Paul Thomas Andersons „One Battle After Another“ mit Leonardo DiCaprio | ABC-Z

Dass Geschichte sich wiederholt, ist als Idee jetzt auch schon oft genug wiederholt worden. Guten Künstlern gelingt es aber immer noch, sich auszumalen, wie die nächste Wiederholung aussehen könnte, bevor sie eintritt. Der amerikanische Regisseur Paul Thomas Anderson versucht eine solche Prognose. In „One Battle After Another“: Hier extrapoliert er auf der Grundlage des Pynchon-Romans „Vineland“, wohin sich Amerika bewegen könnte, wenn Abschottungsbefürworter und Militarismus das Sagen haben, was schon bei Pynchon der Fall ist, der seine Handlung 1984 ansetzte, als Ronald Reagan abermals zum Präsidenten gewählt wurde. Da blickten die Figuren also auf ihre rebellische Jugend in den Sechzigerjahren zurück, als sie gegen Nixon kämpften und dieser die Gesetze durch den „War on Drugs“ verschärfte. Regisseur Anderson zieht Parallelen zur Gegenwart und lässt seinen Film in einem gerade noch heutigen Amerika spielen, in dem einige Dinge sich noch mehr zugespitzt haben, als wir sie aus den Nachrichten kennen.
„One Battle After Another“ beginnt mit einer Vertrauensübung. Eine junge schwarze Frau erkundet an der Grenze zwischen den USA und Mexiko die Umzäunung eines „Immigration Detention Centers“. Sie habe einen Plan, wird sie kurz darauf einer Gruppe in Flecktarnklamotten verkünden. Den Plan erfahren die Zuschauer nicht. Sie müssen sich darauf verlassen, dass die Frau weiß, was sie tut. Damit sind sie in der gleichen Position wie der von Leonardo DiCaprio gespielte Bob. Der guckt als einziger Weißer unter den Aktivisten immer etwas verschreckt aus der Wäsche; als könne er nicht recht glauben, dass die coolen Kids ihn mitspielen lassen. Darüber legt DiCaprio noch eine Schicht verliebte Faszination, wenn seine Augen die der jungen Frau treffen, deren Wünsche ihm Befehl sind. In diesem Fall lautet sein Auftrag: „Mach ’ne Riesenshow!“
Während Bob also durch stoppeliges Präriegras robbt und Sprengsätze zündet, überwältigt der Rest der Truppe die Wachposten und holt die illegalen Einwanderer aus den Zelten, um sie mit einem Lkw tiefer ins Land zu schleusen. Was Bob bei aller Verliebtheit übersieht, ist der Funken Übermut im Blick der jungen Frau: Ist das für sie alles nur ein Spiel? Oder macht gerade die völlige Selbstüberschätzung sie zur idealen Anführerin dieser jungen Leute, die der Regierung, wenn sie Frauen und Kleinkinder hinter Stacheldraht verstaut, „die Revolution ankündigen“? Mit diesen Worten stürmt die junge Frau das Zimmer des Lagerkommandanten und zwingt ihn zu einem sexualisierten Machtspiel. Als sie ihn gefesselt zurücklässt, zeigt seine Miene keine Spur von Demütigung, nur das alarmierte Interesse eines Wachhunds. Hier bekommen die Zuschauer die Belohnung für die anfängliche Vertrauensübung, denn ihnen ist klar, was die junge Frau nicht weiß: dieser Typ hängt sich jetzt an ihre Fersen.
Sean Penn gegen Leonardo DiCaprio
Das Katz-und-Maus-Spiel wird die Gruppe in den Untergrund treiben und auch sechzehn Jahre später nicht vor der Tochter der jungen Frau haltmachen. Anderson geht es nicht darum, einen herkömmlichen Thriller zu erzählen. Dafür bräuchte man keine Pynchon-Vorlage. Vielmehr verbindet er seine Faszination für den Autor und seine Doppel- und Tripelbödigkeiten mit einer aktuellen politischen Analyse. Die Absicht, „Vineland“ zu verfilmen, hegte Anderson bereits, kurz nachdem das Buch 1990 herausgekommen war, musste dann aber feststellen, wie schwer es ist, einen solchen Text zum Drehbuch umzuwandeln.
