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Niko Kovač: Der smarte Autokrat, den der BVB brauchte | ABC-Z

In unserer Kolumne “Grünfläche
schreiben abwechselnd Oliver Fritsch, Christof Siemes, Stephan Reich und Christian Spiller über die
Fußballwelt und die Welt des Fußballs. Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 43/2025.

Es muss 1998 gewesen sein. Ich saß im Mathe-Unterricht und
tat, was ich als Teenager meistens im Unterricht tat: nämlich nichts, oder
zumindest nicht das, was ich hätte tun sollen. Meinem Lehrer, Herrn Döring, passte das ganz und gar nicht, und weil er ein alter Knochen von alter Schule
war, warf er seinen faustgroßen Schlüsselbund nach mir, der mich knapp
verfehlend und laut scheppernd am Schrank hinter mir landete. Es folgte ein
amtlicher Anschiss samt knackiger Ansprache nach dem Unterricht.

Wann genau ich mich eigentlich mal zusammenreißen und mich
auf den Arsch setzen wolle, fragte mich Herr Döring. Und auch wenn Mathe nie
meine Paradedisziplin wurde, nahm ich die ganze Sache mit der Schule fortan ein
wenig ernster.

Jüngst muss ich immer mal wieder an Herrn Döring denken,
genauer: Immer, wenn ich Niko Kovač an der Seitenlinie von Borussia Dortmund
sehe. Borussia Dortmund war für mich in den vergangenen Jahren vielleicht der
tragischste Vereine des Landes. Ein Klub, den bei allen Erfolgen
stets ein Hauch Vergeblichkeit umwehte. Seit dem Abschied von Jürgen Klopp
schien der BVB im kollektiven Liebeskummer, ein Verein auf der Suche nach sich
selbst und nach der verlorenen echten Liebe gleich mit. Darüber verschliss man Jahr
für Jahr Trainer um Trainer. Nie kehrte wirklich Ruhe ein, die Borussia wirkte
stets rastlos, unzufrieden, phasenweise borderline-chaotisch, zuletzt fast ein
wenig zynisch. 

Was freilich auch an der undankbaren Aufgabe lag, jahrelang Herausforderer
Nummer eins der Bayern, zugleich aber kilometerweit vom FCB entfernt zu sein. Eine
Sisyphusarbeit, bei der man, aufgerieben zwischen Anspruch und Wirklichkeit,
nur verlieren kann. Zumal dann, wenn man sich in den seltenen Gelegenheiten,
endlich vielleicht doch mal ganz oben auf dem Treppchen zu stehen, selbst den
Stock zwischen die Speichen schiebt. Grüße Richtung Sébastien Haller an den
Elfmeterpunkt.

Vielleicht habe ich in meinem aktuellen Job ähnlich schlecht
aufgepasst wie einst im Matheunterricht, vielleicht hätte mal ein Chefredakteur
einen Schüsselbund nach mir werfen sollen, aber ich war fest davon überzeugt,
dass Kovač nicht zum BVB passt. Als er den BVB im Frühjahr übernahm, war das Aufstöhnen
der Fanszene deutlich zu vernehmen. Zu viel Defensive, zu wenig Spielkultur,
bei den Bayern trotz Double vom Hof gejagt, in Wolfsburg gescheitert, ein
Eintracht-Frankfurt-One-Hit-Wonder.

Das war auch mein Empfinden. Kovačs Anstellung schien mir
mindestens ideenlos, eher noch ein Paniktransfer, zwei oder drei Amtszeiten von
einem Anruf bei Joe Zinnbauer oder Jürgen Röber entfernt. Er würde eine weitere
Fußnote in der Trainerhistorie der Dortmunder werden, dachte ich, eine
Variation jener Peter Stögers, Lucien Favres, Marco Roses und all der anderen
glücklosen Post-Klopps, die eher früher als später wieder von der Dortmunder
Payroll verschwanden.

Falsch gedacht. Kovač hat den BVB nicht nur wieder in die
Spur gebracht; von seinen 36 Spielen als Trainer hat er nur sieben verloren. Er
hat dem Klub fast so etwas wie ein neues Selbstverständnis eingehaucht. In den
Jahren zuvor schien stets klar, dass es der BVB gegen irgendein Mainz,
Augsburg, Freiburg vergeigen würde, dass drei oder vier völlig überbezahlte
Stars es würden schleifen lassen, dass der Mannschaft insgesamt die
Wehrhaftigkeit fehlte.

Die Dortmunder waren nicht mehr in erster Linie der erste
Verfolger, sie waren vor allem der erste Verlierer, und das dauerhaft. Unter Kovač
ist nun das Gegenteil der Fall. Spiele in Mainz oder Heidenheim werden humorlos
gewonnen. Larifari-Kandidaten wie Karim Adeyemi oder Julian Brandt hat der
Trainer zu Leistungsträgern gemacht. Und immer öfter hat man das Gefühl, die
Dortmunder hätten in den Spielen plötzlich das Messer zwischen den Zähnen – auch
wenn es am Ende, wie am vergangenen Wochenende gegen die Bayern, doch nicht
ganz reicht.

Man hätte es sich denken können: Kovač war genau das, was die Dortmunder so lange gebraucht haben. Ein Arschtreter, ein Schleifer, eine Autoritätsperson, eben jener smarte Autokrat, der dem Verein gefehlt hat. Denn bei aller Klasse, die in den Jahren beim BVB auf der Bank saß –
Taktikfuchs Thomas Tuchel, Kumpeltyp Marco Rose, der zarte Lucien Favre, Trainer-Schrägstrich-Fan Edin Terzić – einer, dem man zutrauen würde, mal den metaphorischen
Schlüsselbund durch die Kabine zu werfen, war nicht dabei.

Wahrscheinlich haben sie beim BVB in all den Spielzeiten
selbst nicht so genau gewusst, was sie eigentlich brauchen. Vielleicht waren
aber auch alle Trainertypen durchdekliniert und der gute, alte harte Hund der
letzte, der noch nicht ausprobiert war. Oder jemand hat sich wirklich Gedanken
gemacht. Denn schon in Frankfurt wusste Kovač Halodris wie Ante Rebić oder Kevin-Prince
Boateng zu greifen, schon dort implementierte er der Mannschaft eine
Wir-oder-die-Mentalität, die sich in vielen blauen Flecken des Gegners und noch
mehr Punkten der eigenen Mannschaft äußerte. Wenn es um alles ging, in der
Relegation, im Pokalfinale, war das Team da.

Wird der BVB jetzt also deutscher Meister?

Nun, wahrscheinlich nicht, zumindest lässt das Spiel
gegen die Bayern vorige Woche das erahnen. Möglicherweise schafft Kovač beim BVB allerdings
etwas viel Wichtigeres: Dass sich der Klub zusammenreißt und den ewigen Jürgen Klopp endlich überwindet. Dann wird der BVB nicht mehr länger erster Verlierer,
sondern wieder erster Verfolger sein. Und ausschließen will ich den (oder
einen) Titel für den BVB auch nicht.

Wie hoch die Chancen sind?

Hmm. Beziffern kann ich das nicht. Mathe war schließlich nie
meine Paradedisziplin.

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