Nukleare Renaissance?: KI-Boom belebt Zombie-Atomkraftwerke wieder | ABC-Z
Microsoft, Google und Amazon setzen auf Kernkraft, um den gigantischen Stromhunger ihrer Rechenzentren für künstliche Intelligenz zu stillen. Doch ohne Staatshilfen dürfte die nukleare Wiedergeburt keinen Durchbruch erleben. Obwohl die Technik vielversprechend ist.
Was zurzeit im kleinen Örtchen Londonderry eine halbe Autostunde südöstlich von Harrisburg in Pennsylvania passiert, ist gleich in mehrfacher Hinsicht historisch. Erstmals belebt dort in den USA ein Stromanbieter einen alten Atomreaktor wieder. 2019 wurde Block 1 des AKW “Three Mile Island” stillgelegt. In einem exklusiven Deal hat sich Microsoft nun verpflichtet, 20 Jahre lang Strom aus dem alten Meiler abzunehmen, um den wachsenden Energiehunger seiner Rechenzentren zu stillen. Dafür soll der inzwischen 50 Jahre alte Zombie-Reaktor ab 2028 wieder hochgefahren werden .
Es ist ein bemerkenswerter Vorgang. Denn ausgerechnet der Ort, wo nun womöglich eine nukleare Renaissance beginnt, wäre fast zum Tschernobyl der USA geworden. In Block 2 von “Three Mile Island” kam es am 28. März 1979 zur partiellen Kernschmelze. Kontaminiertes Kühlwasser und radioaktiver Dampf entwichen, fast zwei Millionen Menschen in der Region waren von der nuklearen Wolke betroffen, Hunderttausende wurden evakuiert. Am Ende wurde der havarierte Meiler für fast eine Milliarde Dollar zurückgebaut.
Doch angesichts einer neuen Revolution sind diese Bedenken nur noch ferne Vergangenheit. 866 Megawatt kann der Meiler bestenfalls liefern, Strom für 800.000 Haushalte. Microsoft und andere Tech-Riesen brauchen ihn dringend: Die Entwicklung künstlicher Intelligenz verschlingt immer mehr Rechenleistung – und damit Unmengen Energie. So groß ist der Stromhunger ihrer Serverfarmen, dass die KI-Revolution längst die globale Stromversorgung gefährdet: Die IEA schätzt, dass sich der weltweite Verbrauch der Speicherhallen schon bis 2026 mehr als verdoppeln wird.
Weil die Tech-Riesen eigentlich klimaneutral werden wollen, aber gleichzeitig immer mehr dieser Stromfresser ans Netz bringen, brauchen sie Unmengen an CO2-neutralem Strom. Die Atomkraft steht deshalb im Zuge der KI-Revolution vor einer unerwarteten Renaissance. Doch die Probleme der Technik sind noch genau dieselben wie vor dem KI-Boom und weiter ungelöst. Ohne Staatshilfe dürfte das nukleare Revival schon bald wieder vorbei sein.
17 Milliarden Dollar Kostenrisiko für Big Tech
Nicht nur Microsoft, auch andere Tech-Riesen sichern sich längst die letzten freien Meiler: Schon im März hat Amazon für 650 Millionen Dollar ein Rechenzentrum gekauft, das direkt neben einem alten Atomkraftwerk steht. Nur zwei Stunden von Three Mile Island entfernt, und ebenfalls am Susquehanna-Fluss in Pennsylvania gelegen.
Doch weitere Uralt-Meiler, die kürzlich stillgelegt wurden und sich daher einfach wiederbeleben lassen, gibt es in den USA kaum noch. Nur beim Palisades-AKW in Michigan ist die Reaktivierung bereits ebenfalls in Gang. Und laut Medienberichten prüft auch der Betreiber des Reaktors Duane Arnold in Iowa die Wiederinbetriebnahme, um den Stromhunger umliegender Rechenzentren zu stillen.
Doch die wirkliche Frage ist, ob durch die KI-Revolution neue Atomkraftwerke entstehen. Laut der US-Finanzagentur Bloomberg hat OpenAI-Chef Sam Altman dem Weißen Haus bereits diskrete Pläne für mehrere Fünf-Gigawatt-Megarechenzentren präsentiert, verteilt über die gesamten USA. Jede einzelne der Serverfarmen bräuchte die Stromerzeugung von gut fünf Atomkraftwerken – einer Millionenstadt wie Miami. “Als Ingenieur, als jemand, der damit aufgewachsen ist, glaube ich nicht, dass das machbar ist”, zitiert die Finanzagentur den Chef des Stromversorgers, der für Microsoft das AKW Three Mile Island wiederbelebt.
