Nürnbergs Bauchef über den Opernbau auf Nazi-Grund: „Das ist herausragend mutig“ – Bayern | ABC-Z
SZ: Herr Ulrich, viele haben für den neuen Opernbau auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände einen exzeptionellen architektonischen Wurf erwartet. Die Stadt hat sich fürs Gegenteil entschieden. Man könnte sagen: für Nicht-Architektur. Warum?
Daniel Ulrich: Man muss sich immer bewusst machen, dass man auf diesem Areal mitten in einem Nazi-Torso steht. Dort mit einem großen Architektur-Wurf zu reagieren, wirkt auf den ersten Blick verführerisch. Auf den zweiten Blick läuft man damit Gefahr, ein NS-Gebäude zu verherrlichen. Ihm etwas Gutes zu geben, das es nicht hat.
Der erste Eingriff in den NS-Großbau von Günther Domenig, dem Architekten des 2001 eröffneten Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände, war aber genau das: exzeptionelle Architektur.
Richtig, sein Eingriff war exzellent. Mit seinem in den Torso geschossenen Pfeil hat Domenig diese Nazi-Architektur gebrochen. Aber: Man kann ein solches Gebäude nur einmal auf so exemplarische Weise brechen. Macht man das noch ein weiteres Mal, dann entstünde eine Konkurrenz zu Domenig – was wenig hilfreich wäre. Im schlimmsten Fall würde sein Wurf dadurch beschädigt. Überdies bestünde die Gefahr, dass so ein zusätzlicher architektonischer Eingriff den NS-Rumpf zu übertrumpfen versucht.
Was wäre daran das Problem – wenn die Architektur der Moderne mit den ihr eigenen Mitteln diesen NS-Bau vorführen würde?
Die NS-Architektur drohte dadurch, zu einer Kulisse zu werden. Eigentlich führt dieses ruinöse Gebäude lediglich vor, dass die gesamte Nazi-Ideologie nicht funktioniert hat. Plötzlich würde sie womöglich zu etwas Interessantem und Spannendem. Das ist unser Grundproblem mit der nicht fertig gebauten NS-Kongresshalle: Rein äußerlich hat sie durchaus ihre Reize. Nur muss man sich immer vergegenwärtigen, dass sie nicht dafür gebaut wurde, ästhetisch zu sein.
Aber könnte man angesichts der betonten Nicht-Architektur – ein überschaubar großer, schlichter grüner Opernhaus-Kasten – nicht auf die Idee kommen, dass da die Moderne in die Knie geht und klein beigibt vor einem NS-Monstrum?
Das ist keine rein architektonische Frage. Deshalb haben wir als Stadt schon für die komplexe Frage, wo exakt dieser Bau entstehen soll, die externe Hilfe von Erinnerungskultur- und Gedenkstätten-Experten hinzugezogen. Eines muss dort immer wieder in Erinnerung gerufen werden: Den Nazis ging es bei diesem Bau nicht darum, ein in ihren Augen schönes Gebäude in die Stadt zu stellen. Es ging ihnen darum, einmal im Jahr aus Anlass der Reichsparteitage Adolf Hitler zu feiern. Dort steht also kein zweites römisches Kolosseum. Dort steht ein versuchter Prunkbau des Faschismus.
Aber werden künftige Besucher des Kongresshallen-Innenraumes nicht ein sich – angesichts der NS-Gigantomanie – förmlich duckendes Gebäude der Moderne sehen?
Besucher werden sogar noch weniger sehen: Das moderne Gebäude versteckt sich ja regelrecht hinter einer Begrünung. Und es macht das aus gutem Grund: Künftigen Besuchern soll auf diesem Hof auch weiterhin vor Augen geführt werden, dass dieser NS-Bau nicht zu Ende gebracht worden ist – als Symbol für das Scheitern des Nationalsozialismus. Würde man dort etwas Großes und Schönes bauen, worin sich die NS-Backsteinfassade womöglich spiegelt, dann bestünde das Risiko, diesen Nazi-Bau zu zelebrieren. Dann würde das Nazi-Scheitern dort nicht mehr so offenbar, Erinnerungskultur wäre dort schwerer zu vermitteln. Es geht an diesem Ort nicht nur darum, wie sich neue Architektur präsentiert. Es geht um den Ort als Ganzes. Ein herausragendes modernes Gebäude, das versucht aufzutrumpfen, wäre ein großes Risiko.
Ist das alles schwierig.
Ein so schwieriges Gebäude gibt es selten. Da muss man schon ehrlich sein. Architekten – ich bin ja selber einer – kommen immer in Versuchung, primär den neuen Bau zu verstehen. Der schreit hier nach einer architektonischen Antwort. Aber man muss das Areal in seiner historischen Bedeutung sehen. Wir dürfen nicht der Versuchung der NS-Gigantomanie erliegen – und nicht über der formalen Ästhetik des Nazi-Baus dessen ideologischen Sinn vergessen.
Ein Stadtrat hat die Formulierung gefunden: Nürnberg baut am schwierigsten Ort der Stadt.
