Niederlage bei Abschied von DFB-Kapitänin Alexandra Popp: „Schade, ist schon vorbei“ – Sport | ABC-Z

Über diese Momente hatte sich Alexandra Popp, so erzählte sie es in diesen Tagen, ganz bewusst nicht allzu viele Gedanken machen wollen. Von „kalter Stein bis völlige Emotionen, die aus einem heraussprudeln“ sei alles vorstellbar, vermutete die 33-Jährige. Aber wahrscheinlicher war dann doch die Variante, dass es emotional werden würde, wenn sie rund um ihr 145. und letztes Länderspiel für Deutschland gegen Australien noch einmal alles erleben würde, was mehr als 14 Jahre fest zu ihrem Leben dazugehört hatte: die Ankunft beim Nationalteam, Training und Besprechungen, die Kabine, der Gang vom Tunnel ins Stadion hinaus, die Hymne, die Ansprache, die Gänsehaut.

Als es dann so weit war, versuchte Popp, sich zu kontrollieren. Erst bei der Hymne waren wirklich Tränen zu sehen. Ganz verbergen vermochte sie ihre Gefühle eben nicht. Warum auch? Zuvor hatte sie einen großen Blumenstrauß und eine Collage mit Fotos ihrer DFB-Karriere überreicht bekommen. Die ebenfalls nach den Olympischen Spielen diesen Sommer zurückgetretenen Abwehrchefin Marina Hegering (42 Einsätze) und Torhüterin Merle Frohms (52 Einsätze) hatten diese Präsente auch überreicht bekommen und winkten gerührt den 26 623 Zuschauern zu. Ein Abschiedsspiel aber bekam Popp exklusiv, an jenem Ort, wo sie am 17. Februar 2010 im Nationalteam debütiert hatte – „noch ohne Körperspannung und mit schlottrigen Knien“, wie sie sich kürzlich erinnerte.

Und so ein bisschen mehr Symbolkraft als sich vielleicht auch die langjährige, populäre Kapitänin selbst gewünscht hatte, bekam der Abend dann auch im Kernelement: Fußball spielen. Denn die Partie offenbarte im frisch gestarteten Umbruch mit neuem Trainerteam mehr Baustellen als beim Offensivfestival vergangenen Freitag im Wembley-Stadion gegen England zu sehen waren. Nach dem 4:3, das Popp sich am Fernseher anschaute, hatte sie sich womöglich gedacht: Läuft doch auch ohne mich, ich kann beruhigt zurücktreten. Nach dem 1:2 (1:1) nun gegen Australien war sie sich vielleicht nicht mehr ganz so sicher.

Bundestrainer Wück bleibt seiner Ankündigung treu und rotiert auf sechs Positionen

Zumindest ist verdeutlicht worden, woran Christian Wück nach seinem zweiten Länderspiel als Bundestrainer der Frauen am ZDF-Mikrofon erinnerte: „Man darf nicht vergessen, wir sind in der Findungsphase. Wir haben einige Spielerinnen, die ihr erstes Länderspiel absolviert haben, und andere, die lange nicht dabei waren.“

Der 51-Jährige hat den Jahresabschluss mit insgesamt vier Länderspielen in der neuen Konstellation explizit zu einer Testphase ausgerufen. Das hat per se schon Druck genommen. Der war nun in Form von geweckten Erwartungen aber vom Nationalteam höchstselbst wieder reingebracht worden, eben weil die Deutschen in Wembley trotz all der Neuerungen so mutig, gierig und dynamisch aufgetreten waren. Und das, obwohl schon bei Wücks Debüt sich die Gesichter der Startelf – aufgrund von Ausfällen allerdings auch gezwungenermaßen – im Vergleich zu Olympia-Bronze deutlich verändert haben. Nun blieb der Bundestrainer seiner Ankündigung treu und rotierte auf sechs Positionen, Torhüterin Stina Johannes und Mittelfeldspielerin Lisanne Gräwe (beide Eintracht Frankfurt) etwa erhielten ihre Chance von Beginn an. Hinzu kamen im Rahmen der intensiven Castingphase sechs Wechsel.

