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Olympia 2024: Gold – Diese Tränen von Lukas Märtens haben nicht nur einen Grund | ABC-Z

Sein Jubel nach dem Anschlag war noch verdammt cool, Lukas Märtens begriff kaum, was passiert war. Ungläubig setzte er sich auf die Schwimmleine und breitete die Arme aus. Auch Sekunden später, als er nach dem Finale über 400 Meter Freistil als Olympiasieger aus dem 50-Meter-Becken der Paris La Défense Arena stieg und 17.000 Zuschauer den Lautstärkepegel nach oben schnellen ließen, blieb Märtens einigermaßen gefasst. Deutschlands erster Schwimm-Olympiasieger im Becken seit 36 Jahren, reckte die Faust gen Hallendach, legte seine Hand aufs Herz, applaudiert den Zuschauern und verneigte sich. Und die Schwimmwelt verneigte sich vor ihm.

Tränen bei der Siegerehrung, zunächst…

Quelle: dpa/Michael Kappeler

…versucht sich Lukas Märtens zusammenzureißen, dann bricht es aus ihm heraus

Quelle: dpa/Michael Kappeler

Ein wenig später dann, als bei der Siegerehrung die deutsche Hymne erklang und die olympische Goldmedaille um seinen Hals hing, begann sein Kampf gegen die Tränen. Das wiederholt tiefe Ein- und Ausatmen reichte bald nicht mehr, seine Lippen zitterten, die Augen füllten sich mit Wasser. Als der 22 Jahre alte Magdeburger danach auf der gemeinsamen Ehrenrunde mit dem zweitplatzierten Elijah Winnington aus Australien und dem Südkoreaner Kim Woomin zu seinem Coach Bernd Berkhahn und dessen Co-Trainer Norbert Warnatzsch ging und sie umarmte, gab es kein Halten mehr. Seine Emotionen, seine Tränen haben Gründe.

Zum einen natürlich, weil dies nach EM- und WM-Medaillen nun der größte Erfolg seiner Karriere ist – seine erste olympische Medaille, und dann auch noch in Gold. Ein Kindheitstraum. „Es bedeutet mir alles. Ich bin glücklich, überwältigt und kann meine Gefühle und Gedanken kaum in Worte fassen“, sagte er später. Das letzte deutsche Schwimmgold im Becken hatte 2008 Britta Steffen gewonnen – unter Trainer Warnatzsch -, die letzten Männer, die für Deutschland gesiegt hatten, waren 1988 Uwe Daßler und Michael Groß gewesen. „Ich bin extrem glücklich, hier zu stehen“, sagte Märtens. Es sind auch deshalb besondere Spiele für ihn, weil es seine zwei Jahre jüngere Schwester Leonie ins deutsche Olympia-Team geschafft hat – sie zitterte auf der Tribüne mit und weinte, als Märtens es vollbracht hatte.

„Völlig egal“, sagt Märtens über verpassten Weltrekord

Dass er in 3:41,78 Minuten nicht, wie vorher spekuliert worden war und er selbst auch erträumt hatte, den Weltrekord von Paul Biedermann (3:40,07 Minuten) brach, trübte die Stimmung nicht im Geringsten. „Völlig egal“, sagte Märtens. Er war auf der Favoritenbahn vier das Rennen mutig von vorn weggeschwommen, doch die Konkurrenz blieb dran. Am Ende wurden seine Arme schwer, Märtens kämpfte, holte heraus, was irgendwo noch in ihm steckte. „Ich hatte das Gefühl, ich stand“, bekannte er. „Es waren die schlimmsten und die schönsten Meter meines Lebens.“ Auch wegen dieses Kampfes kamen die Tränen. Vor allem aber wegen der Hürden, die er auf dem Weg zu diesem olympischen Finale am Samstagabend, des 27. Juli, überwinden musste.

