Kultur

„Offene Wunden“ am Münchner Volkstheater: „Das sind keine Einzeltäter“ | ABC-Z

Die taz traf sich zum Gespräch mit der Dokumentartheatermacherin Christine Umpfenbach und ihrer Co-Autorin Tunay Önder.

taz: Tunay Önder, Christine Umpfenbach, wie haben Sie beide sich kennengelernt?

Önder: Ich habe bei der Recherche für das NSU-Stück „Urteile“ mitgearbeitet. Wir kennen uns schon seit 2010, da habe ich mich auf Christines Anzeige gemeldet, in der sie für ein Stück Gastarbeiterfamilien gesucht hat. Und so kamen wir zu ihr und sie hat uns … verbraten.

taz: Sie und Ihre Eltern haben in dem legendären „Gleis 11“ mitgespielt, das in einem Bunker am Münchner Hauptbahnhof den Umgang mit der ersten Gastarbeitergeneration in Deutschland untersuchte?

Önder: Genau, mein Vater allerdings nur per Video, weil er damals in der Türkei war. Es war auch meine erste Begegnung mit dem Theater als Ort, an dem man selbst aktiv werden kann.

Im Interview: 

Christine Umpfenbach, geboren 1971 in München, arbeitet als Regisseurin und Autorin an deutschen Theatern, vor allem zu den Themen Rassismus, Rechtsradikalismus und Arbeitsmigration. Der Text zu ihrem in den Kammerspielen uraufgeführten Rechercheprojekt „9/26 – Das Oktoberfest­attentat“ war zu den Mülheimer Thea­ter­tagen 2021 eingeladen.

Tunay Önder, geboren 1981 in München, hat unter anderem Soziologie studiert und arbeitet an der Schnittstelle Text, Performance, Installation und Diskurs. Ihr Interesse gilt vor allem emanzipatorischen Kämpfen im Kontext der Migrationsgesellschaft.

taz: Frau Umpfenbach, welche Rolle spielt die Partizipation für Ihren eigenen Thea­ter­ansatz?

Umpfenbach: Sie ist die Grundvoraussetzung für jedes Projekt. Dazu gehört auch, zu hinterfragen, was das eigentlich für ein Ort ist, an dem wir arbeiten. In diesem Fall: Was ist das Volkstheater? Welches „Volk“ geht da hin? Wer fehlt? Dadurch bin ich als Regisseurin auch immer stark mit mir selbst konfrontiert und mit den Fragen: Kann und darf ich einen bestimmten Stoff machen? Und wer muss noch dabei sein?

Önder: Ich sehe in Chris­tines Arbeiten immer ganz stark den Willen, auch schon im Zuge der Produktion gewisse Theaterroutinen zu durchbrechen.

taz: Zum Beispiel?

Önder: Wenn wir im aktuellen Stück sagen, die Angehörigen der Anschlagsopfer wurden nicht gehört, dann müssen wenigstens wir sie wirklich hören und scharf aufpassen, im Produktionsprozess nicht den Rassismus zu reproduzieren, den wir anderen vorwerfen. Also laden wir alle schon vorab ins Theater ein, bringen sie mit den Menschen hier in Kontakt, essen gemeinsam. Es passiert viel mehr, als nur ein Stück auf die Bühne zu bringen.

taz: Wie kam es konkret zu Ihrer gemeinsamen Arbeit über das OEZ-Attentat, praktisch der dritte Teil einer Thea­ter-Serie über rechtsradikale Anschläge in Deutschland?

Önder: Ich bin in Kontakt mit der Initiative „München OEZ erinnern!“, in der auch einige Eltern und Großeltern der Opfer aktiv sind. Die kämpfen um Anerkennung, suchen die Öffentlichkeit, wollen auch ein Buch herausbringen. Deshalb habe ich Christine gefragt, ob wir ihnen ein Theaterstück vorschlagen sollen. Nachdem sie den Angehörigen gezeigt hat, wie sie arbeitet, haben sie ihr Go gegeben.

taz: Frau Önder, wie wichtig war es für das Projekt, dass Sie selbst aus migrantischen Zusammenhängen kommen?

Önder: Ich glaube, dass ich aufgrund meiner Familiengeschichte weiß, was es heißt, im eigenen Geburtsort als Fremdkörper adressiert zu werden. Ich kenne die Kontinuität von Rassismus aus eigener Erfahrung. Und dazu gehört auch das Aufwachsen in einem sehr migrantisch geprägten Stadtteil. Ich bin in München-Milbertshofen groß geworden. Die BMW-Fabrik ist dort, die viele Gastarbeiter beschäftigt hat. Mein Vater war einer von ihnen, ebenso etliche Angehörige der Opfer. Das OEZ gehörte zu meiner Jugendzeit. Ich habe dort oft abgehangen.

Umpfenbach: Ich hätte das alleine auch nicht gemacht. Es ist ein Riesenunterschied, ob ich als weiße Ü50-Frau auftauche oder ob da eine Tunay ist, die selbst in diesem Viertel aufgewachsen ist und die Sprache kann. Auch wenn es nicht nur um türkischstämmige Biografien geht.

Das Stück

„Offene Wunde“: Theaterstück von Tunay Önder und Christine Umpfenbach. Münchner Volkstheater. Premiere am 24. April

taz: War es denn diesmal leichter, mit den Angehörigen ins Gespräch zu kommen, weil diese das Reden darüber schon in der sehr rührigen Initiative geübt haben?

