Wo Marylins Kleid fliegen geht | ABC-Z

Die ganze Unmöglichkeit von Palm Springs zeigt sich erst aus der Ferne. Der San Jacinto Peak ist ein guter Ort dafür. Eine Seilbahn führt mit nur vier Stützen auf 2600 Meter Höhe in den Santa Rosa Bergen hinauf. Die Fahrt in der drehbaren Gondel ist für einige Gäste derart nervenaufreibend, dass die Kabinenführer zwischendurch manchmal Spaßlieder anstimmen. Oder sie spielen den gleichnamigen Song zum Berg von Peter Gabriel. Oben angekommen trifft man auf knorrige Ponderosa-Kiefern und neugierige Streifenhörnchen. Hier ist es mindestens zehn Grad kühler als unten im Coachella Valley. Vom nahen Aussichtspunkt blickt man hinunter in diese staubige Senke mit Spalten, Verwerfungen und Sandhaufen. Im Sommer kann es unten 50 Grad heiß werden. Staubstürme sind hier häufiger als Regenschauer. Und inmitten der Colorado-Wüste liegt nun also Palm Springs. Eine komplette 40.000-Einwohner-Stadt wie eine Fata Morgana rund um die namensgebenden Quellen.
„Eigentlich war es eine Katastrophe, die Palm Springs zum Spielplatz der Reichen und Schönen werden ließ“, verrät Kurt Cyr. Vor dem Ingleside Inn lädt der sportliche Kalifornier pünktlich um 16 Uhr Touristen für seine „Mod-Squad“-Tour in seinen klimatisierten Van mit getönten Scheiben. Ursprünglich habe ein Landentwickler die Oase zum Obstanbau nutzen wollen, erzählt Kurt. Aber ein Sturzregen gefolgt von elf Jahren Dürre begrub den ambitionierten Plan im Wüstensand und die Bodenpreise verfielen. So wurde das Kaff mit dem immer blauen Himmel interessant für die aufstrebende Künstlerelite in Hollywood. „Palm Springs lag noch eben im Radius von 100 Meilen, den die Schauspieler bei Dreharbeiten vertraglich nicht verlassen durften“, erzählt Cyr. Wie die Stars sich einrichteten, zeigt er diskret auf seinen Touren. Vom ersten Boom der 1920er- und 1930er-Jahre ist wenig geblieben. Am Palm Canyon Drive steht noch der Turm des Oasis-Hotels im Art-Déco-Stil von Frank Lloyd Wright Junior. Im ehemaligen Hotel El Mirador im Stil einer spanischen Missionsstation ist heute das Gesundheitszentrum untergebracht.
Nachdem der Staat die Stadt im Zweiten Weltkrieg als Aufmarschgebiet genutzt hatte, erlebte sie vor allem in den 60er-Jahren ihre große Blüte. Richard Neutra hatte schon 1946 mit einem Wüstenbungalow samt Swimmingpool für den Kaufhaus-Besitzer Edgar J. Kaufmann neue Standards gesetzt. Harmonisch duckt sich das geräumige Haus in die felsige Landschaft und bietet mit bodentiefen Fenstern unten und einer luftigen schattigen Terrasse im ersten Stock viele Aufenthaltsmöglichkeiten. „Anschließend wollte jeder so ein Haus haben“, sagt Kurt und kurvt weiter durch die ruhigen Straßen im Viertel Vista Las Palmas. 1960 kam als erster Superstar Frank Sinatra nach Palm Springs. Ihm folgten Dean Martin, Sammy Davis Junior, Lauren Bacall, Joey Bishop, Peter Lawford, Judy Garland und Shirley MacLaine, die als „Rat Pack“ hier für ihre Band-Auftritte probten, zechten, golften und feierten. Auch Cary Grant und Elvis Presley ließen sich blicken. So groß war plötzlich der Bedarf nach Immobilien, dass die ansässigen Architekten auf Fertigbauten zurückgriffen, die trotzdem individuell aussahen. Sie wurden stilbildend für den Häuserwunsch der kalifornischen Mittelschicht.
Eines der auffälligsten Anwesen ließ sich der Entertainer Władziu Valentino Liberace gestalten. Die blendend weiße Villa hinter einer hohen Mauer mit modernistischem Säulenportal und kitschigen Skulpturen wirkt eher wie ein Schrein als ein Wohnhaus. An die Aufenthalte von Marilyn Monroe erinnert dagegen seit 2019 eine überlebensgroße Skulptur vor dem Kunstmuseum. Nicht wenige Touristen steigen der 7,5 Meter hohen Stahlfigur unter das wehende weiße Kleid. Die Pose ist der legendären Szene aus dem Film „Das verflixte 7. Jahr“ nachempfunden, in der Monroes Kleid vom Wind aus einem U-Bahn-Schacht hochgehoben wird.
Ob den Promis wohl bewusst war, an welcher Stelle sie ihr Winterglück suchten? Palm Springs liegt fast unmittelbar neben der längsten Verwerfungsfalte der Erde. „Hier schrammt die Pazifische Platte im Schnitt sechs Zentimeter pro Jahr an der nordamerikanischen vorbei“, erklärt Chris Francis. Sein Fahrzeug ist ein stark motorisierter offener Jeep. Mit dem steuert der Rentner von einem staubigen Parkplatz aus mitten hinein in die berühmte San-Andreas-Verwerfung. Die Platten bewegten sich ruckartig. 150 Erdbeben gebe es hier pro Woche, schreit Chris gegen den Fahrtwind an. Deshalb ändere sich die Route immer wieder. 1500 Meter tief sei der Riss, gefüllt mit Granitblöcken, die kreuz und quer übereinanderliegen. In den Rinnen sammelt sich Wasser aus den Bergen in einem riesigen Aquifer. So säumen eigenartige Fächerpalmen die Bruchzone. Mit dicken Büscheln abgestorbener Blätter beschatten sie ihre Stämme zum Schutz vor Austrocknung. Andere Pflanzen gewinnen Salz als Sonnenschutz für die Blätter aus dem Boden, zeigt Chris, die Cahuilla-Indianer hätten hier schon vor 8000 Jahren überlebt. In einem nachgebauten Dorf kann man sich das anschauen. Das ganze Gebiet liegt noch heute auf Stammesland und man darf es nur mit Erlaubnis betreten. Auch 42 Prozent der Grundstücke in Palm Springs gehörten dem Stamm, sagt Chris. Mit den Pachteinkünften zählten dessen Mitglieder zu den wohlhabendsten Ureinwohnern der USA.
Noch spannender als das Museumsdorf sind die verwinkelten Spalten, in die Chris mit den mutigeren seiner Gäste hineinklettert. „Falls die Erde bebt, machen Sie sich ganz schnell auf den Rückweg“, warnt er. Der Hollywood-Zirkus zog übrigens in den 70er-Jahren keineswegs aus Angst vor dem großen Beben weiter, das hier seit Jahrzehnten überfällig ist. 1969 kippte das sogenannte Paramount-Urteil die Knebelverträge der Hollywood-Studios. Damit war der Weg für die Stars frei zu neuen Ufern.
Der Autor reiste mit Unterstützung von Visit Greater Palm Springs.