2014 gelang ihm die erste Pynchon-Adaption mit „Inherent Vice“, wo er sich bereits inhaltliche Freiheiten herausnahm. Für „One Battle After Another“ hat er diese Technik perfektioniert: Die Figuren heißen zum Beispiel anders als im Buch, aber die Namen jonglieren sprechend mit den Attributen, für die Pynchon bekannt ist. So heißt die junge schwarze Frau, die ihre Tochter beim Vater lassen wird, „Perfidia Beverly Hills“. Der Colonel, der ihre Mitstreiter einen nach dem anderen umlegen wird, hört auf den Namen „Steven J. Lockjaw“. Ihn spielt Sean Penn, den man erst auf den dritten Blick erkennt – nicht weil die Maskenbildner ihn entstellt hätten, sondern weil er für diesen Militärmann seinen Kiefer zum Bulldoggengebiss vorschiebt und so kantig aus Autos steigt, als habe man seine Gelenke durch Schlagstöcke ersetzt.

Noch eine Schippe drauf legt DiCaprio, der sich für Anderson komplett in den Dienst seiner Rolle stellt, wie man es von ihm zuletzt in der Zusammenarbeit mit Martin Scorsese sah. Die leichte Überforderung vom Anfang baut er im Laufe des Films weiter aus bis ins Komische. Er ist der Vater von Perfidias Tochter und wird das Baby unter falschem Namen in einer Kleinstadt aufziehen. Die sechzehn Jahre, die die Handlung überspringt, setzen ihm sichtlich zu. Dem Kind hat er zwar die alten Codewörter mitgegeben, sich selbst aber immer mehr gehen lassen. „Ich bin ein Liebhaber von Drogen und Wein, ich erinnere mich nicht mehr an alles“, wird er ins Telefon jammern, als er auf der alten Hotline seiner Untergrundkameraden anruft, weil der Colonel ihn und seine Tochter aufgespürt hat.
Der Film ist kein Gemeinschaftskundevortrag
Unter dem Deckmantel einer Großrazzia gegen illegale Einwanderung legt Lockjaw die gesamte Kleinstadt lahm. Leute werden wahllos festgenommen. Das Militär schleust Provokateure in die Reihen friedlicher Demonstranten, um Vorwand für Massenverhaftungen zu erzeugen. Straßen brennen. Bedenkt man, dass die Dreharbeiten bereits 2024 abgeschlossen wurden, zu einer Zeit als noch Joe Biden Präsident war und Trumps Umgestaltung des Landes in der zweiten Amtszeit sich nicht absehen ließ, wirken diese Szenen beklemmend prophetisch. Wenn die Rebellen an den spitzen Stahlpfählen des Grenzzauns entlangschleichen oder militärische Sondereinheiten Leute ohne Haftbefehl wegfangen, erinnert das an Bilder von ICE-Agenten, die Leute einfach verschwinden lassen.
Aber der Film ist kein Gemeinschaftskundevortrag; man hat Spaß – am meisten mit Benicio del Toro, der sein Rollenspiel aus „Inherent Vice“ weiterführt. Dort gab er einen Anwalt, der den Helden aus unmöglichen Situationen herausholt. Hier rettet er den aufgelösten Bob. Als Karatelehrer übernimmt del Toro die Funktion „erwachsene Kompetenz“.
Er bringt Bob in Sicherheit. Während die beiden Männer zahllose Räume durchschreiten, gibt Carlos nebenbei Anweisungen, um möglichst viele Bewohner durch einen Tunnel in eine Kirche zu bringen. Mag sein, dass sich die Möchtegern-Rebellen um Bob früher mit Maschinengewehren als Jugendbewegung performativ beweisen wollten. Für Carlos und seine Freunde ist all das kein Spiel.
Freiheit, so wird er Bob am Ende mitgeben, sei die Abwesenheit von Angst. In einem Land, dessen Herrschende im Namen der Freiheit denen, für die sie nicht mehr gelten soll, gerade mit allen Mitteln Angst machen, ist dieser einfache Gedanke der erste Schritt aus der Falle.





















