Nordkorea testet Interkontinentalrakete: Folgt jetzt der Atombombentest? – Politik | ABC-Z
Nordkoreas Staatsmedien bestätigten die Raketenmeldungen aus den Feindesländern diesmal ungewöhnlich schnell. Südkoreas Militär sowie Japans Verteidigungsministerium hatten am Donnerstagvormittag berichtet, dass aus Pjöngjang eine mutmaßliche Interkontinentalrakete (ICBM) mit steilem Abschusswinkel gezündet worden sei. Und schon gegen Mittag veröffentlichte Nordkoreas staatliche Nachrichtenagentur KCNA eine Erklärung von Machthaber Kim Jong-un dazu: Absicht des Raketentests sei gewesen, „unsere Entschlossenheit gegenüber den Gegnern zu kommunizieren“, und zwar als Antwort auf die „gefährliche Stärkung der nuklearen Allianzen“ zwischen den USA und Südkorea. Normalerweise sagt das Regime erst am nächsten Tag etwas zu den Flugobjekten, mit denen es gegen die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats verstößt. Die Botschaft dieses Tests war Kim Jong-un also anscheinend besonders wichtig.
In den USA findet am Dienstag die Präsidentschaftswahl statt. Zu diesem Ereignis bringt sich Nordkorea traditionell mit Vorführungen seiner Gefährlichkeit in Erinnerung. Kim Jong-un will wohl US-Wähler beeinflussen, damit sie für seinen Favoriten, den Diktatorenversteher Donald Trump, stimmen.
Mit seinem Militär macht Kim ohnehin gerade viel Wind, Tausende Soldaten sind in Russland
Der Raketentest vom Donnerstag war jedenfalls keine Überraschung. Es passt auch ins Bild, dass er kein Test wie jeder andere war. Japans Verteidigungsministerium berichtete, dass die ICBM nach 86 Minuten außerhalb der japanischen ausschließlichen Wirtschaftszone ins Japanische Meer gestürzt sei. Länger war noch keine nordkoreanische Rakete unterwegs. Sie erreichte eine Höhe von 7000 Kilometern. Experten gehen davon aus, dass Nordkorea mit solchen Raketen die USA treffen könnte. Nordkoreas Verteidigungsministerium teilte laut KCNA mit, dass der Test „einen neuen Rekord in den Fähigkeiten strategischer Raketen aufgestellt“ habe und ein Beweis für die Zuverlässigkeit des nordkoreanischen Atomwaffenarsenals sei.
Die Frage ist, ob das Regime damit genug Krach geschlagen hat oder ob es eine weitere Demonstration vorhat. Nordkoreas Militäravancen ziehen dieser Tage eigentlich schon genug Aufmerksamkeit auf sich. Tausende Soldaten hat Kim Jong-un nach Russland geschickt. Wahrscheinlich sollen sie in Wladimir Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine an der Front helfen. Dass die nordkoreanisch-russische Partnerschaft, besiegelt in diesem Juni, so weit gehen könnte, dass Nordkorea sogar aktiv als Drittstaat in Putins Krieg einsteigt, war so schnell nicht zu erwarten. Diese Waffenhilfe ist mehr als nur eine Provokation für die westliche Welt. Und mit dem Rekord-Raketentest vom Donnerstag hat Kim Jong-un mal wieder klargemacht, dass die Drohung mit Atomwaffen eine Säule seiner Politik ist. Trotzdem kann es sein, dass er sich noch einen großen Knall aufgehoben hat für diese US-Wahl.
Kim könnte mit seinen Provokationen aber auch seine wichtigsten Partner irritieren
Seit Monaten reden die Geheimdienste aus den USA und Südkorea davon, dass Nordkorea bald seinen siebten unterirdischen Atombombentest ausführen könnte. Den vorerst letzten gab es im September 2017. Er löste damals ein Erdbeben mit Magnitude 6,3 in der Nähe des Testgeländes Punggye-ri im Nordosten Nordkoreas aus und Warnungen der damaligen US-Regierung von Donald Trump.
Noch am Mittwoch hatte der südkoreanische Militärgeheimdienst DIA in einer nicht öffentlichen Sitzung mit Parlamentariern berichtet, dass Nordkorea die Vorbereitungen für einen ICBM-Test und einen unterirdischen Atombombentest abgeschlossen habe. „Es kann sein, dass Trägerraketen oder ICBM gestartet werden, und auch die Möglichkeit eines siebten Atomtests kann nicht ausgeschlossen werden“, sagte die DIA laut dem Abgeordneten Park Sun-won von der oppositionellen Demokratischen Partei, der an der Sitzung teilgenommen hatte.
Einen Tag später weiß man, dass die Vorhersage des Raketentests richtig war. Auf den Atombombentest kann man sich demnach auch gefasst machen. Er werde wahrscheinlich im Tunnel Nummer 3 von Punggye-ri stattfinden, sagte Lee Seong-kweun von Südkoreas Regierungspartei PPP, ein weiterer Zuhörer des Geheimdienstbriefings im Parlament. Der Zeitpunkt hänge davon ab, wann Kim Jong-un der Test strategisch sinnvoll erscheint: „Vor oder nach der US-Wahl.“
Mancher Experte zweifelt die Prognose an. Zum Beispiel Lee Sang-sin vom Korea-Institut für Nationale Vereinigung (KINU) in Seoul. Im Fachportal NK News gibt er zu bedenken, dass Kim mit einem derart gefährlichen Versuch auch seine wichtigsten Partner irritieren würde. „Ein Atomtest würde sowohl China als auch Russland Unbehagen bereiten“, sagt Lee Sang-sin, „es wäre, als würde man China ins Gesicht spucken.“ Aber würde sich Kim Jong-un davon wirklich abhalten lassen? Was andere denken, hat ihn im Grunde noch nie interessiert.