Verfassungsrichterwahl: Und welches, wenn sie wieder scheitern? | ABC-Z

Wirklich sicher ist vor der Wahl der drei neuen Bundesverfassungsrichter an diesem Donnerstag eigentlich nichts. Jedenfalls, was den Ausgang betrifft. Für die beiden Regierungsfraktionen gibt es nur eine Gewissheit: Es darf nicht schiefgehen. Nicht noch einmal. Denn sonst droht dem Land eine Staatskrise. Schon der fehlgeschlagene erste Versuch im Juli stürzte die Koalition bekanntlich in ein tiefes Zerwürfnis. Das Problem: Es ist eine geheime Wahl. Am Ende wird also niemand ganz genau wissen,
an wem es gelegen hat, wenn es geklappt hat. Oder wenn es nicht geklappt
hat.
Und so wirkt die demonstrative Gelassenheit der Fraktionsspitzen von Union und SPD eben doch ein wenig unentspannt. Denn, so hört man es seit Wochen in der SPD: Noch so ein Scheitern wie beim ersten Anlauf und die Regierung sei am Ende. “Ja, es wird klappen”, beteuerte daher Unionsfraktionschef Jens Spahn. Und Dirk Wiese, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD, sagte, er sei “zuversichtlich, dass uns die Wahl der drei Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht gelingt”.
Aber was genau wird klappen, wessen Wahl? Schon hier wird es unübersichtlich. Um gewählt zu werden, brauchen die drei Kandidaten eine Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen. Ohne die AfD braucht es dazu alle Stimmen von Union, SPD und Grünen, außerdem – je nachdem, wie viele Abgeordnete abstimmen – etwa sieben Stimmen aus der Linkspartei. Und dafür, dass es am Ende gelingt, stehen die Chancen der drei Kandidaten ein wenig unterschiedlich. Außerdem: Wie heikel geheime Wahlen bei diesen knappen Mehrheitsverhältnissen seien, habe man bei der Kanzlerwahl gesehen, heißt es etwa in der SPD. Die war im ersten Wahlgang gescheitert.
Die AfD versucht auch die zweite SPD-Kandidatin zu verunglimpfen
Besondere Aufmerksamkeit an diesem Donnerstag ruht auf der Wahl von Sigrid Emmenegger, der neuen SPD-Kandidatin. Die 48-jährige Richterin am Bundesverwaltungsgericht ist an die Stelle von Frauke Brosius-Gersdorf getreten, die sich nach einer Kampagne gegen ihre Person und einer in letzter Minute abgesetzten Wahl schließlich zurückgezogen hatte. Die SPD hat ihre Schlüsse aus diesem Desaster gezogen: Emmenegger mag “progressiv” sein, wie es in der SPD heißt. Doch öffentlich hat die neue Kandidatin – im Gegensatz zu Brosius-Gersdorf – bisher keine gesellschaftspolitisch kontroversen Positionen vertreten.
Dass Emmenegger gewählt wird, gilt als wahrscheinlich. Auch weil sich die Union für diesen zweiten Versuch früh und intensiv darum gekümmert hat, die Unterstützung für die neue Kandidatin zu sichern. Etwas unsicherer sieht es bereits bei der zweiten SPD-Kandidatin aus, Ann-Katrin Kaufhold, Jura-Professorin an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dabei könnte sie künftig sogar zur wichtigsten Richterin aufsteigen: Geht alles gut, wird die SPD sie voraussichtlich am Freitag im Bundesrat zur Wahl als Vizepräsidentin des Gerichts vorschlagen. In fünf Jahren, wenn die Amtszeit des jetzigen Gerichtspräsidenten Stephan Harbarth endet, könnte sie dann sogar Präsidentin des Gerichts werden. Wie schon bei Brosius-Gersdorf versucht die AfD allerdings auch sie als linke Ideologin zu verunglimpfen.
