Neujahrskonzert: Walzer für den Frieden – und wer im nächsten Jahr dirigiert | ABC-Z
Als ein globales und äußerst lukratives Medien-Ereignis steht das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker unter den Zeichen allseitiger Harmonie. Da ist es schon eine Nachricht wert, wenn Riccardo Muti bei der TV-Übertragung ein paar verärgerte Blicke auskommen. Was ist passiert?
Wie es die Tradition will, brandet in der Einleitung der ersten Zugabe, dem Walzer “An der schönen blauen Donau” von Johann Strauß Sohn, Applaus auf. Dieses Jahr aber kommt er zu früh. Muti unterbricht den Beifall mit einem unwirschen “Pscht”, das höchstens halb scherzhaft gemeint ist. Auch in der zweiten Zugabe, dem “Radetzky”-Marsch von Johann Strauß Vater, ist ihm anzusehen, dass er vom unsensiblen Mitklatschen des Saalpublikums genervt ist.
Leicht und fein
Der italienische Dirigent ist mittlerweile 83 Jahre alt, hat über 500 Auftritte der Wiener Philharmoniker geleitet, darunter allein sieben Male das Neujahrskonzert. Er braucht nichts mehr zu beweisen. Vielleicht gerade deshalb gelingt an diesem Morgen im Wiener Musikverein höchste Orchesterkunst.
In der “Demolirer”-Polka von Johann Strauß Sohn, der heuer seinen 200. Geburtstag feiert, ermahnt ein erhobener Zeigefinger Kleine und Große Trommel: Bitte ein feines Piano! Im Walzer “Dorfschwalben aus Österreich” von Josef Strauß signalisiert ein Gruß in die hinteren Reihen: Das Blech leicht! Wenn im “Lagunen”-Walzer von Johann Strauß Sohn ein in der Luft zappelnder Auftakt minimal auszufransen droht, schlägt Muti den Takt besonders eindeutig.
Seit 1997 erst nehmen die Wiener Philharmoniker Musikerinnen in ihre Reihen auf. Und siehe da: Schon 28 Jahre später steht das erste Mal das Werk einer Komponistin auf dem Programm des Neujahrskonzertes. Constanze Geiger (1835 – 1890), gebürtige Wienerin, Pianistin, Schauspielerin und Sängerin, war eine facettenreiche Persönlichkeit. Ihr “Ferdinandus”-Walzer, den das Wunderkind als 12-Jährige schrieb, kommt originell: leichtfüßig zwitschernd, daher, auch die symphonische Einleitung ist gekonnt.
Zunehmend woke angehaucht, tupfen die Wiener das Stück liebevoll hin, mit einigen immateriellen Pianissimi, die sich sogar über den angejahrten heimischen Fernsehapparat mitteilen – wer weiß, was für eine Laufbahn für Constanze Geiger drin gewesen wäre, hätte sie nicht einen Prinzen geheiratet. Oder hätte sich der mehr an der Hausarbeit beteiligt…
Seid umschlungen, Millionen
Nachdem er den vorzeitig einsetzenden Beifall unterbunden hat, nimmt es sich Riccardo Muti heraus, den gemeinsamen Neujahrsgruß in seiner Muttersprache anzusagen. Eindringlich wünscht er sich “Frieden, Brüderlichkeit und Liebe auf der ganzen Welt”. Nicht wie ein Zufall wirkt es, wenn danach die Einleitung zum “Donau-Walzer” ein Quantum zu ernst gerät, hörbar melancholisch, fast wie ein Gebet.
Der Kontrast zum lebensfroh einsetzenden Dreivierteltakt ist gewollt, und das typische, unmerkliche Hinken des Walzerschritts kriegen so intuitiv und nonchalant nur die Wiener Philharmoniker hin.
Das wird sich wohl auch nicht ändern, wenn nächstes Jahr zum ersten Mal Yannick Nézet-Séguin das Neujahrskonzert dirigieren wird. Nur weniger streng dürfte es zugehen, denn der Kanadier ist nicht zuletzt für sein gewinnendes Lächeln – und seine unerschütterlich freundliche Art bekannt.
Die CD erscheint am 17. Januar bei Sony