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Neues Regelwerk zur Gewaltprävention im Sport: Meilenstein mit Mängeln – Sport | ABC-Z

Wer seine Zeit in Sportvereinen verbringt, soll vor Gewalt jeglicher Art besser geschützt werden. Dass dies nötig ist, haben Fälle im Schwimmen, Turnen oder Handball in den vergangenen Jahren aufgezeigt, und auch aus der Forschung weiß man: Sport kann ein Nährboden für körperliche, seelische oder sexualisierte Gewalt sein. Nun hat der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) ein Regelwerk erarbeitet, das er am Mittwoch unter dem Namen „Safe Sport Code“ vorstellte. Damit soll eine Grundlage geschaffen werden, um Gewalt im Sport auch unterhalb der Strafrechtsschwelle rechtssicher zu ahnden. Vieles, was Grenzen überschreitet, kann bisher nicht angezeigt werden: etwa das plötzliche Auftauchen in der Umkleidekabine oder unangemessene Berührungen zu vorgeschobenen sportlichen oder medizinischen Zwecken.

Solche und weitere Verhaltensweisen sollen nun mit dem „Safe Sport Code“ ausgeschlossen werden. Dabei geht es auch um herabwürdigende und beleidigende Aussagen; auch sollen Trainer ihre Machtpositionen nicht zum Nachteil der Sportlerinnen und Sportler ausüben. Mögliche Sanktionen reichen von Verwarnungen über Entzug der Trainerlizenz bis hin zu finanziellen Konsequenzen.

DOSB-Präsident Thomas Weikert nennt das Regelwerk in einer Mitteilung einen „Meilenstein“. Mit dem Safe Sport Code solle ein Wandel eingeleitet werden, „indem wir Vertrauen schaffen, indem wir im Sport eine Kultur des Hinsehens und des Handelns stärken und dabei kann der Safe Sport Code helfen“, so Weikert. Das kann man so verstehen, dass der organisierte Sport seine Verantwortung anerkennt und die Problematik aus der Tabuzone holt. Im Dezember soll der Code auf der Mitgliederversammlung des DOSB zur Abstimmung vorgelegt werden, bis 2028 sollen alle Mitgliedsorganisationen sie verpflichtend in ihre Satzungen aufnehmen. Ein Knackpunkt ist die Kontrolle und Sanktionierung bei Verstößen gegen das Regelwerk: Beides können die Mitgliedsorganisationen noch weitgehend selbst regeln.

Aus der Forschung und auch aus diversen Fällen der Vergangenheit ist bekannt, dass Macht- und Abhängigkeitsstrukturen im Sport dazu führen, dass Verdachtsfälle im Zweifel oft nicht aufgearbeitet oder gar vertuscht werden. In den vergangenen Jahren haben sich immer mehr Betroffene getraut, ihre Geschichten zu erzählen – und die handelten oft davon, wie ihnen in Vereinen oder Verbänden nicht geholfen worden sein soll. So prangerte der ehemalige Wasserspringer Jan Hempel eine Kultur des Wegschauens im Deutschen Schwimmverband an, nachdem er öffentlich gemacht hatte, über Jahre hinweg sexualisierte Gewalt durch seinen früheren Trainer erlebt zu haben.

Mechanismen des Wegschauens sind im Sport tief verankert, das hat die Wissenschaftlerin Bettina Rulofs von der Deutschen Sporthochschule Köln immer wieder gezeigt. 2016 gaben 37 Prozent der deutschen Kaderathleten laut einer Studie an, sexualisierte Gewalt erfahren zu haben. In einer Studie zum Breitensport gaben zuletzt 19 Prozent der Vereinsmitglieder an, sexualisierte Gewalt mit Körperkontakt erlebt zu haben, psychische Gewalt (63 Prozent) und körperliche Gewalt (37) wurden noch häufiger genannt. Die wesentliche Forderung umreißt Rulofs so: „Es gibt eine Nationale Anti-Doping-Agentur, die für einen sauberen Sport eintritt. Wo ist eigentlich die nationale Agentur, die für einen sicheren und gewaltfreien Sport eintritt? Die unabhängig vom DOSB und den Verbänden ist? Da müssen wir hin.“

Die Sportlervertretung “Athleten Deutschland” erkennt Defizite im neuen Regelwerk

An solch einem Zentrum für Safe Sport – nicht zu verwechseln mit dem neuen Regelwerk, dem „Safe Sport Code“ – wird derzeit gearbeitet: Seit 2022 beschäftigten sich Arbeitsgruppen beim Bundesinnenministerium damit. Der Aufbau ist im Koalitionsvertrag der Bundesregierung enthalten, in anderen Ländern sind solche Zentren schon Realität. Doch noch ist nicht in Sicht, wann und in welchem Rahmen das Zentrum in Deutschland seine Arbeit aufnehmen kann. Immerhin: Sollte es irgendwann mal stehen, könnten etwa Sportverbände laut dem neuen „Safe Sport Code“ die Untersuchung und Sanktionierung von Regelverstößen an eine solche Agentur abgeben.

Die Sportlervertretung „Athleten Deutschland“, die die Gründung eines solchen Zentrums maßgeblich vorantreibt, begrüßt nun, dass jetzt zumindest ein neues Regelwerk vorliegt. Der Verein wies aber auch auf Mängel hin. Ursprünglich hatte der DOSB mit „Athleten Deutschland“ an einem eigenen „Safe Sport Code“ gearbeitet, war dann auf das parallel ausgearbeitete Regelwerk der Wissenschaftler Martin Nolte und Caroline Bechtel umgeschwenkt, die mit dem Deutschen Turner-Bund und der Deutschen Reiterlichen Vereinigung zusammenarbeiteten.

Maximilian Klein, stellvertretender Geschäftsführer von „Athleten Deutschland“, moniert, dass nun Regelungen fehlten, um auch juristische Personen wie Vereine und Verbände „für strukturelle und kulturelle Defizite in Organisationen zur Verantwortung“ ziehen zu können. Gerade das wäre aber entscheidend, um Athletinnen und Athleten besser zu schützen, „da anhaltende strukturelle und kulturelle Defizite in Sportorganisationen Gelegenheitsräume für interpersonale Gewalt und Missbrauch begünstigen können“. Somit kann der „Safe Sport Code“ wohl nur als erster Schritt verstanden werden, um den Sport zu einem besser geschützten Raum zu gestalten.

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