Sie zeichnet von ihr das Zerrbild einer Sozialistin und Enteignungsbefürworterin. Der Grund: Kaufhold war Mitglied einer vom Land Berlin eingesetzten Expertenkommission, die sich mit der Frage beschäftigte, ob man das Eigentum großer Wohnungsbauunternehmen vergesellschaften darf. Die Kommission – der auch konservative Experten angehörten – war zu dem Ergebnis gekommen: Rechtlich ist das grundsätzlich möglich. Ob solche Vergesellschaftungen darüber hinaus politisch wünschenswert sind oder nicht, hatte die Kommission nicht beurteilt.
Anders als bei Brosius-Gersdorf sind die Diskreditierungsbemühungen der AfD bislang offenbar ins Leere gelaufen. In der Union heißt es zumindest, die Vorwürfe gegen Kaufhold hätten hier keinen Eindruck gemacht. Nur eine Abgeordnete habe Bedenken angemeldet. Ob es letztlich doch noch mehr Abweichler geben wird – unklar. Jedenfalls haben sich die Bemühungen der Union, ein Debakel wie im Juni diesmal zu verhindern, vor allem nach innen gerichtet. Insbesondere Fraktionschef Jens Spahn hat sich der Angelegenheit diesmal früh und gezielt angenommen. Schließlich war er es, der sich für das Scheitern des ersten Anlaufs in letzter Sekunde verantwortlich zeichnete. Und dessen Eignung für den Posten daraufhin in Zweifel gezogen wurde – auch die SPD ließ durchblicken, dass sie ihm nicht vertraue. Entsprechend hoch ist das Risiko beim zweiten Versuch auch für ihn persönlich.
Spahn und der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Steffen Bilger, ließen die Ersatzkandidatin Sigrid Emmenegger einerseits genauer prüfen und organisierten zum anderen ein Treffen im größeren Kreis mit Emmenegger. Mit Frauke Brosius-Gersdorf kam es nie zu einem derartigen Austausch, obwohl die SPD dies von der Union gefordert hatte. Die Rückmeldungen? Sehr positiv, hieß es von der Fraktionsführung – Vorbehalte gegen die Kandidatinnen wurden auch in der letzten Fraktionssitzung am Montag nicht geäußert.
Ausgerechnet die Wahl des Unionskandidaten ist heikel
Und dann wäre da noch der Dritte, der von der Union unterstützte Kandidat Günter Spinner. Sein Fall ist bei diesem Wahlgang vielleicht der heikelste. Denn weil die Union es nach wie vor ablehnt, mit der Linkspartei zu verhandeln, versagt die Linke wiederum dem Kandidaten die öffentliche Unterstützung. Die AfD hingegen könnte mehrheitlich für Spinner stimmen – oder das nach der Wahl behaupten. Ob es bei der Wahl Spinners am Ende mit einzelnen Stimmen aus der Linkspartei reicht, oder ob es auf die AfD ankommt, wird sich bei der geheimen Wahl nämlich kaum feststellen lassen. Doch auch diese Unsicherheit dürfte die AfD später als Erfolg für sich reklamieren.
Auch das noch? – Der freundliche Krisenpodcast:
Recht sprechen in der “Wahrheitskrise”
Bei Spinner scheint die Union dennoch im guten Glauben. Nach außen jedenfalls hat sie keine großen Anstrengungen unternommen, für ihn eine Zweidrittelmehrheit jenseits der AfD zu sichern. Gerade mit der Linken, auf deren Stimmen die Union insgeheim vertraut, hat sie kein Gespräch geführt. Im Weg steht auch hier erneut der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU, der nicht nur für die AfD, sondern eben auch für die Linkspartei gilt. In der Union hofft man anscheinend vor allem auf den überparteilichen Charakter von Spinners Kandidatur, schließlich wurde er als einziger der drei Kandidaten direkt vom Bundesverfassungsgericht vorgeschlagen – die Union hat sich den Vorschlag nur im Anschluss zu eigen gemacht. Man sei zuversichtlich, die nötigen Stimmen auch ohne “Gespräche oder Deals” mit der Linken zu erreichen, sagte Bilger, der Parlamentarische Geschäftsführer.
