Politik

Nigeria: Warum die Gewalt in Nigeria nicht nur religiöse Ursachen hat | ABC-Z

US-Präsident Donald Trump hat Nigeria mit einem Militäreinsatz und der Einstellung aller US-Hilfen gedroht. Er warf der nigerianischen Regierung vor, die systematische “Abschlachtung” von Christen durch Islamisten zu dulden, und erklärte das Christentum im Land für “existenziell bedroht”. Belege legte er nicht vor. US-Verteidigungsminister Pete Hegseth teilte daraufhin mit, das Pentagon habe bereits entsprechende Maßnahmen vorbereitet. Nigerias Präsident Bola Tinubu, selbst Muslim und mit einer Pastorin verheiratet, wies die Vorwürfe religiöser Intoleranz zurück. Warum Nigeria so stark von Gewalt geprägt ist, lesen Sie hier.

Welche Konflikte prägen Nigeria derzeit?

In Nigeria kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen. Doch pauschale Behauptungen über eine gezielte Christenverfolgung verzerren die komplexe Realität des bevölkerungsreichsten afrikanischen Landes. Die Bevölkerung von rund 236 Millionen Menschen setzt sich aus über 250
ethnischen Gruppen zusammen, die größten darunter sind Hausa-Fulani, Yoruba und Igbo. Der derzeitige Präsident Nigerias, Bola Tinubu, wurde im Februar 2023 mit historisch geringer Wahlbeteiligung ins Amt gewählt und konnte sein Versprechen, die Sicherheit und die wirtschaftliche Lage im Land zu verbessern, bislang kaum einlösen. 

Die landesweiten Gewaltkonflikte haben sich stattdessen weiter verschärft. Im Nordosten kontrolliert der IS-Ableger Islamischer Staat der Provinz Westafrika (ISWAP) ganze Gebiete und erhebt dort eigene Steuern. Zugleich gewinnt die militant dschihadistische Gruppe Boko Haram, die seit ihrer Gründung 2002 Zehntausende Menschen getötet hat, in dieser Region erneut an Einfluss. Im Nordwesten des Landes terrorisieren bewaffnete Fulani-Banden Dörfer, Schulen und Reisende. In Zentralnigeria eskalieren ethnisch-religiöse Konflikte zwischen Hirten und Bauern. Ölraub und Umweltzerstörung destabilisieren den ölreichen Nigerdelta. Im Südosten streben gewaltbereite Separatistengruppen wie die Indigenous People of Biafra (IPOB) einen unabhängigen Staat Biafra an.

Auch die organisierte Kriminalität ist in Nigeria hoch. Netzwerke aus Entführern, Drogenhändlern und sogenannten Geheimbünden sind teils eng mit politischen und staatlichen Strukturen verflochten. Die hohe Korruption schwächt das geringe Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des nigerianischen Staates zusätzlich. 

Welche Rolle spielt Religion für die Konflikte?

Die nigerianische Bevölkerung ist etwa zur Hälfte muslimisch und zur anderen Hälfte christlich. Der Norden des Landes ist muslimisch geprägt, im Süden leben überwiegend Christen. Gewalttätige
Auseinandersetzungen mit islamistischen Gruppen
gibt es seit
rund 15 Jahren vor allem im Nordosten des Landes.

Die zentralen islamistischen Gruppen, die in Nigeria operieren, sind Boko Haram und ISWAP. Ihre Ziele sind die Errichtung eines
islamischen Staates und die Anwendung strenger Scharia-Gesetze. Vor allem im Nordosten des Landes verüben islamistische Gruppen seit Jahrzehnten schwere Anschläge. Die Gewalt dieser Gruppen richtet sich aber auch gegen
Muslime, etwa bei Angriffen auf Märkte und Moscheen. 

Wie auch die US-Kommission für internationale Religionsfreiheit im Jahr 2024 feststellte, betrifft extremistische Gewalt im Land “eine große Anzahl von Christen und Muslimen in mehreren Bundesstaaten Nigerias”. Experten zufolge waren die meisten Opfer tödlicher Anschläge durch islamistische Gruppen Muslime. Neben religiösen Gegensätzen
zwischen christlichen und muslimischen Bevölkerungsgruppen zählen zu den entscheidenden Ursachen für die Gewalt aber auch wirtschaftliche
Ungleichheit, soziale Ausgrenzung, politische Instabilität und
weitverbreitete Korruption. 