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Der wichtigste Grund für den Erfolg? „Dass ich immer an mich geglaubt habe. Und dass ich aus Rückschlägen gelernt habe. Dann, wenn es am unwahrscheinlichsten scheint, etwas zu schaffen, kann man es vielleicht am ehesten packen.“

Immer an sich geglaubt – das hatte er schon als Kind und in der Jugend. Denn auch wenn Märtens als großes Talent galt, schaffte er es nie zu Jugend-Europameisterschaften. Andere waren besser, aber das spornte ihn. In der starken Magdeburger Trainingsgruppe von Bernd Berkhahn, Seite an Seite mit Weltmeister und Freiwasser-Olympiasieger Florian Wellbrock und anderen Topleuten reifte er zum Spitzenschwimmer. Als Vorbild auf seinem Weg dorthin diente ihm zum einen Wellbrock, seit Kindertagen aber bereits Biedermann.

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14 und zwölf Jahre liegen zwei Momente zurück, die Märtens bis heute in Erinnerung geblieben sind, festgehalten jeweils auf einem Foto. Sie zeigen ihn, den heutigen 1,92 Meter großen Modellathleten, als Nachwuchsschwimmer neben Weltrekordhalter Biedermann. „Paul war schon immer mein Vorbild“, sagt Märtens und erinnert sich: „Ich hatte ganz schön Respekt, als er neben mir stand. Er war nicht nur ein Vorbild, sondern auch jemand, auf den ich stolz war, weil er aus meiner Region kam. Mich hat außerdem seine Coolness sehr beeindruckt und wie er seine Rennen gestaltet hat.“

Eine Aufnahme aus dem Jahr 2010, die Märtens und Biedermann WELT zur Verfügung stellten

Quelle: Privat / Lukas Märtens

Und dann war es so weit: Tokio 2021, Märtens Olympia-Debüt, dabei war er nie zuvor international angetreten. Die Sache verlief frustrierend für den Youngster; in den Vorläufen schwamm er seinen eigenen Erwartungen und Bestzeiten weit hinterher. Aufgeben? Nein, umdenken. Mit einer Sportpsychologin arbeitete er an seiner Nervosität, am Mentalen, am Fokus, er programmierte seinen Kopf gewissermaßen um.

Tokio war ihm eine Lehre und ein Startschuss: Im Jahr darauf gewann er WM-Gold und WM-Silber über 400 Meter Freistil. Tokio bereitete ihn vor auf die große Bühne von Paris. Dass Märtens hier aber überhaupt antritt, hätte er Ende 2023 kaum für möglich gehalten – auch das ein Grund für die Emotionen.

Der Körper streikte – Medaille schien außer Reichweite

Denn sein Start in die wichtige Phase er Olympiasaison war so verkorkst gewesen, dass er im Dezember nach zweieinhalb Monaten Zwangspause dachte, er könne die Saison abhaken. „Ein absolut schlechtes Vorzeichen im olympischen Jahr“, sagt er. Immer wieder hatte er im Herbst und Anfangs des Winters mit Infekten zu kämpfen gehabt. Was genau dahintersteckte, stand lange nicht fest. Erst nach etwa drei Monaten wurde eine chronische Nasennebenhöhlenentzündung als Ursache diagnostiziert. „Deshalb“, so erzählt er, „habe er lange eine falsche Behandlung gemacht und spät Antibiotikum genommen. Die Sache zog sich. Eine Operation kam für ihn nicht in Frage, weil der Ausfall mit Blick auf Paris zu lange gewesen wäre – der Eingriff aber steht nach den Spielen an.

