland überhaupt wieder Geschäfte machen könnten.
ZEIT: Was hat das bei Ihnen im Unternehmen ausgelöst, als US-Präsident Donald Trump am 2. April mit seiner Tafel im Rosengarten stand und Zölle für alle ankündigte?
Knobel: Wir haben einen großen Vorteil: Wir produzieren in der Regel mehr als 85 Prozent der Produkte, die wir in einer Region absetzen, auch in dieser Region. Daher treffen uns die Zölle nicht so stark. Zudem ist das die zweite Amtszeit von Donald Trump, und wir wussten besser, worauf wir uns einstellen mussten.
ZEIT: Die 90-Tage-Schonfrist, die Trump der EU eingeräumt hat, ist noch nicht einmal abgelaufen, nun hat er vor wenigen Tagen erst einen Zollsatz von 50 Prozent für EU-Importe ab Juni angekündigt, nur um Europa kurz darauf wieder einen Monat Aufschub einzuräumen. Wie, glauben Sie, geht es weiter?
Knobel: Mit dieser Unberechenbarkeit müssen wir leben. Ich komme gerade aus den USA zurück. Die Stimmung bei den Verbrauchern und bei der Industrie ist sehr gedrückt, und ich glaube, dass sich diesem Druck auch die Regierung nicht verweigern kann. Ich glaube, dass Donald Trump eines extrem unterschätzt: Bei derartigen Handelskriegen gibt es keine Win-win-Situation. Die Verlierer sind klar, es sind die Konsumenten. Das kann sich kein Land leisten. Insofern bin ich weiter optimistisch. Während einige Konzerne ihre Jahresprognosen wegen der Zölle eingestellt haben, gehen wir für das Jahr 2025 weiter von steigendem Umsatz und einer höheren Marge aus.
ZEIT: SAP hat seine globale Frauenquote kassiert, mit Verweis auf die Politik der Trump-Regierung, die gegen Gleichstellungsprogramme vorgeht. Sie haben vor drei Jahren das Ziel ausgegeben, bis 2025 ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis im Management herzustellen. Werden Sie das jetzt überdenken?
Knobel: Nein, wir werden unsere Haltung zum Thema Vielfalt nicht verändern. Grundsätzlich geht es uns beim Thema Geschlechtervielfalt aber nicht um einen konkreten Prozentsatz. Ob wir 47, 49 oder 50 Prozent Frauenanteil im Management haben, ist nicht entscheidend. Es geht um das klare Zeichen in die Organisation, dass uns das Thema wichtig ist. Und es geht ja auch nicht nur um die Geschlechterfrage. Ein breites Spektrum von Altersgruppen und Nationalitäten ist ebenfalls entscheidend für den Erfolg. Trotzdem müssten wir reagieren, sobald sich gesetzliche Rahmenbedingungen in einzelnen Ländern ändern.
ZEIT: Als Sie CEO wurden, lag der Frauenanteil von Henkel in Führungspositionen weltweit bei knapp 36 Prozent. Wo stehen Sie heute?
Knobel: Bei rund 42 Prozent. Wir haben in dieser Hinsicht deutliche Fortschritte gemacht, und das ist für mich das Entscheidende.