Sportlich wollte Wück verständlicherweise „nahtlos so weitermachen, wie wir in Wembley aufgehört haben“, das klappte zunächst auch ganz gut. Selina Cerci traf per Kopfball nach gerade einmal fünf Minuten zum 1:0. Drei Minuten später landete ein Schuss von Linksverteidigerin Felicitas Rauch am Pfosten. In der 14. Minute hätte Klara Bühl vielleicht getroffen, offensichtlich wollte sie Popp jedoch mit einer Vorlage ein ganz persönliches Abschiedsgeschenk machen und passte zu ihr in den Strafraum. Doch Popp kam nicht an den Ball. Es wäre ihr 68. Treffer für das Nationalteam gewesen, nur die 2019 verstorbene Heidi Mohr (83 Tore) und Rekordnationalspielerin Birgit Prinz (128) waren erfolgreicher.

Kurz danach stand das ganze Stadion und applaudierte, darunter auch Wücks Vorgänger Horst Hrubesch. Auf unzähligen Plakaten verabschiedeten sich die Zuschauer von der Fußballerin mit der Nummer 11, als es soweit war: Nach einer Viertelstunde endete die Ära Popp mit ihrer Auswechslung. Die Kapitänin winkte ins Publikum, streifte Giulia Gwinn die Binde über den Arm und wünschte ihrer potenziellen Nachfolgerin „viel Spaß mit dem Haufen!“. Dann drückte sie jede und jeden aus dem Team, das für sie Spalier gestanden hatte, als sie vom Platz ging und sich sichtlich berührt auf die Bank setzte. „Die Lücke, die sie hinterlässt, ist sehr groß“, sagte Wück. „Alex, aber auch Marina und Merle, hinterlassen große Fußstapfen. Wir müssen schauen, dass wir die Lücke schließen können.“

Kyra Cooney-Cross erzielt den Treffer des Abends aus gut 40 Metern

Der Beweis dieser Einschätzung ließ nicht lange auf sich warten. Es schien ganz so, als sei mit Popp auch einiges von dem Drive und der Wucht verschwunden, für die in den vergangenen Jahren keine so sehr gestanden hatte wie sie. In der ersten Hälfte boten sich zwar auch ohne Popp noch Chancen und manche Elemente der Wück-Premiere waren zu sehen: der Mut nach vorn zum Beispiel. Wie offensiv er spielen lassen will, zeigte sich ganz anschaulich wenige Minuten vor der Pause, als Rechtsverteidigerin Gwinn eine Flanke in den australischen Strafraum zu Linksverteidigerin Rauch schlug, die fast erfolgreich gewesen wäre.

Doch der Rhythmus ging verloren, es schlichen sich Fehler ein, teils selbst verschuldet, teils provoziert. Vor allem die Defensive wirkte bisweilen überfordert und zerfahren und dürften mit am meisten in den Fokus rücken bis zu den nächsten Tests in der Schweiz am 29. November und gegen Italien am 2. Dezember. Kyra Cooney-Cross erzielte den Treffer des Abends, als sie in der 39. Minute aus gut 40 Metern Stina Johannes überrumpelte. Clare Hunt erzielte in der 77. Minute den 2:1-Siegtreffer. „Wir wussten, dass wir viel zu tun haben und wurden bestätigt“, sagte Wück.

Von draußen schaute Alexandra Popp mit inzwischen getrockneten Tränen zu, wie sich ihre Mitspielerinnen schwer taten, und hätte am liebsten nochmal die Fußballschuhe angezogen. „Ich kann nicht leugnen, dass es Spaß gemacht hat, weil wir doch gut am Drücker waren“, sagte die Stürmerin später am Abend. Aber der Zeitpunkt ihrer Auswechslung war besprochen und auch ihr sei extrem wichtig, dass die Spielerinnen nun die nächsten Schritte machen, um eine neue Phase zu beginnen. Für sie, betonte Alexandra Popp, gehöre dazu ein Sinn für sportpolitische Themen. Es gehe darum, „auch mal ein bisschen Druck auszuüben, um die Entwicklung ein Stück weit voranzutreiben“ und Dinge verändern zu wollen. Was sie gedacht habe, als sie vom Platz ging, wurde Popp dann noch gefragt: „Schade, schon vorbei!“ – damit war eine der prägendsten deutschen Fußballerinnen sicherlich nicht alleine.