Petersberg in Erdweg: Spirituelle Bildung und historische Basilika – Dachau | ABC-Z

Im Neubeginn steckt der Holzwurm drin. „Leider“, sagt Pfarrer Josef Mayer und streicht mit der Hand über das Ahornholz, das perforiert ist von Insektenlöchern. Es ist Teil einer Statue, die auf dem Petersberg im Landkreis Dachau steht und den Titel „Neubeginn“ trägt. In acht Stationen führt der Skulpturenweg den Hang hinauf, an Kiefern und Buchen vorbei, durch den Waldschatten hindurch. Wer vor der Stahlskulptur mit dem Titel „Verletzung“ steht, der kann die Station namens „Heilung“ noch nicht sehen – dafür müsse man sich schon bewegen, sagt der Pfarrer schmunzelnd. Der Skulpturenweg verbindet das obere und das untere Haus des Petersbergs in Erdweg. Es ist das Zuhause der katholischen Landvolkshochschule und zugleich ein Ort, an den viele Menschen zum Auftanken kommen.
Wenn der 65 Jahre alte Pfarrer durch ein Areal führt, dessen einziger dauerhafter Bewohner er ist, dann lässt er öfter seine Hand auf einem Material niedersinken, wie auf der vom Holzwurm befallenen Stele. Seine Handballen und Finger ruhen später auch auf einem kühlen rauen Sandstein in der romanischen Basilika, dem höchsten Ort des Petersbergs, die im Jahr 1107 vollendet wurde. „Dieser Stein hat schon 27 Generationen Menschheitsgeschichte erlebt.“ Die Basilika Sankt Peter und Paul auf dem Petersberg ist eine der ältesten, noch erhaltenen Kirchen in der Diözese München-Freising und das einzige Bauwerk der Romanik, das noch zu einem großen Teil im Stil dieser Zeit erhalten ist, schreibt Hans Schertl in seinem Online-Lexikon „Kirchen und Kapellen im Dachauer Land“.
Seit mehr als 70 Jahren findet an diesem Ort auf einer Anhöhe das statt, was Mayer „spirituelle Bildungsarbeit und Persönlichkeitsentwicklung“ nennt. Schweige-Exerzitien, Ikonenkurse, Familienwochen, Tanz-Seminare und auch ein Brotbackkurs im hauseigenen Lehmofen werden hier angeboten. In beiden Häusern können heute bis zu 85 Gäste beherbergt werden, 250 Menschen finden bei Tagesveranstaltungen Platz.
Mitten im tertiären Hügelland, mehr als 500 Meter über dem Meeresspiegel, hatten sich schon vor Jahrtausenden Menschen diesen Ort ausgesucht, um in die Weite zu schauen. „Der heutige Petersberg war einmal ein Heiligtum der Kelten, später ein Domizil der Römer. Dann wurde er eine Burg und dann zum Benediktinerkloster“, erzählt Pfarrer Mayer. „Hier kommen alle zur Ruhe. Das ist in der DNA des Ortes, die Leute spüren das.“
Besonders wichtig ist dem Kirchenmann, dass die Menschen hier eine Auszeit finden. „Ein gesunder Mensch braucht drei Dinge: eine Arbeit, eine Zeit, in der er sich mit der höheren Ebene in Verbindung setzt, und eine Pause“, sagt Mayer. Gerade diese Pause, diesen Zwischenraum, will Mayer bewahren. Er findet diese Dreifaltigkeit auch im Ausspruch „Ora et labora“ – das lateinische Wörtchen „et“ ist ihm besonders wichtig, es steht für ihn für das Innehalten, die Zäsur. Er sagt schmunzelnd: „Auch ein Mönch hält mal Mittagsschlaf.“

Dass heute hier die katholische Landvolkshochschule beheimatet ist, hat auch mit der dunklen Geschichte des Landkreises Dachau zu tun. „Der Ort verdankt seine Geschichte dem Weihbischof Johannes Neuhäusler und seiner Familie“, erzählt Mayer. Neuhäusler habe in der Zeit des Nationalsozialismus in den Himmel gezeigt und gemeint: „Nur er dort oben hat uns etwas zu sagen.“ Diese Haltung habe ihn schließlich ins Konzentrationslager gebracht, erzählt Mayer.
Noch während seiner Gestapohaft und zum Dank für seine Befreiung schwor Neuhäusler, dass er ein geistliches Zentrum auf dem Petersberg errichten werde, sollte er es schaffen, diese Hölle zu überleben. 1950 war er gemeinsam mit vielen anderen an der Gründung der Katholischen Landvolkshochschule beteiligt, die ihren Betrieb zunächst in den Räumlichkeiten des ehemaligen Indersdorfer Klosters aufnahm.


