Olympische Winterspiele 2026: Der Ärger um die Bobbahn in Cortina | ABC-Z

Zwölf Monate vor Beginn der Olympischen Winterspiele gibt es Sorgen beim Bau des Eiskanals in Cortina. Die Sportstätte ist immer noch eine Baustelle. Die Notlösung liegt mehr als 6400 Kilometer entfernt – trotz deutlich näherer Alternativen.
Gerd Leopold schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Zugleich spricht der erfolgreichste Trainer im deutschen Bobsport aus, was er partout nicht möchte. „Nein, bloß nicht Lake Placid. Ich habe nichts gegen den traditionsreichen Wintersportort, doch die olympischen Rennen dürfen dort nicht stattfinden“, sagt der renommierte Sportwissenschaftler WELT AM SONNTAG im Hinblick auf die nächsten Winterspiele in Mailand und Cortina d’Ampezzo. Mit seiner ablehnenden Haltung steht der weltweit geschätzte Experte nicht allein da.
In einem Jahr werden in der italienischen Modemetropole und der malerisch gelegenen Dolomiten-Gemeinde die Medaillen mit den fünf Ringen vergeben. Noch aber sind längst nicht alle notwendigen Baumaßnahmen abgeschlossen, um die insgesamt 116 Wettbewerbe reibungslos austragen zu können. Vor allem den Aktiven aus dem Bob-, Schlitten- und Skeletonlager stellt sich derzeit noch die bange Frage: Werden die Rennen tatsächlich wie geplant in Cortina ausgetragen – oder müssen wir ins über 6400 Kilometer entfernte Lake Placid ausweichen?
Es ist ein Wettlauf gegen die Uhr, dem die 190 Arbeiter an sieben Tagen die Woche und sogar nachts ausgesetzt sind, um den Eiskanal in einer Bauzeit von nur elf Monaten rechtzeitig seiner Bestimmung übergeben zu können. Das für 82 Millionen Euro geplante, inzwischen aber ein Drittel teurere Prestigeobjekt der italienischen Regierung war vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) als Schirmherr des alle vier Jahre über 16 Tage ausgetragenen Wintersportspektakels abgelehnt worden. Und das nicht nur wegen der unnötigen Ausgaben für eine Bahn, die nach den Spielen nur noch von begrenztem Nutzen sein würde.
Schon das Eislabyrinth der Winterspiele von 2006 in Turin verrottet ungenutzt. Auch wegen der Umweltauswirkungen aufgrund der weitflächigen Waldrodungen und der Fertigstellungsfrist bis März 2025, legten die olympischen Gralshüter ihr Veto ein.
Warum ausgerechnet Lake Placid die Notlösung ist
Die Skepsis um den Wiederaufbau des Cortina Sliding Centers ist verständlich, nachdem die olympische Wettkampfanlage von 1956 nach den letzten dort ausgetragenen Fahrten 2008 abgerissen worden war. Noch nie wurde in einer so kurzen Zeitspanne ein für die Schlittensportler dem internationalen Reglement entsprechender Eiskanal aus dem Boden gestampft. Dem italienischen Bauunternehmen Pizzarotti blieb nicht einmal ein Jahr bis zum vorgegebenen Fixdatum, um auf einem Gelände mit einer durchschnittlichen Steigung von 8,5 Prozent eine 1659 Meter lange Strecke mit 16 Kurven und speziellen Kühlsystemen zu errichten.
Wegen der Unwägbarkeiten hatte sich das IOC für eine Verlegung der Wettkämpfe ins Ausland ausgesprochen und für den Fall der Fälle vom gastgebenden Organisationskomitee eine Alternativlösung gefordert. Obwohl die Eispisten in St. Moritz, Innsbruck oder Deutschland quasi um die Ecke liegen, entschied es sich für Lake Placid, wo schon 1932 und 1980 olympische Rennen ausgerichtet wurden. Die Amerikaner hätten mit der Übernahme sämtlicher Kosten das lukrativste Angebot unterbreitet, heißt es aus italienischen Regierungskreisen. „Wir kamen als Ausrichter schon deshalb nicht infrage, weil wir dann einen unschätzbaren Heimvorteil besessen hätten“, ist Leopold sicher.
Dass Wettbewerbe nicht im Gastgeberland der Olympischen Spiele ausgetragen wurden, gab es im Winter noch nie. Im Sommer hingegen schon zweimal. Zuletzt erst bei den vorjährigen Spielen in Frankreich, als die Olympiasieger im Surfen in Teahupo‘o ermittelt wurden – einem kleinen Ort an der Südküste von Tahiti, der 15.700 Kilometer von Paris entfernt liegt, streng genommen aber auch zum französischen Überseegebiet Französisch-Polynesien gehört. Dort gibt es die spektakulärsten Wellen. Bei den Spielen 1956 in Melbourne wurden die Reitwettbewerbe aufgrund der verschärften Quarantänebestimmungen in Australien im 15.600 Kilometer entfernten Stockholm veranstaltet.
Felix Loch: „Alles andere lässt ihr Stolz nicht zu“
Die Verantwortlichen in Cortina verbreiten vorsichtigen Optimismus. Sieben der 16 Kurven stehen, ein Teilstück der Bahn wurde bereits vereist. Sollten die vorgesehenen Testfahrten in der letzten Märzwoche noch nicht möglich sein, blieben schließlich noch die Sommermonate als Bauzeit, um dann im Oktober grünes Licht für die ersten Weltcuprennen zu bekommen – als Generalprobe für die Winterspiele.
DOSB-Leistungssport-Vorstand Olaf Tabor zeigte sich vergangene Woche optimistisch. „Die Bob- und Rodelbahn ist offensichtlich mit einem sehr guten Baufortschritt vorangekommen.“ Auch Deutschlands Rodelstar Felix Loch ist zuversichtlich. „Die Italiener bekommen das hin. Alles andere lässt ihr Stolz nicht zu“, sagt der dreimalige Olympiasieger WELT AM SONNTAG.
Leopold hofft, dass Loch recht haben möge, zumal ein Ausweichen nach Lake Placid auch deshalb bitter wäre, weil sie dann von dem, was Olympische Spiele über die Wettbewerbe hinaus ausmachen, nichts mitbekommen würden. „Dieses friedvolle Flair, diese besondere Atmosphäre, die es so nur bei den Spielen gibt, darf den Teilnehmern nicht genommen werden“, fordert der Bundestrainer. Er weiß sehr wohl, worüber er spricht. Für den Sachsen wären es die zehnten Winterspiele, die er erleben würde.