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Offensive in Gaza-Stadt: Israels Krieg gegen die Hochhäuser | ABC-Z

Für Israel Katz sind es offenbar schöne Tage. Israels Verteidigungsminister, der sich gerne über soziale Medien mitteilt, bekundet dort gerade regelmäßig seine Freude über die Zerstörung, die die ihm unterstellten Truppen im Gazastreifen anrichten. Auf der Plattform X veröffentlichte Katz mehrere Videos, in denen in sich zusammensackende Hochhäuser in Gaza-Stadt zu sehen waren – bombardiert von der israelischen Armee. Bilder eines explodierenden Wohnhauses kommentierte er mit: „Das Kartenhaus. Die Skyline von Gaza verändert sich.“ Über die Bombardierung der Islamischen Universität höhnte er, die Lehranstalt „erlebt einen regelrechten Boom“. Ein weiteres Hochhaus bezeichnete er als „Terror-Turm“ und schrieb: „Der Hurrikan wütet weiterhin im Gazastreifen.“

„Hurrikan“ ist zurzeit ein Lieblingswort des Likud-Politikers. Gemeint ist die neue israelische Offensive, die seit einigen Wochen nach und nach Fahrt aufnimmt und deren Ziel die Einnahme von Gaza-Stadt ist. Katz und Ministerpräsident Benjamin Netanjahu messen die bisherigen Erfolge der Offensive anscheinend vor allem daran, wie viele Hochhäuser schon zerstört worden sind. 30, schätzte Katz vor einer Woche, Netanjahu war einen Tag zuvor sogar auf 50 gekommen. Seither hat es zahlreiche weitere Bombardierungen gegeben, vor denen die Armee in der Regel Warnungen veröffentlicht. In einigen der Hochhäuser befanden sich Büros von Medien und Einrichtungen von Hilfsorganisationen.

Die Offensive beschränkt sich nicht auf Hochhäuser. Zahlreiche weitere Angriffe werden täglich aus Gaza-Stadt gemeldet. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) in Ramallah teilte am Montag mit, in der zurückliegenden Woche seien in der Stadt mehr als 600 Wohnhäuser, mehr als 600 Zelte, zehn Schulen und fünf Moscheen zerstört worden. Etwa 50.000 Menschen hätten das Dach über ihrem Kopf verloren.

Ein Drittel der Bewohner geflohen

Die Bewohner zur Flucht zu bewegen, dürfte eines der Ziele der massiven Angriffe sein. Schätzungen zufolge hielten sich vor dem Beginn der Offensive, die Israels Sicherheitskabinett Mitte August beschloss, etwa eine Million Menschen in Gaza-Stadt auf. Der Evakuierungsanordnung für die gesamte Stadt, die die Armee am vergangenen Dienstag zum ersten Mal seit Kriegsbeginn verkündet hat, kamen anfangs nur wenige Bewohner nach. Am Wochenende hieß es nun aus Gaza, dass etwa ein Drittel der Bewohner geflohen sei.

F.A.Z.-Karte

Hunderttausende befinden sich weiter in der Stadt, vor allem in den am Meer gelegenen Vierteln Al-Rimal und Al-Schati. Teilweise sind sie aus den östlichen Stadtteilen dorthin geflohen. Denn die israelischen Luftangriffe konzentrierten sich anfangs vor allem auf diese Teile der Stadt, auf Dschabalia und Zaitun. Dort seien zwischen dem 9. August und dem 5. September 1800 Gebäude ganz oder teilweise zerstört worden, ermittelte der US-Sender CNN auf der Grundlage aktueller Satellitenbilder. Die Angriffe auf Hochhäuser, die es seit Anfang September gibt, finden inzwischen aber auch weiter westlich statt, das zeigt eine Analyse der Organisation Forensic Architecture aus der vergangenen Woche. Die Attacken folgen den Flüchtlingen gewissermaßen. Forensic Architecture spricht von einer Taktik der Zwangsvertreibung – es gehe darum, die mehr oder weniger „einzigen noch stehenden Gebäude, die Tausenden von vertriebenen Familien Schutz bieten können“, zu zerstören. Um die Hochhäuser befänden sich dicht besiedelte Zeltlager, in denen die Menschen Schutz gesucht hätten.

