Olympia 2024: Ende der Olympischen Spiele wird zum Fest der Emotionen | ABC-Z
Bei 28 Grad am Abend und leichter Brise wirkte diese Abschlussfeier der 33. Olympischen Spiele wie eine riesige Garten-Party zu später Stunde. Wer sich über die woke Eröffnungsfeier echauffiert hat, dürfte wieder versöhnt sein mit der olympischen Welt, denn dieses Mal war für jeden Geschmack etwas dabei. Joe Dassins Chanson „Les Champs-Élysée“ zum Mitsingen und Hollywoodstar Tom Cruise, der vom Dach des Stade de France in die verzückte Menge der Athleten fliegt und dann auf ein Motorrad steigt, um mit der Olympiaflagge wegzudüsen, in einen Jet zu rollen und Richtung Los Angelos abzuheben.
Frankreichs Jungstar Zaho de Sagazan hat die Feier eröffnet, in den Tuilerien, auf zarte, poetische Weise mit dem Lied der Piaf „Sous le ciel de Paris“. Sie hat den Faden der Abschlussfeier genau dort aufgenommen, wo die Eröffnungsfeier beendet wurde. Die 24-Jährige hat so viele „Victoire de la Musique“, das ist Frankreichs renommiertester Musikpreis, wie Léon Marchand Goldmedaillen. Egal, ob sie auf der Eröffnungszeremonie des Filmfestivals von Cannes auftritt oder bei der Schlussfeier der Olympische Spiele, sie macht das wie eine echte Athletin, ganz auf die Performance konzentriert.
Als Frankreichs neuer Nationalheld Léon Marchand in den Tuilerien auf das olympische Feuer zulief, hatte man kurz das Gefühl, der Mann hat keine Füße, eher Flossen, die in Schuhen stecken, jedenfalls bewegt er sich im Wasser sicherer als zu Lande. Marchand trug ungewöhnlicherweise keine Badehose, so hat man ihn in den letzten zwei Wochen kennen und lieben gelernt, sondern einen schwarzen Anzug, der wirkte, als habe er ihn seit der Konfirmation nicht mehr aus dem Schrank geholt.
Aber ein Held kann tragen, was er will. Als Léon am Ende der Feier mit der Flamme ins Stade de France schritt, skandierte die Menge seinen Vornamen. Als „Marchand de rêve“ wird er bezeichnet, ein Mann, der träumen lässt.
Regisseur Thomas Jolly hat eine Bühne bespielt, die an den Todesstern von Star Wars erinnerte. Wir haben verstanden, dass er die olympische Idee auf einen anderen Planeten gebracht hat, wo Außerirdische sich der Sache sofort annahmen. Die Idee von Frieden und Brüderlichkeit, von gegenseitigem Respekt beim gleichzeitigen Kräftemessen ist einfach unschlagbar. Die Außerirdischen haben Rhönräder in den Himmel gehoben und in Olympische Ringe verwandelt, womit sie dem alten Turngerät sicher zu neuer Popularität verholfen haben.
Auch da oben schwebte der Schweizer Pianist Alain Roche an einem scheinbar brennenden Flügel hängend in den Himmel und spielte in der Vertikale. Air und Phoenix traten auf, eine Hommage an „ze“ French touch, die französische Elektromusik, die in den 90er die Welt eroberte. Doch Jolly hat irgendwann die Kontrolle verloren. Die Regie hatte keine Chance gegen die enthusiastischen Athleten. Sie stürmten die Bühne und ließen sich selbst von den dringlichen Bitten des Stadionsprechers – „Mesdames et Monsieurs les athlètes“ – nicht von ihrem Vorhaben abbringen.
Das fröhliche Chaos, das Historiker und Berater Patrick Boucheron im Gespräch mit WELT für die Eröffnungsfeier versprochen hatte, es hat sich an diesem Abend nach 19 Tagen der Hochleistung, der Freudentränen, der Anstrengung, der Verletzungen, der bitteren Enttäuschungen und großen Gefühle ins Stade de France eingeladen. Alle Anspannung schien an diesem Abend abzufallen, von den Athleten, den Organisatoren, von Frankreichs Präsidenten und der Bürgermeisterin von Paris.
Thomas Bach, Präsident des CIO, sorgte für eine Wortschöpfung, die vermutlich nicht in die Wörterbücher eingehen wird: Diese Spiele seien „Seine-sationnel“ gewesen. Richtig ist, dass Paris die unschlagbare Bühne eines sagenhaften, unvergessliches Fest des Sports geboten hat. „Ihr habt Euch in die Olympischen Spiele verliebt, und wir haben uns in Euch verliebt“, so Bach.
Apropos Liebe. Tony Estanguet, Präsident des Pariser Organisationskomitees, war sichtlich froh darüber, dass während der Pariser Spiele der Rekord der Heiratsanträge gebrochen wurde. Das passt natürlich wunderbar zum Narrativ, auch wenn der Goldmedaillengewinner Oliver Zeidler sich auf dem Eiffelturm noch nicht dazu durchringen konnte, seiner Freundin einen Heiratsantrag zu machen.
Die französische Leichtathletin Alice Finot, die zwar nur auf dem vierten Platz landete aber den Europarekord in 3000 Meter Hindernislauf brach, stürmte dagegen auf ihren spanischen Freund zu, sank vor ihm auf die Knie und überreichte ihm ein Pins mit der Aufschrift „El amor está en Paris“. Die Liebe ist in Paris. Wo sonst?
Als der charmante Estanguet von der Liebe schwärmte, Mitten im Stade de France und vor den Augen der Weltöffentlichkeit, poppte die Frage im Gehirn auf, ob er nicht Frankreichs Premierminister werden könnte, der sich seit den Wahlen im Juni nicht finden lässt? Der ehemalige Kanute hat jedenfalls die größte Hochleistung vollbracht. Estangiuet ist es gelungen, die Franzosen mit sich zu versöhnen.
Zu vorgerückter Stunde lagen viele Athleten auf dem schwarz abgedeckten Stadionboden, berieselt von weißen Papierschnipseln wie von Schneeflocken, und blickten in den Himmel über Paris und das Feuerwerk, das vom Dach des Stade de France entzündet wurde. Als dann auch noch die amerikanische Sängerin H.E.R. von einer Gitarristin mit runder Sonnenbrille und weißer Gitarre bei der amerikanischen Nationalhymne begleitet wurde, ist das Glück perfekt gewesen. Für das Woodstock-Feeling hat eigentlich nur der Regen der Eröffnungsfeier gefehlt.
Als IOC-Chef Bach den furchtbareren Satz aussprach, „ich erkläre die 33. Olympiade für beendet“, ging ein Seufzen durch das Stadium. Die Franzosen, gestreifte Matrosenhemden, Hähne auf den Köpfen oder die rote Phryger-Mütze, fielen sich in die Arme. Die Japaner waren beseelt, die Chinesen hatten noch nie so laute Musik gehört. Paris ist ein Fest. Aber jetzt ist es vorbei. Und das ist vielleicht auch gut so.