Kultur

Nürnberg: Bob Dylan in der Frankenhalle | ABC-Z

Nürnberg – Im dritten Song des Abends, als sich nach zwei katastrophalen Auftaktstücken der Bandsound erstmals zu einem runden Ganzen formt, singt Bob Dylan „I Contain Multitudes“. Der Song von seinem Album „Rough And Rowdy Ways“ von 2020, das der aktuellen Tour ihren Namen gibt, fasst formelartig zusammen, was der Künstler seit über sechzig Jahren wieder und wieder demonstriert: In ihm steckt vieles. Das hat der Welt ein unvergleichliches Werk beschert. Nur: Muss diese Vielseitigkeit in jeder Songzeile sein?

Der 83-Jährige flüstert die einen Töne, bellt bluesig die nächsten und croont auch mal zwischendurch – so weit, so vielseitig und sprunghaft. Doch an dem Abend in der Frankenhalle garniert und umspielt er fast alle Zeilen auch noch mit instrumentalen Licks und Melodien.

Ob er zur Mundharmonika oder mit der rechten Hand in die Flügeltasten greift, entscheidet er offensichtlich spontan, und so gehen seine Einwürfe musikalisch mal in die eine, mal in die andere Richtung.

Intuition und Lustprinzip

Auch die Instrumentalpassagen dominiert Dylan an diesem Abend. Selbst als einer seiner Gitarristen bei „To Be Alone With You“ mal zu einem zurückhaltenden Solo ansetzt, haut der Chef plötzlich einen Akkord ins Klavier und übernimmt die Initiative wieder.

Seine Solo-Passagen haben aber zumeist keinen Bogen, auch hier folgt er Intuition und Lustprinzip. Oft spielt er synkopierte Akkorde oder beidhändig Dur-Melodien, auch Stil-fern zu Blueswendungen. So widerspricht das oft dem Feeling der Arrangements, ja torpediert mitunter den Gesamtsound

Schon seit den späten Neunzigern ist Dylan als Solist in Erscheinung getreten, damals an der Gitarre. Doch bei diesen früheren Bands – etwa der unerreicht brillanten mit den Gitarristen Larry Campbell und Charlie Sexton – fügte sich Dylans exzentrischer Instrumentalstil ins Gefüge der Band, gab ihr eine spezielle Note, viele Konzerte waren Sternstunden.

Diesmal aber überlagert sein Spiel den Sound, zumal der Mischer seine Instrumente viel zu laut aussteuert. Und das macht die Musik insgesamt unrund.

Er überspannt den Bogen

Wie auch Dylans unorthodoxen Einsätze. Schon immer hielt er seine Musiker auf Trab und Spannung, indem er Songs in unerwarteten Tempi spielte oder Strophen begann, wenn damit nicht zu rechnen war. An diesem Abend aber überspannt er diesen Bogen: Bei „Black Rider“ fängt er mitten in einer Instrumentalpassage eine neue Strophe an, sodass die Musiker erst wieder zusammenfinden müssen.

Bei „My Own Version Of You“ werden sie von Dylan am Ende in einen vermeintlich weiteren Durchgang gelotst, der dann doch nicht stattfindet. Bei „To Be Alone With You“ dauert es ein paar Strophen, bis sich alle auf ein Feeling geeinigt haben. Und bei „Watching The River Flow“ greifen die Gitarristen Doug Lancio und Bob Britt das Mundharmonikamotiv auf, die Band nimmt Fahrt auf, doch dann gibt Dylan seinen Musikern sogleich das Zeichen zum Schlussakkord – mitten der Instrumentalstrophe.

So hat die Band manche Hänger, obwohl sie Abend für Abend die exakt gleichen Stücke spielt. Und diese kommen nur selten in einen Fluss.

Für Nicht- oder Gelegenheits-Fans, die einmal den Nobelpreisträger erleben wollen oder ihren Kindern den Mann aus den künftigen Schulbüchern vorstellen wollen, dürfte der Abend ohnehin rätselhaft bleiben.

Auf dem Programm stehen neun der zehn Songs von „Rough And Rowdy Ways“, und von den anderen Stücken sind nur drei weithin bekannt, „It’s All Over Now, Baby Blue“ und die beiden missratenen Eröffnungssongs: Bei „All Along The Watchtower“ dampft Dylan die drei Akkorden zu einem einzigen zusammen, und hier wie beim folgenden „It Ain’t Me Babe“ spielt er höchst schräg E-Gitarre.

Momente von Schönheit

Seine Instrumentalisten kommen dagegen wenig zur Entfaltung, spielen zurückhaltend, sind damit ausgelastet, den Laden zusammenzuhalten. Dabei sitzt mit Jim Keltner einer der berühmtesten Sideman der Rockgeschichte am Schlagzeug: Der 82-Jährige spielte auf unzähligen berühmten Alben, und sein sagenhaftes Feeling wird auch in der Frankenhalle spürbar, mit wuchtigen Wirbeln bei „Watching The River Flow“ oder subtilen Fills bei „Goodbye Jimmy Reed“.

Und es gibt auch andere Momente der Schönheit an diesem Abend: bei der Ballade „Mother Of Muses“ mit Tony Garniers gestrichenem Kontrabass, vor allem aber bei der Schlussnummer „Every Grain Of Sand“. Während Dylan wie gewohnt fast allen anderen Songs neue Arrangements verpasst, belässt er diese Ballade mit den wunderschönen Gitarrenarpeggien im Gewand von 1981.

Und sogar sein Mundharmonikasolo am Ende erinnert sehr an die Originalaufnahme, mit so viel Zartheit, mit so viel Seele: In dieser allerletzten Strophe des Abends fügt sich auf einmal alles zauberhaft zusammen.

Aber davor war vieles unrund an diesem Abend, und das spiegelt das Publikum in der Frankenhalle auf höchst treffende Weise mit der Schlussszene: Es würdigt den Jahrhundertkünstler mit Standing Ovations – doch der Applaus bleibt freundlich-zurückhaltend.

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