Wie beeinflussen wirtschaftliche Faktoren die Gewalt?

Wirtschaftliche Faktoren beeinflussen die Gewalt im Norden Nigerias
maßgeblich. Ein zentraler Treiber sind Konflikte um knappe Ressourcen,
insbesondere Land und Wasser. Die nomadischen und mehrheitlich muslimischen Fulani-Hirten sind traditionell auf Weideflächen angewiesen, stoßen aber zunehmend auf die landwirtschaftlich genutzten Flächen sesshafter, überwiegend christlicher Bauern, was zu gewaltsamen
Auseinandersetzungen wie Raub, Plünderung und Mord führt. 

Diese Ressourcenkonflikte werden durch das starke
Bevölkerungswachstum und den Klimawandel, der zu Wüstenbildung und
weniger verfügbarem Weideland führt, weiter verschärft. Die Unfähigkeit
des Staates, Eigentumsrechte durchzusetzen und für Rechtssicherheit zu
sorgen, erleichtert zudem die Eskalation.​

Zudem
zeichnet sich der muslimisch geprägte Norden Nigerias durch eine besonders hohe
wirtschaftliche Benachteiligung aus. Hohe Arbeitslosigkeit und Armut sorgen für Frustration und erleichtern die Rekrutierung in
gewaltsame Gruppen wie Boko Haram. Wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand kommen in vielen, vor allem ländlichen Regionen kaum an, was zu sozialer und politischer
Instabilität beiträgt. 

Was unternimmt die nigerianische Regierung gegen die Gewalt?

Präsident Bola Tinubu versprach mit seiner “Agenda erneuerte Hoffnung” wirtschaftliche Reformen und Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheitslage. Seine Regierung setzt auf marktorientierte Schritte wie den Abbau von Subventionen und den Ausbau von Polizei und Armee. So sollen etwa jährlich 30.000 neue Polizisten rekrutiert werden. In Nigeria hat sich zudem auch eine große Industrie privater Sicherheitsanbieter etabliert. 

Nach Einschätzungen der Bundeszentrale für politische Bildung ist kein grundlegender Kurswechsel zu erwarten. Es fehle der Regierung an strategischer Planung, Ressourcen und Durchsetzungskraft, um die Ursachen von Gewalt und Instabilität nachhaltig zu bekämpfen. Unzureichende staatliche Leistungen verschärfen etwa die soziale Ungleichheit und gesellschaftliche Spannungen. Internationale Partner wie die USA, Großbritannien und die EU betrachten Nigeria vor allem als sicherheitspolitischen Schlüsselstaat und Energielieferanten, üben aber nur begrenzt Druck für politische Reformen aus.

Was bedeuten Trumps Drohungen?

Die USA haben im vergangenen Jahr ihre Truppen aus Niger, nördlich von Nigeria, abgezogen. Wie die New York Times berichtete, würden Luftangriffe höchstwahrscheinlich auf kleine und über großes Gebiet verstreute Gruppen abzielen. Analysten zufolge bedürfe eine wirksame militärische Aktion gegen diese Gruppen daher wahrscheinlich auch der Unterstützung des nigerianischen Militärs und der nigerianischen Regierung. Trump hatte zugleich jedoch mit der Einstellung jeglicher US-Hilfen an die nigerianische Regierung gedroht. 

Dass von US-amerikanischer Seite Mängel hinsichtlich der Religionsfreiheit in Nigeria kritisiert werden, ist nicht neu. Wie der Guardian berichtete, wurde Nigeria 2020 zum ersten Mal von den USA auf die Liste der Länder gesetzt, die Anlass zu besonderer Sorge geben, wegen “systematischer Verletzungen der Religionsfreiheit”, wie es das Außenministerium formulierte. Die Einstufung, die sich nicht speziell auf Angriffe auf Christen bezog, wurde 2023 aufgehoben, was Beobachter als einen Versuch werteten, die Beziehungen zwischen den beiden Ländern vor dem Besuch des damaligen Außenministers Antony Blinken zu verbessern.

Erstellt mit Informationen der KNA und AFP. 

Back to top button