ÖRR erdrückt uns mit Texten im Internet | ABC-Z
Die Länder sind in der Pflicht: Sie müssen nicht nur den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) reformieren, sondern auch den wahrgenommen Missbrauch der Rundfunkbeiträge stoppen sowie Medienvielfalt und Pressefreiheit in Deutschland sichern. Bei der Ministerpräsidentenkonferenz in Leipzig geht es diese Woche um mehr als ARD, ZDF und Deutschlandradio. Viele Weichenstellungen dort wirken sich zwangsläufig auf private Wettbewerber aus – insbesondere auch auf die Zukunft der freien Presse und ihrer Redaktionen.
Sie leisten mit ihren am Markt finanzierten nationalen, regionalen und den vielen lokalen Angeboten gedruckt und digital einen besonders großen Beitrag zur Meinungs- und Medienvielfalt in Deutschland. Beides bestmöglich zu erhalten ist gerade jetzt geboten, wo Desinformation zu einer immer größeren Gefahr für unsere Demokratie wird und große Techkonzerne statt auf seriöse Inhalte erkennbar auf Fragwürdiges und Verschwörungstheorien setzen, weil dies besser klickt und sich damit mehr Kasse machen lässt. Am Ende befeuert Künstliche Intelligenz auch noch diese negativen Entwicklungen.
Rundfunkbeitrag wird für presseähnliche Angebote im Netz zweckentfremdet
Der Handlungsdruck auf die Medienpolitik ist damit so groß wie selten zuvor. Die Zahl der öffentlich-rechtlichen Programme und die aktuellen Strukturen und Kosten – vor allem die der ARD – sind Beitragszahlern nicht erst seit dem Skandal um die ehemalige RBB-Intendantin Patricia Schlesinger und ihr Selbstbedienungssystem immer schwerer zu vermitteln. Gleiches gilt für die Höhe der Rundfunkbeiträge. Bei durchgeführten, geplanten oder den jetzt diskutierten Einsparungen von mindestens 16 Hörfunkprogrammen und der Zusammenlegung von Spartenkanälen im TV könnte der eine oder andere Beitragszahler auf die Idee kommen, dass der Rundfunkbeitrag von aktuell 18,36 Euro sinken müsste. Das Gegenteil ist der Fall. Obwohl mehrere Länder einer Erhöhung nicht zustimmen wollen, gibt es eine Empfehlung der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF), den Beitrag um 58 Cent auf 18,94 Euro monatlich anzuheben. Soll doch künftig ein immer größerer Anteil des Beitragsaufkommens von zuletzt neun Milliarden Euro im Jahr für digitale Angebote im Internet und auf sozialen Medien verwendet werden. Und genau das verschärft noch einmal ein bekanntes Problem.
Denn schon seit Jahren wird ein Teil der Rundfunkgebühren für presseähnliche Angebote im Netz zweckentfremdet und ohne funktionierende Aufsicht ausgeweitet. Der ÖRR hat aufgrund seiner Finanzierung eine privilegierte Stellung im Medienmarkt. Er benötigt keine Zahlungsbereitschaft für bestimmte Produkte oder Inhalte, da bei ihm unabhängig von der Nutzungsintensität und sogar unabhängig von der Nutzung eine Zahlungsverpflichtung in voller Höhe besteht. Private Medienunternehmen sind hingegen auf Werbeeinnahmen und Abonnements angewiesen. Es ist daher entscheidend, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Aufgaben erfüllt, ohne dabei mit textlastigen Angeboten im Netz in die direkte Konkurrenz zu kommerziellen Anbietern zu treten. Das ist möglich, sinnvoll und geboten. Andernfalls gehen Meinungs- und Medienvielfalt verloren. Die meist sehr hohen Reichweiten von Zeitungen im Netz – auch bei jüngeren Zielgruppen – und die damit zu erzielenden Werbeerlöse allein reichen nicht aus, um die Arbeit von Redaktionen angemessen zu finanzieren.
Die Homepage des Saarländischen Rundfunks wirkt wie eine Zeitung im Netz
Beispielhaft lässt sich der Konflikt zwischen ÖRR und Presse im Saarland darstellen. Die Homepage des Saarländischen Rundfunks (SR) wirkt wie eine Zeitung im Netz. Hier wurde zwar im Vorfeld der Ministerpräsidentenkonferenz mit mehr Video und Audio etwas nachjustiert. Trotzdem greift der Sender, der auf dem Wege des Finanzausgleichs auch von Beitragszahlern aus Nordrhein-Westfalen, Bayern und anderen Ländern finanziert wird, regelmäßig lokale und teilweise sogar sublokale Ereignisse und Themen in Textangeboten auf, die von denen der „Saarbrücker Zeitung“ in vielen Fällen kaum zu unterscheiden sind. Diese digitale Gratispresse erschwert die Monetarisierung der Beiträge der „Saarbrücker Zeitung“ im Netz massiv. Besondere Termine werden mit einem zusätzlichen SR-Redakteur besetzt, der sich offenbar ausschließlich um Textbeiträge für das Onlineangebot kümmert.