Umpfenbach: Mit einigen, ja. Allerdings nicht mit den Geschwistern der Anschlagsopfer, deren Sicht uns aber besonders wichtig war, weil sie eine besondere Perspektive liefert. Weil sie fast im gleichen Alter sind wie die Ermordeten und auch viel am Anschlagsort unterwegs waren.

taz: Teilweise auch am Abend des 22. Juli 2016, richtig?

Umpfenbach: Ja. Sie hätten selbst unter den Opfern sein können, haben mit dem Bruder oder der Schwester oft das Zimmer und die Klamotten geteilt. Sie waren so eng miteinander verbunden, dass es sehr schwer für sie ist, überhaupt darüber zu reden, selbst mit den Eltern, die sie nicht noch mehr belasten wollen. Sie müssen unfassbar stark sein in diesem Schmerz.

taz: Sie haben sich dafür entschieden, die Geschichte des Attentats und des Weiterlebens danach aus der Perspektive der Geschwister zu erzählen. Kommen da auch konkrete Erinnerungen und Schmerzen zur Sprache, von denen selbst die Eltern bis dahin nichts wussten?

Önder: Ja, aber in homöopathischen Dosen, würde ich sagen.

Umpfenbach: Es wird nicht so ein Voyeurismus bedient.

taz: Trotzdem: Wie viel Verantwortung ist das, den Schmerz von anderen in Kunst zu verwandeln?

Umpfenbach: Wir haben eine Wahnsinnsverantwortung, machen uns aber auch einen Wahnsinnskopf. Was den Text angeht, fragen wir die Angehörigen immer wieder: „Ist das okay, darf das so gesagt werden? Fehlt etwas?“ Das ist ein sehr intensives Arbeiten, bei dem wir uns bis zum Schluss fragen, ob wir es hinkriegen, dass alle zufrieden sind. Was uns bestärkt, ist der Wille der Angehörigen, dass ihre Geschichte auf die Theaterbühne kommt. Und in meinen vorherigen Projekten habe ich diesen Prozess der künstlerischen Übersetzung oft als heilsam erlebt.

taz: In der freien Szene arbeiten Sie sonst viel mit Laien auf der Bühne, in „Offene Wunde“ werden aber alle Personen von Schau­­spie­le­r*in­nen verkörpert …

Umpfenbach: Bei solchen Themen kann man eigentlich keine Betroffenen auf die Bühne schicken oder nur dann, wenn man sie wirklich jeden Abend betreuen kann. Beim Remake von „Urteile“ war der Bruder eines der Opfer im Video dabei. Jetzt übernehmen fünf Schau­spie­le­r*in­nen die Rollen von acht Geschwistern, aber wir arbeiten auch mit Fotos und Einspielern der Originalstimmen anderer Familienangehöriger.

Önder: Die Schau­spie­le­r*in­nen referieren auch die Chronologie der politischen Ereignisse, also wie sich nach der Angst vor einem islamistischen Terroranschlag das Amok-Narrativ durchgesetzt hat und wie lange es gedauert hat, bis der letztendlich auch von der Polizei als rechtsmotivierter Anschlag angesehen wurde.

taz: Nun hatte der Täter selbst einen migrantischen Background, was es für die Ermittler vielleicht komplizierter gemacht haben mag. Wie war das bei der Arbeit zum Stück?

Önder: Ich finde es null kompliziert. Einfach jeder kann Fascho sein. Es war schwer zu übersehen, dass der Täter einen wirklichen Hass hatte. In der letzten Datei, die er auf seinem Desktop gespeichert hat, stand: „Ich werde jetzt jeden Deutschen Türken auslöschen egal wer“. Was will man denn bitteschön noch mehr hören?

Umpfenbach: Beim NSU war die Analyse ganz klar: Behördenversagen, Presseversagen, Gesellschaftsversagen. Beim Oktoberfestattentat war es etwas komplizierter, aber man wusste auch, was da schiefgelaufen ist. Hier ist es noch komplizierter, weil da ein junger Mensch selber verletzt und gekränkt war. Das kann man nicht unter den Tisch kehren. Uns war es deshalb ausnahmsweise wichtig, den Täter vorkommen zu lassen.

Önder: Aber der Name von Anders Breivik, auf den er sich sehr stark bezogen hat, fällt nicht, um dem Hype in rechten Chatgruppen nicht noch mehr Wasser auf die Mühlen zu gießen, in denen dem Münchner Attentäter ein virtuelles Denkmal als „Non-White Hero“ errichtet wurde.

taz: Eine besonders gruselige Variante des „guten Ausländers“. Und so viel zum gängigen Narrativ des „verwirrten Einzeltäters“.

Önder: Das ist mir auch noch wichtig zu sagen: Das sind keine Einzeltäter, auch wenn sie nicht mehr wie beim NSU alle im gleichen Hymer-Wohnmobil sitzen. Man organisiert sich heute nur anders, im Netz – und international.

taz: Das Stück endet mit der Frage „Wie geht es weiter?“ Ist die in Sachen Prävention vielleicht schwieriger zu beantworten denn je?

Umpfenbach: Ja, da sagte uns der Pressesprecher des LKA: Keine Chance, wir können nicht das ganze Netz durchforsten, das geht nicht. Aber generell gilt es, genau hinzuschauen, wenn jemand sich extrem isoliert und einsam ist.

Önder: Die O-Töne der Eltern am Schluss weisen auf die Leerstellen hin, die es ernst zu nehmen gilt, insbesondere seitens der Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden, aber auch in Schulen: nämlich rechte Gewalt als solche anzuerkennen und ebenso die Gefahr, der insbesondere nicht-weiße Deutsche ausgesetzt sind. Die Hoffnung ist, dass man mit diesem Stück dahingehend auch etwas aufbricht.


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