Wir haben es uns nicht leicht gemacht, stimmt. Lange war dieser NS-Bau eine riesengroße Lagerhalle. Kann man auch machen. Passt aber so, denke ich, nicht mehr in Zeit. In einer Zeit, in der manche offenbar gerne die NS-Diktatur vergessen würden, ist es richtig, Menschen immer wieder aufs Neue mit diesem Areal zu konfrontieren.
Was antworten Sie der FAZ, die angesichts des geplanten Neubaus urteilt: „feige vor der Geschichte“.
Für mich ist genau das Gegenteil der Fall: Ich finde es außerordentlich mutig, sich genau diesen Standort für einen Neubau gewählt zu haben. Feige vor der Geschichte wäre es gewesen, mit so einem Areal das zu tun, was man hätte machen können: Totalabbruch, Fläche planieren, Wohnungsbau drauf und vergessen.
Das „feige“ bezieht sich wohl eher auf die prononcierte Nicht-Architektur.
Auch da würde ich widersprechen: Das ist herausragend mutig. Es traut sich nämlich kaum jemand, ein Kulturgebäude dieser Bedeutung bewusst unbedeutsam erscheinen zu lassen. Die neuen Opern- und Kulturneubauten der vergangenen Jahrzehnte sind in der Regel Prunkbauten von äußerster Qualität und herausragender Strahlkraft. Zu Recht. Aber es steht ja auch keiner dieser Bauten in einem NS-Torso.
Gab es in dem nicht öffentlichen Verfahren auch komplett konträre Entwürfe – also keine sich möglichst klein machende, hinter einer Begrünung förmlich versteckende Architektur?
Es gab die ganze Bandbreite. Im ersten Verfahren auch einen Entwurf, der – ähnlich der Elbphilharmonie – auf den historischen Torso einen spektakulären Bau aufgesetzt hätte. Später auch spiegelnde Fassaden und Entwürfe, die technisch gesehen eher an große Gewächshäuser erinnert hätten.
Ist so eine Gebäude-Begrünung, wie sie nun geplant ist, nicht arg aufwendig – und sieht zumindest anfangs nie so aus wie auf den idealisierten Entwürfen?
Wir werden sicherstellen, dass das Grün wachsen kann. Aber es wird kein hoch technisiertes, besonders pflegeintensives Grün werden. Natürlich wird man gießen und düngen müssen. Aber es geht dort vor allem darum, der Natur ihren Lauf zu lassen, wildem Wein etwa. Klar wird der Preis dafür sein, dass es am ersten Tag dort nicht so grün aussehen wird wie etwa nach zehn Jahren.
Warum überhaupt dieses Grün?
Das Grün ist der neutrale Faktor, mit dem man ein Gebäude so kaschieren kann, dass es nicht mehr als eigenständiges Bauwerk in den Vordergrund tritt. Es nimmt dem Bau seine Materialität. Es geht da nicht um Ökologie, jedenfalls nicht primär.
Und warum soll das Gebäude nur 800 Plätze fassen? Das sind deutlich weniger als im alten Opernhaus im Stadtzentrum.
Das ist kein wirklich großes Operngebäude, stimmt. Es ist ein Kompromiss zwischen dem, was man unbedingt braucht, und dem, was man sich gerade noch leisten kann. Jeder Platz mehr kostet auch mehr.
Aber durch die geringe Größe zeichnet sich nochmals ab: Das Gebäude wird – bei einem etwaigen Umzug der Oper zurück in das dann renovierte Haus im Zentrum – nicht zu einem in Nürnberg sehr notwendigen Konzertsaal umzubauen sein.
Wir haben immer gesagt: So einfach geht das ohnehin nicht. Ein Opernhaus hat einfach ganz andere Maße als ein Konzertsaal – und eine völlig andere Akustik. Um daraus einen Konzertsaal höchster Qualität zu machen, wäre ein ganz erheblicher Eingriff notwendig.
Das Landesamt für Denkmalpflege hatte 2021 starke Bedenken gegen eine Bebauung des NS-Innenhofs formuliert. Soweit der Rückbau des Opernhauses gewährleistet sei, könne man diese aber zurückstellen, erklärte die zuständige Oberkonservatorin. Ist denn nun ein möglicher Rückbau gewährleistet?
Zurückbauen könnte man alles. Das wird eine Entscheidung der Generation sein, die vor diese Frage gestellt sein wird. Der Förderung wegen wird der Opernbau mindestens 25 Jahre lang stehen müssen. Wann und ob überhaupt dieses Gebäude dann wieder abgebrochen wird, entscheidet mein Nachfolger – in 25 Jahren bin ich nicht mehr im Amt.
Es stand mal in Rede, das geplante Gebäude müsse man abbauen und an anderer Stelle wieder aufbauen können.
Stimmt. Aber angesichts der 25 Jahre, die das Gebäude jetzt mindestens stehen wird, haben wir uns gegen einen solchen Bau entschieden, den man wieder abschrauben kann. Ein temporärer Bau hätte keine 25 Jahre lang gehalten.