Oberding: Das Torfstechen und seine Geschichte – Erding | ABC-Z

„Sepp, wie viele Stücke sticht ein guter Torfstecher in einem Tag?“ Diese Frage hatte Lehrer Siegfried Ried vorbereitet, als er im Sommer 1962 für eine BR-Fernsehsendung mit einer Schulklasse im Oberdinger Moos beim Torfstechen vorbeischaute. Damals war die Zeit dieses Brennstoffs allerdings fast vorbei. Über 60 Jahre später haben die Oberdinger jetzt noch einmal zu Stecheisen, Spaten und Schubkarren gegriffen.
Der Weg zur Weißmoar Wiese, Gemarkung Oberding im Landkreis Erding, führt an diesem heißen Sonntag im Juli über eine schmale staubige Straße. Familien, ältere Herrschaften und Jugendliche kommen trotz Badewetters in Scharen. Sie wollen „Torfstechen anno dazumal“ sehen. In einer Grünfläche klafft ein Graben. Ein junger Mann in Lederhose müht sich redlich, mithilfe eines Torfeisens der Erde ein Stück zu entreißen.
Bei Johann Schöttl sieht das ganz einfach aus. Er hat selbst noch als Kind mitgeholfen, erzählt er. Jetzt steht er im Graben und sticht mit dem Eisen die dunkelbraunen, satt-feuchten, etwa 30 mal zehn Zentimeter großen Stücke heraus. Dann wirft er sie Alois Stürzer zu, der sie auf einen Karren legt und ein paar Meter weiter mehrere Stücke jeweils zu einem kleinen Stapel nach einem genauen System aufeinanderschichtet, damit auch alle Teile Luft bekommen.
Organisiert hat die Veranstaltung der Krieger- und Soldatenverein Oberding aus Anlass von „1275 Jahre Deang“, der gemeinsamen Jubiläumsfeier von Ober- und Niederding. Es war gar nicht so einfach, nach all der Zeit eine geeignete Stelle zu finden für die Vorführung, sagt Mitorganisator Johannes Sandtner. Ist ja auch schon eine Weile her.

Fast 200 Jahre dauerte der Torfabbau im Oberdinger Moos, erzählt Sandtner. Die größeren Vorkommen wurden im Zuge der Landvermessungen zur Kultivierung des Erdinger Mooses Ende des 18. Jahrhunderts unter Kurfürst Karl Theodor von Bayern entdeckt. Der erste Torfstich fand 1789 auf Schwaiger Flur in Oberding statt. Richtig los ging es aber erst so um 1820/1830.
Für die waldarme Gegend sei der Torfabbau ein Glücksfall gewesen, sagt Sandtner. Dadurch sei der Mangel an Brennmaterial erheblich gelindert worden. Die meisten nutzten den Torf für den Eigenbedarf, gestochen wurde neben der Stallarbeit. Zum Torfstechen gehörten die Torfhütten, in der die Stücke bis zum Abtransport fürs Heizen im Herbst aufbewahrt wurden und die das Aussehen der Landschaft prägten.


Wer größere Grundstücke hatte, hatte zudem eine gute finanzielle Einnahmequelle, denn die Brauereien aus Erding, Freising und München benötigen Heizmaterial. Bald zogen die ersten Lohnarbeiter, vor allem aus dem Bayerischen Wald, in die Oberdinger Gegend. So entstanden nach und nach die Torfsiedlungen Oberdingermoos, Notzingermoos, Schwaigermoos, Franzheim und Hallbergmoos. Kleine Gaststätten, die „Stopselwirtschaften“, sprießten aus dem Boden für die hungrigen und durstigen Akkordarbeiter.
Erni Sandtner-Lampart schaut den jungen und älteren Torfstechern auf der Weißmoar Wiese interessiert zu. Sie musste Anfang der 60-er Jahre noch als Kind mithelfen, nach der Schule. Die Hausaufgaben wurden abends erledigt, erzählt sie. Das Torfstechen war Männerarbeit, das habe der Vater erledigt. Sie habe mit den anderen Frauen und Kindern die Karren vollgeladen und die Stücke aufgeschichtet. „Da haben wir geschwitzt – und dann die lästigen Bremsen!“ Von den schattigen Birken, die heute die Wiese im Weißmoar säumen, war damals noch nichts zu sehen.


Viele Besucher und Besucherinnen betrachten interessiert die Schwarz-Weiß-Fotos an den Stellwänden. Einige der Bilder stammen aus der BR-Produktion von 1962, als Lehrer Siegfried Ried mit einer kleinen Gruppe von Schülern und Schülerinnen zu Torfstechern im Oberdinger Moos unterwegs war. „Hier sticht der Hartl Sepp von Oberding und seine Schwester Moni ist Schieberin.“ So steht es im Skript, das Lehrer Ried zur Vorbereitung der Sendung erstellt hat. In der Filmsequenz der Sendung „Barock in Erding“ verrät Torfstecher Sepp, dass er bis zu 10 000 Stück am Tag sticht. Die Höchstleistung lag bei circa 15 000 bis 17 000 Stück, erfuhren die sichtlich beeindruckten Schüler und Schülerinnen.
Allzu lange dauerte es aber dann nach Filmdreh nicht mehr mit dem Torfstechen. Mit dem Einzug des Heizöls Anfang der Fünfzigerjahre erwies sich der Torfabbau mehr und mehr als unwirtschaftlich. Heute sei der Torfabbau nicht mehr möglich, erklärt Johannes Sandtner. Zum einen gebe es kaum mehr Vorkommen, zum anderen sei das Material wegen der Grundwasserabsenkung, unter anderem aufgrund des 1992 in der Nachbarschaft erbauten Flughafen Münchens, ausgetrocknet und zerfallen.


Darüberhinaus zähle Torf „zu den eher problematischen und minderwertigen Brennstoffen“, erklärt Sandtner. Stichwort Treibhausemissionen. Entwässerte Moore setzen große Mengen an CO₂ frei. Heute kümmern sich Naturschützer um den Erhalt der natürlichen Moore. Als einer der letzten Niedermoorreste im Erdinger Moos wird das Naturschutzgebiet Gfällach von der Erdinger Kreisgruppe des Bundes Naturschutz gehegt und gepflegt. 2023 wurde das Projekt „Biotopverbund Dachauer-Freisinger-Erdinger-Moos“ gestartet, mit dem Ziel, den Zustand der Moore zu verbessern und die noch vorhandenen Ökosysteme zu erhalten.

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Die Besucher und Besucherinnen der Oberdinger Jubiläumsveranstaltung können sich zur Erinnerung ein Torfstück mit nach Hause nehmen. Viele greifen zu, auch Manuela Reisinger packt sich eins in Zeitungspapier ein. Das Stück bekomme einen Platz in ihrem „kleinen Museum“, wo sie bereits allerhand alte Gerätschaft aufbewahrt, „noch vom Opa“. Ihre Familie stammt aus Franzheim, aus einem Ort, den es nicht mehr gibt. Die ehemalige Torfsiedlung musste dem Flughafenbau weichen. Aber das ist eine andere Geschichte.
„Gestern und heute“ – unter diesem Motto spricht der bekannte Biologe Alfred Ringler im Rahmen von „1275 Deang“ am 20. und 21. September in Oberding über das Moos im Landkreis Erding, über die Geschichte des Torfabbaus und des Pfefferminzanbaus. Zudem gibt es eine Foto-Sonderausstellung (weitere Informationen unter https://www.vg-oberding.de/).