Nordische Ski-WM 2025: Andreas Wellinger ist die deutsche Medaillenhoffnung – Sport | ABC-Z

Wie ein Mensch tickt, was er für eine Erziehung genossen hat, das sieht man meist schnell, wenn auch nur in Nuancen. Auch wenn man in niemanden wirklich hineinblicken kann. Andreas Wellinger hat am Sonntagabend bei der Pressekonferenz im Skizentrum Granasen nahe Trondheim ein, zwei dieser Nuancen gezeigt. Als er auf Englisch von einem Reporter, der vergessen hatte, sich vorzustellen, eine Frage gestellt bekam, fragte er erst einmal lächelnd zurück: „Und wer sind Sie?“ Später, nach der letzten Frage, wünschte er allen „noch einen schönen Abend“. Der Eindruck war: Da sitzt jemand, der Interesse zeigt, der zugewandt ist – und sehr gut erzogen.
Wellinger ist bei der Nordischen Ski-WM an jenem Tag zum Hoffnungsflieger der Deutschen geworden, und das nicht zum ersten Mal. Der inzwischen 29-Jährige war es einst schon, mit 19, als sein Stern so richtig aufging. Und er wirkt immer noch fast lausbubenartig, ein nahezu idealer Cover-Boy. Silber hat er nun gewonnen in Trondheim auf der Normalschanze für die DSV-Skisprungadler, deren Gefieder seit ihrem Absturz bei der Vierschanzentournee in den vergangenen beiden Monaten arg zerrupft worden war. Und auf die Frage, ob er das schon alles fassen könne, sagte er: „Ich habe gerade mein Equipment verstaut, war noch bei der Dopingkontrolle, und jetzt sitze ich hier in der Pressekonferenz. Ich denke, es dauert noch ein paar Stunden, bis morgen vielleicht. Ich bin gerade nur glücklich über meine Leistung. Und darüber, auf dem Podium zu stehen.“
Wellinger wurde in Traunstein geboren und wuchs zusammen mit seinen beiden älteren Schwestern Tanja und Julia in Weißbach im Chiemgau auf. Mit sechs Jahren sah er Sven Hannawald im Fernsehen auf allen vier Schanzen die Tournee gewinnen, mit zwölf wechselte er von der Realschule in Traunstein aufs Ski-Internat in Berchtesgaden. Zunächst war er Nordischer Kombinierer, mit 15 wechselte er dann zum Spezialsprung.
Die Trainer schwärmten von seinem Mut, dem Körpergefühl, von seinen Hebeln. Und die Eltern versuchten, den Stern auch mal runterzudimmen. „Befürchtungen habe ich insofern, als der Druck von außen so groß werden könnte, dass er sich nicht mehr aufs Skispringen konzentrieren kann. Ich denke, er lässt das locker auf sich zukommen und macht sich hoffentlich keinen zu großen Kopf über viele andere Sachen“ sagte Hermann Wellinger 2012 der SZ.
Jetzt kommt die Großschanze, drei WM-Wettkämpfe noch
Manchmal ließ sich der Kopf aber doch nicht überlisten. Wellinger hat schon alle Höhen und Tiefen im Skisprunggeschäft erlebt, 2014 und 2018 wurde er Olympiasieger, 2017 und 2023 Weltmeister. Im November 2014 stürzte er im finnischen Kuusamo schwer und zog sich eine Stauchung der Wirbelsäule und eine Luxation des Schlüsselbeingelenks zu, das operiert werden musste. Er erholte sich jahrelang nicht davon, sprang hinterher. Im Juni 2019 riss ihm beim Training auf der Mattenschanze in Hinzenbach das Kreuzband im rechten Knie, im Frühjahr 2020 brach ihm beim Surfen in Australien das Schlüsselbein. Im September 2021 erlitt er einen Meniskusriss. Die Olympischen Spiele 2022 verpasste Wellinger wegen einer Covid-Erkrankung, danach ging es langsam wieder aufwärts – der WM-Titel in Planica zeigte das.
Als nun im Januar die schwarzen Monate für die Deutschen begannen, mit Negativrekorden im Weltcup, da war Wellinger noch die größte Konstante im deutschen Team. „Bei mir ist es noch mit am besten gegangen, stabil um Platz 15 rum. Ich habe es aber auch nicht hingekriegt“, sagte er nun nach seinem WM-Silber.

Wie er zurückfand in die Spur? Wellinger hat einiges verändert, seine Ski stammen seit Jahren schon aus der Firma von Marcel Hirscher. Und kurz vor Trondheim, beim Trainingslager in Oberstdorf, änderten sie auch noch Dinge im Anlaufverhalten und beim Anzug. Er sitzt jetzt ein wenig lockerer in der Hocke, um seine große Stärke, die „langen Haxn“, wie er sagt, beim Absprung besser nutzen zu können. Seine Hebel sind da fast ideal. Außerdem sei es „ums Spannungsverhältnis des Anzugs gegangen. Wir haben da in der Gesamtlänge ein bisschen mehr Zug draufgemacht, wir reden da von einem Zentimeter, also quasi nichts“. Aber das hilft Wellinger schon in der Feinabstimmung: „90 Prozent von dem, was die Leichtigkeit jetzt ausmacht, ist das Körpergefühl und der Sprung.“
Mit diesem Körpergefühl und neuem Selbstvertrauen ist Wellinger am Sonntag auf 106,5 und 104,5 Meter gesprungen – und hat damit eine kleine Euphoriewelle bei den so gebeutelten deutschen Skispringern ausgelöst. So sagte der viertplatzierte Karl Geiger, sein langjähriger Weggefährte: „Ich habe vor ein paar Wochen schon gesagt, wo wir mit Füßen getreten worden sind: Schreibt uns nicht ab! Wir haben versucht, die Ruhe zu behalten. Wenn man von allen Seiten Dresche kriegt, ist das nicht einfach. Aber Welle und ich, wir sind auch mental auf dem Punkt, wo wir sein sollen.“
Jetzt kommt die Großschanze, drei WM-Wettkämpfe noch, angefangen mit dem Mixed am Mittwoch. Der Bakken liegt den Deutschen, das haben sie in den letzten Tagen immer wieder betont. Bei einem Lehrgang im Sommer 2024 „hatten wir ein paar schöne Flüge dort. Wir können da jetzt mit einem breiten Kreuz auftreten“, sagt Geiger. Dabei hat Wellinger, dieser schmale Bursche aus dem Chiemgau, gar kein breites Kreuz. Aber viel Gefühl für den Moment.