Die Linke legt sich bewusst nicht fest
Die Linksfraktion wiederum ist darüber empört. Sie will nicht länger Mehrheitsbeschafferin für die Union sein und sich zugleich von ihr wie eine politisch Aussätzige behandeln lassen müssen. Tatsächlich halten die Linken einen mächtigen Trumpf in ihren Händen: In dieser Legislatur braucht die schwarz-rote Regierungskoalition für jedes Vorhaben, das eine Zweidrittelmehrheit erfordert, Stimmen aus dem Lager der Linken – wenn die Union sich nicht auf die AfD verlassen will. “Ich bin überhaupt nicht darüber zufrieden, wie CDU und CSU zu Zweidrittelmehrheiten im Parlament kommen wollen”, sagte der ehemalige thüringische Linken-Ministerpräsident und heutige Bundestagsvizepräsident Bodo Ramelow dem stern: “Auf diese Art und Weise funktioniert es jedenfalls nicht.” Die beiden Parteivorsitzenden Jan van Aken und Ines Schwerdtner plädierten sogar lange Zeit dafür, die Union auflaufen zu lassen.
Schon am Montag hat die 64-köpfige Fraktion daher beschlossen, die Union zappeln zu lassen und bei dieser Abstimmung die Fraktionsdisziplin aufzuheben. Man habe “miteinander vereinbart, dass es sich bei dieser Wahl um eine Gewissensentscheidung handelt und unsere Abgeordneten jeweils für sich entscheiden, wie sie sich bei der Wahl verhalten”, teilte die Fraktionsvorsitzende Heidi Reichinnek mit.
“Gewissensentscheidung” – das kann man durchaus als ironischen Kommentar auf Friedrich Merz verstehen. Der hatte nach der gescheiterten Wahl von Brosius-Gersdorf gesagt, bei “solchen Personalfragen” gehe es auch um “Gewissensfragen”. Das Kalkül der Linken ist klar: Die Union maximal verunsichern. Zumindest öffentlich solle die Wahl Spinners uneindeutig bleiben. Anschließend könnte die Partei der Union vorhalten, sich lieber auf die AfD verlassen zu haben, als auf die Linke zuzugehen.
Auf ein paar Stimmen aus dem Lager der Linken kann sich die Union aber wohl trotzdem verlassen. Der Abgeordnete Ramelow hatte bereits im Sommer öffentlich angekündigt, Spinner zu wählen. In der Fraktionssitzung am Montag sprangen ihm auch die beiden Silberlocken Dietmar Bartsch und Gregor Gysi bei. Das sind dann schon mal drei. Auch die Fraktionsvorsitzende Heidi Reichinnek mahnte zuletzt: “Das Bundesverfassungsgericht ist eine wichtige demokratische Institution, die nicht beschädigt werden darf.”
An einem Faktor soll die Wahl am Donnerstag jedenfalls nicht scheitern: Zeit. So wird die Abstimmung ungewöhnlich lange laufen, zwei Stunden bleiben die Wahlurnen im Reichstagsgebäude ab 16.20 Uhr geöffnet, damit möglichst alle Abgeordneten auch teilnehmen können. Bundeskanzler Friedrich Merz wird das Treffen der Ost-Ministerpräsidenten in Weimar am Donnerstag früher als geplant verlassen, um noch im Bundestag abstimmen zu können. Es herrscht Anwesenheitspflicht. Entschuldigt fehlen wird in der Unionsfraktion nur ein Abgeordneter, das war der Stand am Donnerstagmorgen: Außenminister Johann Wadephul – er vertritt Deutschland bei der UN-Generalversammlung in New York.





