Führende Vertreter des ÖRR bestreiten, dass Art und Umfang ihrer Beiträge einen Einfluss auf die Monetarisierungschancen der Wettbewerber haben. Es ist aber jeden Tag belegbar. Der „Trierische Volksfreund“, ein Schwestertitel der „Saarbrücker Zeitung“, erscheint in einem Verbreitungsgebiet, das etwa doppelt so groß ist wie das Saarland, in dem aber nur halb so viele Menschen leben. Technik, Optik, Bezahlschranke, Preismodelle und vieles mehr der beiden Onlineangebote sind identisch. Bei Berücksichtigung der Menschen in den beiden regionalen Märkten, auf die sich die Angebote fokussieren, und der Zahl der erstellten Plus-Beiträge fehlen der „Saarbrücker Zeitung“ 15.000 Plus-Abos im Vergleich zum „Trierischen Volksfreund“. Einziger Unterscheid, der dies erklären würde: Der SWR beschäftigt im Studio Trier und an Korrespondentenstandorten eine niedrige zweistellige Zahl von Mitarbeitern. Im Saarland sind es rund 550 festangestellte Mitarbeiter und mehr als 200 feste Freie. 15.000 zusätzliche Plus-Abos wären zwischen einer und zwei Millionen Euro zusätzlich für die „Saarbrücker Zeitung“. Das mag in der Welt der ARD eine geringe Summe sein. Die „Saarbrücker Zeitung“ könnte sich damit personell deutlich verstärken und den Transformationsprozess ins Digitale weiter beschleunigen. Ohne Zweifel könnten auch die redaktionellen Angebote ausgeweitet und verbessert werden. Noch nicht berücksichtigt ist, dass es auch im Trierer Verbreitungsgebiet presseähnliche Angebote des SWR gibt und bei einem fairen Wettbewerb an beiden Standorten zusätzliche Hebel wären.
tagesschau.de pusht den Saarländischen Rundfunk
„58-Jährige schwer verletzt in ihrer St. Wendeler Wohnung aufgefunden“ oder „Fußgängerin in Freisen von Auto angefahren“ – veröffentlicht wurden zwei kurze Textbeiträge mit diesen Überschriften in den vergangenen Tagen auf tagesschau.de mit dem Zusatz, dass über diese Themen auch die SR Info Nachrichten im Radio berichtet haben. Gibt es wirklich ein großes bundesweites Interesse an diesen und vielen weiteren kurzen lokalen Polizeimeldungen aus dem Saarland? Oder steckt möglicherweise etwas anderes dahinter? Durch die Veröffentlichung auf tagesschau.de werden jedenfalls Wettbewerber von SR und ARD bei der Google-Suche mit zum Thema passenden Schlagworten weiter nach unten verdrängt. Im ersten Fall teilen sr.de und tagesschau.de sich die ersten drei Plätze bei der Google-Suche. Erst dann kommen die „Saarbrücker Zeitung“ und weitere Wettbewerber. Im zweiten Fall teilen sich tagesschau.de, die ARD-Mediathek und sr.de sogar die ersten vier Plätze. Dieser Verdrängungswettbewerb bei sehr lokalen Inhalten unter Ausnutzung der Marktstellung von tagesschau.de verschärft die Wettbewerbsverzerrung zusätzlich. Der Nutzen für tagesschau.de, den SR und die Beitragszahler ist gering, der Schaden für Wettbewerber allerdings nicht. Werden doch fast alle Inhalte von sr.de auf tagesschau.de veröffentlicht – auch relevantere Themen, bei denen neben Werbeeinnahmen auch Abo-Erlöse zu erzielen sind.
Das Engagement des ÖRR auf sozialen Medien erscheint dagegen auf den ersten Blick unverfänglicher. Hier braucht es zwar anders als von einigen ARD-Verantwortlichen thematisiert, keine presseähnlichen Textbeiträge, da gerade Jüngere eine hohe Affinität zu Audio und Video haben. Das in einem früheren Beihilfekompromiss vorgesehene Verbot von Werbung und Sponsoring im Umfeld öffentlich-rechtlicher Angebote wird zum Beispiel auf Facebook, Instagram und Tiktok durch die Verbreitung von Inhalten der ÖRR auf diesen Drittplattformen verletzt. Bei der KI ist die Brisanz erkennbar größer. Indem der ÖRR seine Gratisinhalte KI-Anbietern zur Verfügung stellt, entwertet er journalistische Arbeit.
Das „Angebot“ des ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke ist keins
Das Angebot des ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke, eine Selbstverpflichtungserklärung abzugeben, erfolgte in letzter Minute. Der Text war dann mit erkennbar heißer Nadel gestrickt. Einige Punkte beschreiben die ohnehin geltende oder die in der Reform geplante Rechtslage. Andere bleiben sogar dahinter zurück. Ziel der Nebelkerze war offenbar lediglich, zu versuchen, eine gesetzliche Regelung zu verhindern. Es reiht sich ein in Bemühungen zahlreicher Intendanten und Führungskräfte, so zu tun, als könnten sie mit dem Reformstaatsvertrag ihren Auftrag nicht mehr erledigen. Dass der ÖRR nicht mehr vor Katastrophen warnen dürfe, wie einige Akteure behaupten, wirkt wie Teil einer Strategie, um Beitragszahler, aber vor allem die Politik zu verunsichern. Zumindest die Medienpolitiker sollten es besser wissen.
In einer digitalisierten Welt, in der sich Mediennutzung und Medienlandschaft rasant verändern, ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Gesetzgeber eine Balance zwischen den Interessen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und den privatwirtschaftlichen Medienunternehmen finden. Journalistinnen und Journalisten von beiden Seiten werden auch in Zukunft gebraucht. Beim Rundfunk geht es um eine moderate Begrenzung bei textlastigen Angeboten, bei der Presse im Zweifel um die Existenz von Angeboten. Fairer Wettbewerb sollte das Gebot der Stunde sein, damit Zeitungen und ihre Digitalangebote auch künftig noch die Kommunalpolitik auf Orts- und Gemeinderatsebene regelmäßig begleiten können – und nicht nur dann, wenn es kracht. Denn auch das bleibt schnell unbemerkt, wenn kein Lokaljournalist mehr vor Ort ist.
Peter Stefan Herbst ist Chefredakteur der „Saarbrücker Zeitung“.