Zum Kern der Arbeit gehört seit damals die Persönlichkeitsbildung. Zum Beispiel der Ikonenkurs: An dem nimmt mit Toreah Baier auch eine 28-jährige Frau teil. An einem sonnigen Vormittag sitzt sie im Schatten an einem Brunnen nahe der Basilika und blättert in einem Buch über Gottesmutterikonen. Sie ist erst seit drei Jahren katholisch, erzählt die zweifache Mutter, und will doch schon seit Langem eine Ikone schreiben. Mit Ei-Tempura-Farbe auf der Pinselspitze beugt sie sich nun eine ganze Woche lang über das Abbild der heiligen Familie. Für sie bietet der Petersberg Raum für spirituelle Verbindung und eine Auszeit vom Familienalltag.
Andere, die zum Kraftschöpfen hierherkommen, nehmen ihre Familie mit. Beliebt sind die Familienfreizeiten auf dem Petersberg, bei denen Jung und Alt mehrere Tage auf der Anhöhe miteinander verbringen. Michael Keller aus Aichach zum Beispiel kommt seit Jahren regelmäßig mit seiner Familie her. „Wir schöpfen hier Kraft, und die Kinder sind gut aufgehoben und miteinander beschäftigt“, sagt er. Eine befreundete Seminarteilnehmerin fügt hinzu: „Alle sind füreinander da. Man kann entspannen, aber es ist auch etwas los.“


Wenn im November die Kurse fürs Folgejahr zur Anmeldung freigeschaltet werden, bleibt Michael Kellers Frau bis Mitternacht wach, um auch sicher einen der begehrten Plätze zu bekommen, erzählt er. Die Woche auf dem Petersberg ist in seiner Familie ein feststehendes Ritual und so viel mehr als bloß Urlaub. Einst kam er mit seiner heutigen Frau zum Hochzeitsvorbereitungskurs hierher, später zu Trommeltagen und Vater-Sohn-Freizeiten. „Die meisten Teilnehmer sind nicht kirchenfern, aber man muss auch nicht katholisch sein, um mitmachen zu können“, erzählt er. Am Sonntag gebe es einen gemeinsamen Gottesdienst, ansonsten seien die Aktivitäten vor allem auf gemeinsames Erleben und Verbindung ausgerichtet.
Als handwerklicher Programmpunkt steht an diesem Tag der Familienbildungswoche das Papierschöpfen auf dem Programm. Im Innenhof des unteren Hauses haben andere aus alten Büchern Hocker gebaut, ein Upcycling-Projekt. Der Leim trocknet, genauso wie das handgeschöpfte Büttenpapier. Und was den weltlichen Dingen anhaftet, spürt man auch jenseits des Irdischen: Dies ist ein Ort der Verbindung.

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Wenn Pfarrer Josef Mayer am Abend seine letzte Runde über den Petersberg gedreht hat, dann setzt er sich gern nochmal in die dreischiffige romanische Pfeilerbasilika. Und wird still in der hintersten Kirchenbank. „Da schaue ich dem Licht beim Verschwinden zu“, sagt er über die Zeit, wenn ein letzter Sonnenstrahl durch die Basilika wandert. „Das Licht spielt, es gibt keine Tageszeit, zu der es sich nicht verändert“, sagt er, während es golden über dem Tabernakel aufglimmt. „Es ist für mich die Chance, dem Geheimnis des vergangenen Tages nachspüren zu können.“
Anfahrt: Die Linie S2 verkehrt im Stundentakt (in den Hauptverkehrszeiten halbstündlich, allerdings mit Umsteigen in Dachau) zwischen Ostbahnhof und Altomünster mit Halt in Erdweg. Vom Bahnhof Erdweg sind es rund 10 Minuten Fußweg in Fahrtrichtung des Zuges entlang der Bahngleise.
Einkehrmöglichkeiten: Das „Freudenhaus“ in der Münchener Straße 2 in Kleinberghofen serviert Hausmannskost und Gutbürgerliches. Montag und Dienstag sind Ruhetage. Im Brotzeitstüberl, Münchener Straße 11 in Kleinberghofen, gibt es von Montag bis Sonntag von 5.30 Uhr bis 18 Uhr Kaffee, Brot und Kuchen. Außerdem Biogebäck, Pizza und Käsespätzle. Im Wirtshaus am Erdweg in der Hauptstraße 14 in Erdweg isst Pfarrer Mayer am liebsten das Allgäuer Schnitzel. Das Gasthaus hat Dienstag bis Sonntag von 11 bis 23 Uhr geöffnet, Montag ist Ruhetag.





















