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Niederlande debattieren über totales Feuerwerksverbot | ABC-Z

Am Neujahrsmorgen sah es in Veen wie in einem Kriegsgebiet aus. Auf einer Kreuzung im Zentrum der niederlän­dischen Gemeinde an der Maas standen acht völlig ausgebrannte Autos. Eines davon gehörte der Polizei. Die Beamten waren um drei Uhr in der Silvesternacht gerufen worden, weil Bewohner wie in den Jahren zuvor Autowracks ange­zündet hatten – ein umstrittener ört­licher Brauch, der in die Neunzigerjahre zurückreicht. Diesmal aber liefen die Dinge ganz aus dem Ruder. Kaum ­hatten die Beamten ihr Fahrzeug ver­lassen, da schlugen zwei junge Männer die Heckscheibe ihres Wagens ein und gossen eine brennbare Flüssigkeit ins Innere. Kurz darauf ging auch das Polizeiauto in Flammen auf.

Das war einer von 121 gewaltsamen Übergriffen auf Polizeibeamte in der­selben Nacht. Die Beamten in Veen ­hatten noch Glück, sie wurden selbst nicht angegriffen und konnten die Bereitschaftspolizei zu Hilfe rufen. Andernorts wurden Polizisten nicht nur beleidigt, sondern auch mit Feuerwerkskörpern beschossen oder körperlich attackiert. Insgesamt wurden 295 Beamte Opfer von Gewalt in der einen oder anderen Form, wie der für die Sicherheitsorgane zuständige Justizminister David van Weel am Montagabend in einem Bericht an das niederländische Parlament darlegte. Außerdem traf es 49 Rettungskräfte. Die Zahlen liegen ­jeweils rund 50 Prozent über dem Durchschnitt der vier vorigen Jahreswechsel. „Dieser Trend ist besorgniserregend und erfordert unsere volle Aufmerksamkeit“, schrieb van Weel dem Abgeordnetenhaus. „Die Täter sollten dafür hart bestraft werden.“

Bürgermeister beklagt widersprüchliche Regeln

Die Gewaltbilanz nährt die schon seit Längerem laufende Debatte über ein komplettes landesweites Verbot von ­privatem Feuerwerk. Bisher gibt es einige örtliche Einschränkungen. So haben 19 der insgesamt 342 Gemeinden ein Totalverbot für Feuerwerk erlassen, ­darunter die großen Städte Alkmaar, Amsterdam, Apeldoorn, Utrecht und Rotterdam. Hundert weitere Kommunen weisen Verbotszonen aus. Allerdings bleibt die Wirkung begrenzt. So berichten einige Bürgermeister, dass bei ihnen inzwischen weniger Feuerwerk gezündet werde als früher. Die Zahl von Verletzten ging leicht zurück. So wurden in diesem Jahr 1162 Personen in Notauf­nahmen behandelt, vier Prozent weniger als im Vorjahr. Die Zahl der Lärm­belästigungen sank um ein Viertel im Vergleich zum Durchschnitt der vier Vorjahre, die der von Feuerwerk ver­ursachten Brände aber nur um ein Prozent.

Ein Feuerwehrmann ist an Silvester in Amsterdam im Einsatz.Picture Alliance

Der Bürgermeister von Zutphen, das ein Totalverbot verhängt hat, sieht die Regierung in Den Haag am Zug. Die gegenwärtige Regelung sei für die Bürger unverständlich, bemängelte Wimar Jaeger. Schließlich sei der Verkauf von Feuerwerk auch dort weiter erlaubt, wo es nicht gezündet werden dürfe. Dieser Widerspruch lasse sich nur durch ein landesweites Verbot ändern, weil dann der Verkauf verboten werden könne. Jaeger gehört der linksliberalen Partei D66 an. Die Regierung, die von vier ­Parteien aus dem rechten Spektrum gestellt wird, besteht allerdings darauf, die Knalltradition zu erhalten. Auch Justizminister van Weel, ein rechtsliberaler Politiker, gab in seiner Gewaltbilanz ­keinen Hinweis darauf, dass er Einschränkungen für nötig halte. Statt­dessen sollen Gewalttäter härter bestraft werden und Strafen nicht mehr in Form von Sozialstunden abbüßen.

Den Sicherheitskräften reicht das freilich nicht. „Viele Kollegen glauben, dass die Politik zu wenig tut“, heißt es in einem internen Vermerk der Polizei, über den die Zeitung „De Volkskrant“ am Dienstag berichtete. Politiker wollten kein Feuerwerksverbot verhängen, weil sie Angst hätten, Stimmen zu ­verlieren. „Phrasen wie ‚Gewalt gegen Helfer ist inakzeptabel‘ sind bedeutungslos, wenn keine konkreten Maßnahmen erfolgen.“ Wer das Papier verfasst hat, das im Intranet der Polizei kursierte, blieb ungewiss.

Böller und Raketen sind bereits verboten

Rechtlich sind die Niederlande schon weiter gegangen als Deutschland. Seit 2020 dürfen dort nur noch stabil auf dem Boden stehende Dekorationsfeuerwerkskörper verkauft werden, also etwa Mischbatterien. Böller und Raketen sind verboten. Die Realität sieht freilich anders aus: In den Tagen vor Silvester ­decken sich viele Niederländer in deutschen Geschäften nahe der Grenze ein, wo es solche Auflagen nicht gibt. Außerdem bestellen immer mehr Personen ­illegale Knallkörper mit besonders ­hoher Sprengwirkung im Internet. Besonders beliebt sind Cobra-Böller, die wegen ihrer Herkunft auch „Polen-Böller“ genannt werden, und Kugelbomben. Die heißen in den Nieder­landen „Mörserbomben“, weil sie aus Rohren verschossen werden.

Im abgelaufenen Jahr haben Polizei und Zoll 107 Tonnen solcher nicht zugelassenen Feuerwerkskörper beschlagnahmt, 35 Prozent mehr als 2023. Jede sechste Verletzung, die in der Silvesternacht behandelt wurde, ging nach An­gaben der Behörde für Unfallprävention auf schweres illegales Feuerwerk zurück, meistens auf Kugelbomben. Wie die Polizei mitteilte, erlitten mehrere Beamte Hörschäden. In Rotterdam ­wurde ein 14 Jahre alter Junge bei der Explosion einer solchen Bombe getötet; ein weiterer Mann kam aus ungenannten Gründen ums Leben. Die Vereinigung für plastische Chirurgie veröffentlichte ihre eigene Bilanz: Demnach mussten in der Silvesternacht im ganzen Land zwei Hände, 18 Finger und sechs Daumen amputiert werden.

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