Die Hürden liegen extrem hoch: Seit dem Beinahe-GAU Ende der 70er-Jahre ist in den USA nur ein einziges neues AKW gebaut worden. Es ging 2023 in Georgia ans Netz – mit sieben Jahren Verspätung und schlappe 17 Milliarden Dollar teurer als geplant. Alle Versprechen für geringere Herstellungskosten wie etwa Modul-Bauweise und Vor-Ort-Montage erwiesen sich als Luftschlösser. Eine Tochter von Westinghouse, dem US-Pendant zum Ingenieurskonzern Siemens, ging daran pleite. Keine Firma der Welt, auch nicht ein finanzstarker Tech-Riese wie Amazon oder Microsoft, wird sich dieses Risiko in die Bilanz holen wollen.
Supergau-sichere Mini-Meiler für eine saubere Zukunft
Die Online-Giganten investieren nicht nur in bestehende Alt-AKWs, sondern in vielversprechende neue Nuklear-Technik. So wie die Google-Mutter Alphabet, die in dieser Woche als weltweit erste Firma überhaupt einen Vertrag mit dem Atom-Startup Kairos Power abgeschlossen hat, um mit sechs oder sieben Mini-Meilern bis 2030 ihre Speicherhallen mit Strom zu versorgen. Die Idee ist, neue Datenzentren nicht mehr da zu bauen, wo die Atomkraftwerke sind, sondern die Meiler gleich dort mit zu errichten, wo auch neue Serverfarmen entstehen. Auch in Schweden gibt es bereits Pläne für solche dezentralen Mini-AKWs mit modularen, kleinen Meilern.
Der Plan macht durchaus Sinn: Die Stromfresser und die AKWs näher zusammenzubringen, spart den Versorgern milliardenschwere Investitionen in die Netze dazwischen. Das US-Energieministerium sieht darin laut dem US-Portal Axios schon die “ideale Lösung”. Doch alles hängt davon ab, ob sich die Technik verkleinern und sicherer machen lässt. Google-Partner Kairos will seine Meiler nicht mehr mit Wasser, sondern mit geschmolzenem Salz kühlen, das viel schwerer verdampft. Dadurch braucht es kein aufwendiges und störanfälliges Hochdruck-Kühlsystem mehr, das bei einem Notfall wie in Tschernobyl oder Three Mile Island zur potenziellen Bombe wird.
Zudem verwenden die Kairos-Reaktoren neuartigen TRISO-Brennstoff, bei dem Uran mit Kohlenstoff und Keramik zu Kugeln von der Größe eines Tennisballs gepresst wird, sodass er auch bei extrem hohen Temperaturen nicht schmelzen kann. Selbst bei Stromausfall kühlt der Reaktor daher selbstständig herunter. So sollen die Meiler Supergau-sicher und so günstig wie Gaskraftwerke werden. Nach demselben Prinzip baut auch Bill Gates’ Firma TerraPower in Wyoming seit diesem Sommer einen Testreaktor. Und will das Nuklear-Startup X-Energy bis 2030 ein Chemiewerk von Dow in Texas versorgen.
Fast 100.000 Tonnen Atommüll dümpeln vor sich hin
Die Idee gibt es schon seit den 60er-Jahren, wurde dann aber verworfen. Schon im deutschen Versuchsreaktor in Jülich wurden ähnliche Designs bis Ende der 80er-Jahre getestet. Dann wurde die Technik in China weiterentwickelt. Nur dort wurde bislang ein solcher Hochtemperaturreaktor gebaut. Der Reaktor, der seit 2023 in Betrieb ist, wird allerdings nicht mit geschmolzenem Salz, sondern Gas gekühlt. Die Meiler von Kairos und Bill Gates sind bislang reine Zukunftsmusik. Durch langwierige Genehmigungsverfahren dürfte es Jahre dauern, bis sie den ersten Strom an die Tech-Giganten liefern – wenn überhaupt.
Zudem gibt es ein großes Problem: Die Mini-Reaktoren produzieren deutlich mehr Atommüll als heutige konventionelle Meiler. Schon jetzt dümpeln in den USA 92.500 Tonnen Atommüll vor sich hin. Jedes Jahr kommen weitere 2000 Tonnen hinzu – lange bevor Kairos oder TerraPower eine einzige Kilowattstunde Strom für die KI-Revolution geliefert haben. Doch ein Endlager existiert wie in Deutschland bislang nicht.
Die Vision sauberer, rund um die Uhr verfügbarer Atomenergie für stromhungrige Rechenzentren ist vielversprechend. Doch ohne massive Subventionen dürfte die nukleare Renaissance nicht vom Fleck kommen. Nicht nur für den Bau eines Endlagers, sondern auch für die Entwicklung der Technik: Die Versuchsreaktoren von X-Energy und TerraPower werden jeweils zur Hälfte von den Firmen und vom Staat finanziert. Rund drei Milliarden Dollar haben die US-Steuerzahler die öffentlich-private Partnerschaft schon gekostet.
Und trotz aller Fortschritte sind die Endrisiken der neuen Nukleartechnik nur schwer absehbar. Eine mahnende Erinnerung sollte der Atomunfall in Three Mile Island selbst sein. Beim GAU Ende der 70er-Jahre war der brandneue Reaktor dort auf dem neusten Stand der damaligen Technik. Und gerade erst ein paar Monate zuvor in Betrieb gegangen.