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Zweieinhalb Monate fiel Märtens im Training komplett aus, sein Optimismus schwand. „Ich habe aber ein sehr gutes Umfeld, das mir immer wieder Mut gemacht und gesagt hat: ‚Du bist ein Kämpfer.‘“ Es wurde sein Motto nach den Zwangspausen. Schließlich wurde ihm in der Magdeburger täglich vor Augen geführt, wo der internationale Maßstab liegt. „Ich habe mir dann irgendwann gesagt: ‚Du haust jetzt alles rein und trainierst umso härter‘.“

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Ganz so einfach war das allerdings nicht, denn mit einer chronischen Nasennebenhöhlenentzündung auf diesem Niveau zu trainieren und 80 bis 90 Kilometer pro Woche zu schwimmen, braucht seitens des Trainer-Sportler-Gespanns viel Fingerspitzengefühl. Ins Frühjahr fiel zudem die Trennung von seiner langjährigen Freundin, Spitzenschwimmerin Isabel Gose. Sie hatten eine gemeinsame Wohnung – und sehen sich als Teil der Trainingsgruppe weiterhin oft.

Dass Märtens dann trotz Trennung, aber vor allem trotz der gesundheitlichen Probleme im April zur drittbesten jemals erzielten Zeit über 400 Meter Freistil flog und Biedermanns Weltrekord nur um 0,26 Sekunden verpasste, damit hätte er nicht gerechnet. Eine der ersten Gratulantinnen: Gose mit einer herzlichen Umarmung. Die Leistung machte ihm Mut, aber bürdete ihm auch die Rolle des Topfavoriten auf.

Märtens Ex-Freundin Isabel Gose

Quelle: dpa/Michael Kappeler

Cool hatte Märtens zwar stets betont, dass er vor allem in dieser Saison „gar nichts müsse“, dass er die Rolle annehme und mit ihr gut klarkomme. Aber spurlos, das sagte er nun in der Mixed Zone nach der Siegerehrung, sei das alles nicht an ihm vorbeigegangen. Er lässt die Sekunden nach dem Anschlag Revue passieren: „Ich habe angeschlagen, auf die Anzeigetafel geschaut und gedacht: ‚Ne, eigentlich kann das nicht sein. Nach der Saison, nach den ganzen Strapazen – auch wenn die Vorleistungen dafür gesprochen haben. Und der Druck war nicht ohne. Mit dieser Favoritenrolle umzugehen, ist nicht immer leicht.“ Zumal er diese Medaille ja selbst auch wollte. „Mit Gold habe ich natürlich geliebäugelt – und jetzt ist es tatsächlich wahr.“

Mit Bravour hat Märtens all das gemeistert. Und diese Spiele sind ja längst noch nicht vorbei für ihn. Er tritt noch in der 4×200 Meter Freistilstaffel und im Einzelwettbewerb über diese Strecke an.

Tränen, so viele Tränen

Märtens war übrigens nicht der Einzige, der von seinen Emotionen übermannt wurde. Beim Kommentieren erging es schon dem früheren Schwimm-Weltmeister Thomas Rupprath so. „Das Rennen war einfach Weltklasse. Ich bin selten sprachlos. Kommt auch selten vor, dass ich mal beim Kommentieren Tränen in den Augen habe“, sagte der Eurosport-Experte: „Er ist mutig von vorn bis hinten sein Rennen geschwommen und hat sich von niemandem beirren lassen. Märtens ist verdient Olympiasieger geworden.“

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Auch seine Ex-Freundin Isabel Gose konnte ihre Gefühle nicht im Zaum halten. Sie musste direkt nach Märtens‘ Goldrennen an den Start gehen, war über 400 Meter Freistil mit 4:02,14 Minuten Fünfte geworden und danach von einem ARD-Reporter abgepasst worden. Mit Tränen in den Augen sagte sie: „Lukas hat sich das so verdient. Ich musste mich bei meinem Start ein bisschen zurückhalten, weil ich mein Rennen direkt danach hatte. Da übermannen einen die Emotionen. Er kann so stolz auf sich sein. Er macht im Training so krasse Dinge. Wir sind alle unfassbar stolz.“

Als sie dann die eingespielten TV-Bilder von ihrem weinenden Ex-Freund bei der Ehrenrunde sah, fing Gose noch stärker an zu weinen. Schließlich sagte sie zum ARD-Reporter: „Guck dir die Bilder an.“ Zum Ende des Interviews gesteht Gose: „Ich kriege gar kein Wort raus, sorry.“

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