Einmal im Jahr nach „Malle“? Kein Grund für Scham, sagt der Parteichef | ABC-Z

Der Großvater von Grünen-Co-Chef Felix Banaszak arbeitete in einer Kokerei in Duisburg. Ein harter, anstrengender Job, einer, dessen Lohn der Großvater lange sparen musste, um sich mit Mitte 50 davon ein Auto zu kaufen. „Weil dieses Auto für ihn Freiheit war und die Belohnung für alle die Entbehrung“, so erzählt es der Enkel heute. Dem ging es später ganz ähnlich: Das Erste, was der frisch volljährige Banaszak sich gekauft habe von dem Geld, das die Großeltern auf einem Sparbuch für ihn angelegt hatten, sei ein kleines Auto gewesen. „Hallo, hier ist Taxi Banaszak! Das war Leben“, sagt der heutige Parteichef, „das war Freiheit!“
Das Auto als Freiheitsversprechen: ein Gedanke, der eher bei der CDU oder FDP zuhause ist als auf einem Parteitag der Grünen. Doch Banaszak formuliert ihn an diesem Samstag genau dort, vor rund 800 Delegierten seiner Partei in Hannover. Denn der 36-Jährige hat eine „emotionale Kluft“ als Problem ausgemacht, zwischen großen Teilen des Landes und allem, was grün ist. Diese Kluft, glaubt er, ist einer der Gründe, warum den Grünen gerade kaum jemand zuzuhören scheint. Nicht beim Klimaschutz, aber auch sonst nicht.
Ohne Habeck und Baerbock müssen die Grünen darum kämpfen gehört zu werden
Neun Monate nach der Bundestagswahl müssen die Grünen kämpfen um Aufmerksamkeit. Mit Robert Habeck und Annalena Baerbock haben sich die zwei mit Abstand prominentesten Gesichter der Partei aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen. Die Schlagzeilen dominieren die zähen Scharmützel der Regierungskoalition untereinander – und gleichzeitig profitieren die Grünen kaum davon, dass Union und SPD schon jetzt auf ähnliche Art im Clinch miteinander liegen wie einst die Ampel-Parteien. Wie angewachsen steht die Partei seit Monaten in Umfragen bei elf bis zwölf Prozent, exakt auf dem Niveau ihres Wahlergebnisses im Februar.
Das Führungsduo Felix Banaszak und Franziska Brantner, das vor einem Jahr ins Amt kam, hält sich zugute, dass es nicht noch weiter abwärts gegangen ist. Doch nach oben ging es eben auch nicht. Zuletzt war deshalb eine Debatte wieder aufgebrochen, die die Partei seit Jahren mal mehr, mal weniger ausdehnt pflegt. Während die Grüne Jugend forderte, in Gerechtigkeitsfragen „radikaler“ zu werden, mahnte der baden-württembergische Ministerpräsident und Realo Winfried Kretschmann seine Partei: „Wenn man in die Breite will, dann muss man sein Programm auch breiter machen.“
Das Wochenende ist, nach einer komplizierten Regierungsbeteiligung und einer aus grüner Sicht enttäuschenden Wahl, deshalb auch ein Moment für eine Positionsbestimmung: Welche Partei will man sein? Und wo will man hin?
Einmal im Jahr nach „Malle“? Kein Grund für Scham, sagt der Grünen-Chef
Die Antwort der Parteiführung um Brantner und Banaszak heißt: erstmal zurück zum Markenkern. Am Samstag stellten die Grünen in Hannover Klima- und Energiepolitik ins Zentrum der Debatte – auch und gerade weil das Thema bei vielen Menschen gerade nicht mehr oben auf der Agenda steht.
Parteichef Banaszak war dabei erkennbar bemüht, wegzukommen vom Image der Grünen als Partei der Besserverdienenden, die den Menschen ihren Lebensstil zum Vorwurf machen. Er äußerte Verständnis für Menschen, die das ganze Jahr sparen würden, um einmal nach „Malle“ zu fliegen, und die sich wegen dieses Fluges nicht schämen wollten. Er forderte „eine Ökologie der vielen“, bei der nicht der ökologische Anspruch der Partei nach unten geschraubt werde, sondern der soziale Anspruch nach oben.
Das gute ökologische Leben für alle also, das ist auch die Zielrichtung hinter dem entsprechenden Leitantrag, der am Samstag beschlossen wurde. Die Grünen knüpfen damit an das Thema Bezahlbarkeit an, dass sie auch im Bundestagswahlkampf schon versucht hatten, herauszustellen.
Vorbild Frankreich: Wer Privatjet oder First Class fliegt, soll zahlen
Und auch wenn das Spitzenduo nach eigenem Bekunden raus will aus dem Mitte-Links-Schema: Viele der Beschlüsse tragen die Handschrift einer Partei, die froh ist, nach Jahren des Habeck’schen Mittekurses wieder mehr linke Akzente setzen zu können.
Konkret sprach sich der Parteitag unter anderem dafür aus, dass es für Vermieterinnen und Vermieter erst dann möglich sein soll, die steigende CO₂-Preise auf Mieter umzulegen, wenn sie ihre Immobilien saniert haben. „Wer nicht saniert, zahlt mehr als bisher“, heißt es im entsprechenden Beschluss.
Exklusive Politik-Hintergründe – für Sie recherchiert
Zahlen sollen auch Nutzer von Privatjets: Die Grünen wollen, dass Deutschland Frankreich, Spanien und Kenia folgt und eine zusätzliche Steuer auf Flüge in Privatjets sowie in der First- und Business-Class erhebt. Laut Antrag bedeutet das „nach dem Vorbild Frankreichs im Privatjet eine Abgabe von 420 Euro innereuropäisch und bis zu 2.100 Euro bei internationalen Flügen“.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
Hinter den Kulissen der Politik – meinungsstark, exklusiv, relevant.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der
Werbevereinbarung
zu.
Stärker unterstützen will die Partei dagegen Menschen, die zwar ein Haus besitzen, aber weder Eigenanteil noch Vorfinanzierung für den Umstieg auf eine fossilfreie Heizung stemmen könnten. Für sie soll die Heizungsförderung nach der Vorstellung der Grünen so ausgebaut werden, dass sie zum Beispiel auch für ein bezuschusstes Leasing-Programm für Heizungen funktioniert. Vorangetrieben hatte diesen Beschluss vor allem Susann Sziborra-Seidlitz, die im kommenden Jahr als Spitzenkandidatin der Partei bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt antritt. Sie hatte darauf verwiesen, dass es vor allem in Ostdeutschland Menschen gäbe, die selbst mit der sozialen Staffelung der aktuellen Heizungsförderung den Umstieg auf eine Wärmepumpe nicht finanzieren könnten.
Überraschend stimmten 55 Prozent der Delegierten zudem für eine Forderung der Grünen Jugend, das Deutschlandticket wieder zu einem 9-Euro-Ticket zu machen.
Ob sie sich noch an diesen „unfassbaren Sommer“ 2022 mit dem 9-Euro-Ticket erinnern könnten, hatte GJ-Chefin Henriette Held in ihrer Rede dazu gefragt. Offenbar hatten viele Delegierte den in guter Erinnerung. Die Grünen standen damals in Umfragen deutlich über 20 Prozent.

