Aber auch in der „humanitären Zone“ Al-Mawasi im Süden des Gazastreifens, in welche die Bewohner fliehen sollen, sind die Verhältnisse nicht besser. Es gibt Berichte von Palästinensern, die dorthin geflohen, dann aber nach Gaza-Stadt zurückgekehrt seien. Inzwischen hat die Armee neben Al-Mawasi weitere Gebiete ausgewiesen, welche demnach als sichere Zufluchtsorte dienen sollen. Allerdings gibt es laut lokalen Berichten auch in diesen Gebieten immer wieder Angriffe.

Neben der abschreckenden Wirkung hat der Krieg gegen die Hochhäuser ein weiteres Ziel: einen Häuserkampf in Gaza-Stadt zu erleichtern. Um den Einmarsch von Bodentruppen vorzubereiten, würden derzeit Beobachtungsposten und Infrastruktur der Hamas zerstört, gab Katz mehrmals an – die sich demnach vor allem in Hochhäusern verbergen. Belege dafür hat die Armee bislang nicht präsentiert, und die Angaben lassen sich nicht unmittelbar überprüfen. In israelischen Medienberichten heißt es, der Militärgeheimdienst habe in den vergangenen Wochen Listen mit solchen Zielen zusammengestellt. Die Herausforderung sei beträchtlich, erläuterte Yoav Zitun am Sonntag in der Zeitung „Yedioth Ahronoth“, denn laut Schätzungen von Militärs gebe es in Gaza-Stadt „Dutzende bis Hunderte von acht- bis zwölfstöckigen Gebäuden“, in denen sich Hamas-Zellen verbergen könnten.

Ablehnung der Armeeführung

Hinzu kommt der schwierigste Faktor: die Geiseln. Etwa 20 lebende und die Leichen von weiteren etwa 28 Entführten hat die Hamas noch in ihrer Gewalt. Nach dem Beschluss des Sicherheitskabinetts zur Einnahme von Gaza-Stadt Anfang August beteuerte Netanjahu, so könne man nicht nur die Hamas besiegen, sondern auch die Rückkehr der Geiseln erreichen. Die Zweifel daran sind seither nicht geringer geworden. Viele der am 7. Oktober 2023 Verschleppten dürften in Gaza-Stadt festgehalten werden. Die Hamas hat wiederholt gedroht, sie würde Geiseln ohne Weiteres töten, sollten sich Soldaten den Verstecken nähern. Bei einem Treffen Netanjahus mit den Spitzen der Regierungsfraktionen am Sonntagabend soll über diese Frage beraten worden sein.

Die Armeeführung lehnte die Einnahme von Gaza-Stadt aus Besorgnis um die Geiseln von Beginn an ab. Am Montag wurden in israelischen Medien wieder einmal Aussagen zitiert, die Generalstabschef Eyal Zamir in nichtöffentlichen Sitzungen getätigt haben soll. So habe er gegenüber einem Knessetkomitee dargelegt, dass Netanjahu ihm bislang keinen Plan präsentiert habe, was nach der Offensive komme. Bei einem anderen Treffen soll der Armeechef gesagt haben, auch die Einnahme von Gaza-Stadt werde die Hamas als militärische und politische Kraft nicht beseitigen.

Gleichzeitig bereitet Zamir entsprechend dem Kabinettsbeschluss den Einmarsch vor. Einem Bericht der Zeitung „Haaretz“ zufolge ignorierte er dabei die Position der Militärgeneralanwältin, Yifat Tomer-Yerushalmi. Sie hatte der Armeeführung mitgeteilt, die gewaltsame Verbringung Hunderttausender Menschen aus Gaza-Stadt verletze Völkerrecht, solange nicht akzeptable Bedingungen für ihre Unterbringung geschaffen worden seien. Das sei an den vorgesehenen Zufluchtsorten gegenwärtig nicht der Fall.

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