Kultur

Frankfurter Buchmesse 2025: Da steigt einer fast auf die Barrikaden | ABC-Z

Mit einem Schrei von der Bühne begann am gestrigen Abend die
Frankfurter Buchmesse. Doch es war diesmal kein Protestlaut von Aktivisten, die
womöglich die Saalbühne gestürmt hatten. Es war die philippinische Sängerin
Rosie Sula, die ihre Stimme erhoben hatte und so ihren Gesang zur offiziellen
Eröffnungsveranstaltung begann; in diesem Jahr sind die Philippinen das Gastland der Messe,
dessen Bücher und Autoren traditionell im Mittelpunkt stehen. In diesen immer
aufgeregteren Zeiten wäre jedenfalls Rabatz im Saal nicht ungewöhnlich gewesen,
immer wieder hat die Buchbranche bei zahllosen öffentlichen Veranstaltungen in
den vergangenen Jahren diverse Protestformen erlebt und oft eher erlitten. 

Auf der Eröffnungspressekonferenz der Messe am Vormittag
hatte denn auch die Autorin Nora Haddada, die für den erkrankten
Literaturnobelpreisträger László Krasznahorkai eingesprungen war, gleich schon
mal vom “Genozid” in Gaza gesprochen und von einer diesbezüglichen
“Diskurspsychose”, die die deutsche Medienlandschaft nach dem 7.
Oktober 2023 befallen habe. Damit hatte die 1998 im Saarland geborene Autorin
eigentlich den Ton für Action gesetzt. Doch zumindest bei der offiziellen Messeeröffnung
am Abend hatte niemand Lust darauf. Keine Randale, sondern “Fantasie
beseelt die Luft”: So lautet das Motto des philippinischen
Gastlandauftritts, das dem Werk des Dichters und Freiheitshelden José Rizal
entstammt, der 1896 von der damaligen spanischen Kolonialmacht hingerichtet
wurde.

Die Gesänge und vorgetragenen Gedichte, diverse Reden
und der DJ Timothy Roth ließen es bei der eigentlichen Eröffnungsveranstaltung dann friedlich beseelt angehen, fast wären die
Philippinen ja im Frühjahr mit dem hoch gehandelten ehemaligen Erzbischof von Manila, Luis Antonio Tagle, auch Papst
geworden. Vielleicht war es aber auch Ausdruck einer gewissen Bedürfnislage: Für die scheidende Börsenvereinsvorsteherin Karin Schmidt-Friderichs war es das
letzte Mal, dass sie den traditionellen Hammer zur Eröffnung sanft schwang.

Für Action wollte dann ausgerechnet jemand sorgen, von dem
man es vielleicht nicht erwartet hätte: Kulturstaatsminister Wolfram Weimer.
Höflicher Beifall begrüßte ihn bei seinem ersten offiziellen Auftritt auf der Frankfurter Buchmesse im immer noch neuen Amt, es ist
für den Konservativen alles andere als ein Heimspiel vor der versammelten
deutschen Buchbranche. Doch irgendwann wurde selbst seine Rede von zunächst
schütterem, dann immer stärkerem Beifall unterbrochen, denn wahrscheinlich
hatten manche im Publikum zunächst ihren Ohren nicht trauen wollen. Denn Weimer
blies zur Attacke auf Digitalkonzerne, sodass man sich momentweise an eine Rede von Heidi Reichinnek erinnert fühlte. Weimer sprach vom “geistigen
Vampirismus”, den “amerikanische und chinesische Tech-Giganten” mit der Entwicklung von künstlicher Intelligenz betreiben würden, weil
sie menschliche Werke einfach so für sich auspressen würden. Die KI würde damit ins
Herz der Literatur treffen, die viel gefeierte blaue Blume übermähen und die
Literatur zur Ware herabwürdigen. “Autonome Kunst wird zur Beute” – solche
Sätze eines deutschen Kulturstaatsministers werden das ferne Silicon Valley zwar nicht erbeben lassen, aber ein Zeichen für die verunsicherte heimische Buchbranche war das immerhin. Ausgerechnet Weimer, wer hätte das
gedacht, berief sich auf den großen linken Theoretiker Theodor W. Adorno, der
hier in Frankfurt lehrte (“Ich weiß, das klingt jetzt nach Adorno”), als er vor
einer Zukunft warnte, in der eine Technik nur noch affirmative Werke erzeuge.
Bei seiner Vorgängerin Claudia Roth hätte da längst der Saal getobt – das
Klatschen begann erst, als Weimer ein “Sie haben keine Lizenz” in den Raum rief und
damit die Techunternehmen meinte, die Data-Mining in falscher Analogie zu
Bergbauunternehmen von einst betreiben würden.

Und so ging es bei Weimer rhetorisch immer weiter, fast bis
auf die Barrikaden, es war weltanschaulich in dieser Vehemenz ein
überraschender Auftritt: Er sah einen “Raubzug”, der im Silicon Valley und im chinesischen Shenzhen passiere, sprach vom schamlosen “digitalen Kolonialismus, den wir nicht
länger hinnehmen dürfen”, und nannte die Werkzeuge Besteuerung und Kartellrecht,
mit denen Monopole zerschlagen werden könnten, schließlich müssten die
Urheberrechte wirksam geschützt werden. Dass Weimer damit in der Buchbranche offene
Türen einrannte, war klar, er selbst hatte seine Agenda gegen die Macht von Big
Tech bereits neulich in seiner Rede zur Eröffnung des Internationalen
Literaturfestivals in Berlin
ähnlich präsentiert. Trotzdem war es durchaus verblüffend,
wie systemkritisch dieser Minister klingen konnte – wenngleich er sich das auch
bequem leisten konnte, denn er wird ja die etwaigen harten Verhandlungen mit
den Konzernen und Kanzleien nicht selbst führen müssen, für so etwas hat er ja
zum Glück Brüssel. Jedenfalls gab sich Weimer auf der Bühne nach seinen
jüngsten ministeriellen Ansagen an diesem Abend ideologisch flexibel, Fantasie
beseelt schließlich die Luft: Schaut her, liebe Linksliberalen, so kann ich
auch, so schlimm bin ich doch gar nicht!

Weimer warnte eindringlich vor den drohenden Gefahren, wenn
sich “menschenverachtende Autokratien”, die überall in der Welt die Demokratie
bedrohen, mit KI verbinden würden: “Dann wird es gefährlich.” Da hätte sicher
auch Claudia Roth klatschen müssen. Und dass Weimer mit Zeilen von Rainer Maria Rilke schloss, konnte man ihm im Jubiläumsjahr des
Dichters, der vor 150 Jahren geboren wurde, auch nicht so recht übel nehmen, zumal er damit die poetische
Überlegenheit des Menschen demonstrieren wollte: “Die letzten Worte wird eine KI
nie finden.” Die generelle Empfehlung des Ministers – “mehr Rilke wagen” –
werden allerdings Dichterinnen und Dichter hierzulande hoffentlich nicht allzu
wörtlich nehmen. 

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